Vor zehn Tagen feierte Johanna Gündel ihren Erfolg: Auf ihren Antrag hin hatte die Gemeindeversammlung in Oberwil-Lieli beschlossen, 290'000 Franken für Ersatzzahlungen aus dem Budget zu streichen und stattdessen Unterkünfte für Asylbewerber bereitzustellen. Gündels Antrag wurde mit 176 zu 149 Stimmen angenommen – gegen den Willen von SVP-Nationalrat und Gemeindeammann Andreas Glarner.
Nun gerät Gündel unter Druck: Per Einschreiben fordert der Gemeinderat von Oberwil-Lieli die 24-jährige Studentin auf, kritische Äusserungen gegen Glarner zu belegen oder zurückzuziehen. Konkret geht es um diese Passage in einem AZ-Artikel vom 30. November: «Die Besserverdienenden werden vom Gemeindeammann gehätschelt. Man liest ihnen die Wünsche von den Augen ab und nimmt es dann bei deren Erfüllung mit den Vorschriften nicht immer so genau.»
Der Gemeinderat hält in seinem Brief an Gündel fest, man habe diese Äusserungen «mit Befremden» zur Kenntnis genommen. Die Behörde fordert Gündel auf, «anhand von mindestens drei konkreten Beispielen aufzuzeigen, wo der Gemeinderat Reiche bevorzugt haben soll».
Der Brief trägt das Datum vom 7. Dezember, ist von Glarner unterzeichnet und enthält die Forderung an Gündel, innert Wochenfrist zu antworten. Sollte sie ihre kritischen Äusserungen nicht belegen können, verlangt der Gemeinderat von der Studentin, ihre Aussagen «unverzüglich öffentlich zu widerrufen».
Glarner sagt auf Anfrage der AZ, der Gemeinderat pflege natürlich gute Kontakte zu wohlhabenden Einwohnern und bemühe sich auch, gute Steuerzahler nach Oberwil-Lieli zu holen. «Aber wenn Frau Gündel uns vorwirft, wir würden Reiche bevorzugen und dabei Vorschriften verletzen, geht das eindeutig zu weit.»
Glarner kündigt rechtliche Schritte an, sollte die Studentin ihre Aussagen nicht mit konkreten Beispielen belegen können. «Dann müsste sie mit einer Anzeige rechnen, das lassen wir uns nicht bieten», sagt er.
Johanna Gündel erfährt erst durch die az vom eingeschriebenen Brief an sie. «Ich bin die Woche über wegen meines Studiums jeweils in Basel, habe das Schreiben des Gemeinderats noch nicht gesehen und möchte mich deshalb nicht dazu äussern», sagt sie. (aargauerzeitung.ch)