Gut möglich, dass die Präsidentin des Front National sich die Haare rauft, wenn sie an den neusten Fehltritt ihres Vaters denkt: Seit Marine Le Pen 2011 ihrem Vater an die Spitze der rechtspopulistischen Partei nachfolgte, hat sie sich bemüht, den Front National aus der rechtsextremen Ecke herauszuholen und der bürgerlichen Mitte anzunähern. Mit Erfolg: Bei den Europawahlen deklassierte die einstige Paria-Partei alle Konkurrenten.
Und dann das: Der bald 86-jährige Ex-Präsident, der in der Partei immer noch aktiv ist, gibt vor laufender Kamera eine antisemitische Sottise zum Besten. Über den populären Sänger Patrick Bruel, der aus einer jüdischen algerischen Familie stammt und ein erklärter Gegner des Front National ist, witzelte Le Pen mit zufriedenem Lachen: «Wissen Sie, da machen wir das nächste Mal eine Ofenladung.»
J.M.Le Pen récidive
Avait-il besoin de nous rappeler son vrai visage et celui du FN
#xénophobe #raciste #antisémite
#nausée
— PatrickBruel (@PatrickBruelOff) 8. Juni 2014
Bruel war empört. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er am 8. Juni, er sei «nicht einmal traurig wegen sich selbst. (...) Ich bin traurig wegen der Erinnerung an mehr als sechs Millionen Menschen.» Und auf Twitter nannte er Le Pen «rückfällig» und fragte: «Hatte er es nötig, uns sein wahres Gesicht und das des FN in Erinnerung zu rufen?»
«Rückfällig» trifft den Sachverhalt: Schon 1987 sorgte Le Pen für einen handfesten Skandal, als er den jüdischen Minister Michel Durafour als «Durafour-Crématoire» verspottete. «Four crématoire» bedeutet «Verbrennungsofen».
Mehrere Mitglieder des Front National, die den «Kalauer» nicht so lustig fanden, wurden aus der Partei geworfen. Der antisemitische Ausfall kostete Le Pen 10'000 Francs (rund 2000 Franken) – so hoch war die Busse, die ein Appellationsgericht in Paris wegen «öffentlicher Beleidigung eines Ministers» über ihn verhängte. 1989 hob das Europaparlament aufgrund dieser Affäre seine Immunität auf.
Im September 1987 sagte Le Pen in einer Fernsehsendung: «Ich stelle mir mehrere Fragen. Ich behaupte nicht, es habe die Gaskammern nie gegeben. Ich habe mich mit dieser Frage nie ausführlich auseinandergesetzt. Aber ich glaube, dass es nur ein Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist.»
Für diesen «point de détail» verurteilte ihn ein Gericht in Versailles 1991 zu einer Busse von 1,2 Millionen Francs (rund 220'000 Franken). Trotzdem doppelte Le Pen 1997 nach: «In einem 1000 Seiten dicken Buch über den Zweiten Weltkrieg nehmen die Konzentrationslager zwei Seiten und die Gaskammern 10 bis 15 Seiten ein, das nenne ich ein Detail.»
Le Pen, der im Algerienkrieg zugegebenermassen tatsächliche oder vermeintliche Mitglieder der algerischen Nationalen Befreiungsfront (FLN) gefoltert hat, macht nicht nur über Juden geschmacklose Witze. Unlängst, im Mai 2014, präsentierte er im Europawahlkampf seine Lösung für die «Bevölkerungsexplosion»: «Monseigneur Ebola kann das in drei Monaten regeln.»
Später versuchte Le Pen, diese Aussage zu relativieren. Es habe sich lediglich um eine demographische «Beobachtung» gehandelt. Ebola sei eine schreckliche Krankheit.
1996 erklärte Le Pen an einer Veranstaltung des Front National, er glaube an die «Ungleichheit der Rassen». Das sei augenfällig. «Die ganze Geschichte zeigt es, sie haben weder dieselben Fähigkeiten noch dasselbe Niveau der geschichtlichen Entwicklung.»
Mit seiner letzten Entgleisung – der «Ofenladung» – hat Le Pen offenbar die aktuelle Führungsriege des Front National vergrätzt. Seine Tochter Marine sagte zwar, seine Äusserungen seien «böswillig interpretiert» worden. Doch dann warf sie ihm vor, angesichts seiner «sehr grossen Erfahrung» sei es ein Fehler gewesen, eine solche Interpretation nicht vorhergesehen zu haben. Diesen Fehler müsse der Front National nun ausbaden.