Es ist ihr bislang grösster Triumph. Justizministerin Simonetta Sommaruga hat gestern ihr Prestigeprojekt, die beschleunigten Asylverfahren, unter Dach und Fach gebracht. Damit hat die SP-Bundesrätin das geschafft, was vor ihr noch keinem SP-Politiker geglückt ist: einem Asylgesetz einen linken Stempel aufzudrücken.
Reform für Reform gaben stets die Bürgerlichen den Ton an. Immer nach demselben Muster: Hier die Bürgerlichen, die an der Verschärfungsspirale drehten. Da die Linke, die vergeblich dagegen ankämpfte. Zehn Mal in den letzten 20 Jahren.
Dieses Mal war alles anders. Der rechten Sozialdemokratin Sommaruga gelang es, ihre eigenen Leute bis weit an den linken Rand hinter sich zu scharen. Potenziellen Kritikern wie dem Aargauer SP-Nationalrat Cédric Wermuth und dem grünen Zürcher Asylpolitiker Balthasar Glättli rang sie schon früh ein kritisches Ja ab. Sie konnte die Genossen davon überzeugen, dass lange Verfahren weder gerecht noch sozial sind.
Entscheidend für den linken Schulterschluss war aber letztlich etwas anderes, eine Premiere: die kostenlosen Rechtsvertreter. Mit ihnen bringt eine Reform erstmals auch für Asylsuchende spürbare Verbesserungen mit sich. Von der Aufnahme ins Verfahren bis zum Asylentscheid begleitet der «Gratisanwalt» seinen Klienten durchs Verfahren.
Die Bürgerlichen wiederum holte die Justizministerin mit kürzeren Fristen ins Boot. Dass das Gesetz in einem Betrieb schon im Voraus getestet werden konnte, erwies sich als Glücksfall und zeugt von der intelligenten Herangehensweise der Justizministerin. Die Testphase zeigte nämlich, dass die Qualität der Entscheide besser und die Beschwerdequote im neuen Verfahren sogar noch tiefer lag als im Regelbetrieb.
Sommaruga hat diese Rechtsvertreter aus dem holländischen System abgekupfert. Anders als in Holland werden diese aber mit einer Fallpauschale abgegolten und nicht für jeden einzelnen Verfahrensschritt bezahlt, womit sich die in der Schweiz wesentlich tiefere Beschwerdequote erklären lässt.
Das Gesetz funktionierte, bevor es beschlossen war. Das besänftigte auch die letzten Kritiker aus den Reihen von FDP und CVP. Asyl-Skeptiker wie der frühere FDP-Chef Philipp Müller strichen fortan mit glänzenden Augen die Vorzüge der Reform hervor. Neo-CVP-Präsident Gerhard Pfister wiederum kämpfte mit Sommaruga in der «Arena» des Schweizer Fernsehens für ein Ja.
Zugute kam Sommaruga ihr langer Atem und der grosse politische Rucksack. Die ehemalige Gemeinde-, National- und Ständerätin, Konsumentenschützerin und Chefin von Alliance Suisse kennt die Finessen der Schweizer Politik wie keine Zweite. Hartnäckig, pragmatisch, unter Einbezug aller Staatsebenen, Schritt für Schritt – so zimmerte sie die Mehrheiten. Sie hat von Anfang an alle wichtigen Kräfte einbezogen. Schon in einer frühen Phase des fünfeinhalb Jahre dauernden Prozesses gewann sie die Kantone, indem sie diese von den Bundeszentren überzeugte.
Ein Wendepunkt, denn ohne Kantone, die letztlich für die Umsetzung zuständig sind, wäre eine Reform aussichtslos, sie würde auf halber Strecke stecken bleiben. An der nationalen Asylkonferenz 2013 stellten sich Bund, Kantone, Städte und Gemeinden einstimmig hinter die Verfahrenszentren. Womit die zentrale Unterbringungsfrage geregelt war. Kritische, aber einflussreiche Kantonspolitiker wie der Berner Regierungspräsident und oberste Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) warben Seite an Seite mit der Sozialdemokratin für die Reform.
Für die grösste Schweizer Partei, die SVP, ist das klare Volksverdikt ein Debakel. Das zweite innert Jahresfrist. Und dies wieder gegen SP-Frau Sommaruga, die der SVP in ihrem eigentlichen Kerngebiet, dem Ausländerthema, überaus erfolgreich die Deutungshoheit streitig macht. Nichts fürchtet die SVP so sehr wie mehrheitsfähige Lösungen in Bereichen, die sie erfolgreich bewirtschaftet.
Die Partei, die ständig das Gespenst eines Asylchaos vor sich hertrug und als einzige Partei das Referendum gegen das Gesetz führte, streckte im Abstimmungskampf vorzeitig die Waffen. Keine provozierenden Plakate, keine emotionale Debatte. Die SVP wollte vermeiden, dass die Abstimmung zum «Alle gegen die SVP» heraufstilisiert wurde.
Ganz kampflos wollte sie das Feld den Befürwortern aber doch nicht überlassen: Sie griff zwei isolierte Aspekte heraus, die Gratisanwälte und Enteignungen, um damit doch noch zu punkten. Mit einem sonderbaren Klamaukvideo und einem anonymen Pamphlet brachte sie ihre Argumente unters Volk.
Derweil schossen SVP-Exponenten, allen voran die «Weltwoche», aus allen Rohren auf die Person Sommaruga. Sodass einen das Gefühl beschleichen musste, Sommaruga persönlich sei verantwortlich für die Millionen Flüchtlinge, die übers Mittelmeer kommen. Auch würde die SP-Frau bei einem Ja jedem braven Schweizer sein Haus konfiszieren, um darin «junge afrikanische Männer» einzuquartieren.
Genutzt hat's nichts. Politisch geht Sommaruga gestärkt aus der Ausmarchung hervor. Im einst nur widerwillig übernommenen Justizdepartement hat sie mit der Asylreform einen wichtigen Pflock eingeschlagen. Doch ruhig wird es deswegen sicher nicht. Steigen die Asylzahlen, ist rasch wieder Feuer im Dach.
Eine erste Kostprobe lieferte gestern CVP-Präsident Gerhard Pfister. Er forderte in der «SonntagsZeitung», dass Grenzbeamte Asylsuchende abweisen, die aus einem sicheren Drittland in die Schweiz einreisen. «Wir laufen auf katastrophale Zustände zu», warnt er. Auch mit Eritrea wird sich Sommaruga beschäftigen müssen. Die FDP macht Druck, dass Eritreer zurückgewiesen werden. Jede Partei sucht nach eigenen Rezepten. Mit der Einigkeit scheint es schon wieder vorbei zu sein.