«Die Hand eines sterbenden Menschen zu halten, entspricht unserem Instinkt», sagt Susanna Schmid aus Aarau. Ebenso natürlich sei es, Angehörige in Momenten der Trauer in die Arme zu schliessen. Schmid begleitet seit elf Jahren sterbewillige Menschen in den Freitod. Früher war sie als Jugendanwältin tätig. Sie schildert, wie es ist, in ihrer Tätigkeit plötzlich Abstand zu halten. Denn auch in Zeiten von Corona, die von Abstandhalten geprägt sind, ist sie in der Region für Freitodbegleitungen unterwegs.
Es sei ein Geben und Nehmen, sagt sie über ihr Engagement für die grösste Sterbehilfeorganisation Exit-Deutsche Schweiz. Ein Geben, weil sie solche Begleitungen viel Energie kosten, und sie manchmal auch ziemlich erschöpft sei. Ein Nehmen, weil sie auf menschlicher Ebene viel für sich herausnehmen könne. Zudem erfahre sie Dankbarkeit und grosses entgegengebrachtes Vertrauen. Sie sei von den Lebensgeschichten oft tief berührt.
«Als Begleitperson schafft man innert kürzester Zeit eine extreme Nähe», sagt sie. Das Sterben sei ein intimes Thema. Die Balance zwischen dieser Nähe und dem gleichzeitig erzwungenen physischen Abstand zu finden, sei anspruchsvoll. Die ungewohnte Distanz beginne schon bei der ersten Begrüssung. «Die Türe geht auf, und wir schütteln uns nicht mal die Hände», sagt sie. Dabei sei dieser erste Kontakt für das Vertrauen und das Kennenlernen wichtig.
Jeder Freitodbegleitung geht ein Erstgespräch voraus. Schmid und die Person, die den Sterbewunsch hegt, sehen sich dann zum ersten Mal. Auch Angehörige nehmen meist am Erstgespräch teil. Es geht darum, die Lebensumstände kennen zu lernen, und abzuklären, ob eine Freitodbegleitung möglich ist respektive ob die Voraussetzungen gegeben sind. Beispielsweise gehören Urteilsfähigkeit, die Wohlerwogenheit und die Konstanz des Sterbewunsches zu den Voraussetzungen. Entsprechend müssen diese Gespräche physisch stattfinden, um sich diesen Themen anzunehmen.
Die Abklärungen könne sie nach wie vor nach einem Gespräch oder bei Bedarf nach weiteren Begegnungen treffen, sagt Schmid. Aber die fehlende Mimik wegen der Maske erschwere es ihr, den Menschen und die Lebensgeschichte ganzheitlich zu erfassen. «Es stimmt nicht, dass man in den Augen alles lesen kann», sagt sie. Ihr fehlten der Gesichtsausdruck und die Gefühle, die auch in den Gesichtszügen erkennbar seien.
Zudem müsse sie der Mimik folgen können, um das Gespräch zu leiten. «Manchmal dauert ein Gespräch lange und ich muss es führen, damit ich die wichtigen Punkte klären kann», sagt sie. Zudem komme eine weitere Hürde hinzu: Wenn ältere Personen, die an einer schweren Krankheit leiden, hinter der Maske nuscheln, dann sei dies kaum mehr verständlich.
Ihren Kollegen bei Exit gehe es nicht anders, sagt sie. «Viele sehnen sich den gewohnten Ablauf und die Nähe zurück.» Sie sei aber froh, dass gewisse Massnahmen vom Bund nur als Empfehlungen herausgegeben wurden. Die strikte Einhaltung aller Empfehlungen im Kampf gegen das Virus sei bei einer Freitodbegleitung fehl am Platz, sagt sie.
Beispielsweise sei ein Treffen der Personen, die sich am Tag der Begleitung zusammenfinden, kaum auf zwei Haushalte zu beschränken. Fünf Personen dürfen maximal zusammenkommen; die Begleitperson inklusive. Ebenfalls muss manchmal eine Fachperson dabei sein, die eine Kanüle für die Infusion legt. Im Normalfall wird das Sterbemittel in Form eines Pulvers in Wasser aufgelöst und oral eingenommen. Wenn es eine fortgeschrittene Krankheit nicht zulässt, kann eine Infusion gelegt werden.
Die autonome Ausführung – ebenso eine Voraussetzung für einen Freitod – wird dadurch gewährleistet, dass die Person das Hähnchen selbstständig aufdreht. Nach dem Todesfall fährt die Polizei und ein Amtsarzt vor, um den aussergewöhnlichen Todesfall zu bestätigen und Fremdeinwirkungen auszuschliessen. «Um die Anzahl von fünf Personen nicht zu überschreiten, finden wir Lösungen», sagt Schmid. Etwa, indem sich alle auf verschiedene Räume verteilen.
Sorry für die Polemik, aber es schmerzt, wenn man Jemandem beim Vereinsamen zuschauen muss.
Auch Menschen die todkrank in einem Spital, Pflegeheim oder Hospiz sind, und nur beschränkt - wenn überhaupt - Besuche empfangen dürfen. Das muss brutal sein in solchen Momenten.
Für mich wäre es ein Grund sterben zu wollen, wenn ich das nicht mehr bin.
Das soll nicht heißen, dass ich es falsch finde, dass es so ist. Weil das ist natürlich logisch und nachvollziehar. Es ist nur ein Paradoxon, dass mir aufgefallen ist.