Angelina Kirsch trägt Kleidergrösse 42/44, in der Modewelt ist das normalerweise ein Ausschlusskriterium für eine Karriere als Model. Doch die 26-Jährige ist gerade wegen ihrer Kurven in dem Business erfolgreich.
Der Beginn der Karriere? Ein Zufall, wie so oft. Kirsch sass 2011 mit ihrer Schwester in einem Café in Rom, als ein Mann sie ansprach. Sie sähe toll aus, und er habe eine Modelagentur in Hamburg.
Ob sie nicht als Model arbeiten wolle? Kirsch reagierte skeptisch: «Ich dachte, der findet mein Gesicht schön und sagt dann, ich soll erst mal zwanzig Kilo abnehmen. Dazu hatte ich aber keine Lust.»
Tatsächlich hatte der Agenturchef genau nach einer wie ihr gesucht. Inzwischen läuft sie auf Modenschauen in Mailand und Madrid, macht Fotoshootings in Barcelona und London. Ihre Masse: 100-74-111 statt 90-60-90.
Angelina Kirsch ist ein sogenanntes Curvy-Model – und sie war das erste der Hamburger Agentur Place Model Management. Mittlerweile hängen Dutzende Sedcards fülliger Schönheiten an den Wänden.
«Die Hersteller haben erkannt, dass sie rundliche Frauen nicht ausser Acht lassen können», sagt Zuzanna Zelazek von Place Model. «Dadurch, dass ein paar Labels wie zum Beispiel H&M damit angefangen haben, zogen andere Labels nach und haben erkannt, wie schön curvy aussehen kann.»
Es gibt sogar eine eigene Messe für grosse Grössen: Die «Curvy is sexy» findet zweimal jährlich in Berlin statt und zog zuletzt über fünfzig Aussteller an.
Auch international sind Kurven gefragt. Zu den bekanntesten Plus-Size-Models zählen David Hasselhoffs Tochter Hailey, Candice Huffine und Ashley Graham, die gerade in der Bademoden-Ausgabe der amerikanischen Zeitschrift «Sports Illustrated» posierte. Nie zuvor hatte es ein rundliches Model in dem Heft gegeben.
Ein Katalog-Shooting für den Übergrössen-Hersteller Ulla Popken in Hamburg: Angelina Kirsch gelingt jede Pose auf Anhieb, sie weiss sich in Szene zu setzen. Für Curvy-Models gelten andere Regeln als für ihre dünneren Kolleginnen. «Wenn ein normales Model das Bein leicht anwinkelt, kann man schon durch die Beine durchsehen. Das geht bei mir nicht. Ich mache also eine Art Ausfallschritt. Das sieht eleganter aus», sagt Kirsch.
Das Modeunternehmen Ulla Popken hat für seine Shootings mit Curvy-Models inzwischen eine deutlich grössere Auswahl. «Bis vor fünf Jahren», sagt Mitarbeiterin Claudia McKenzie, «mussten wir die Mädchen immer aus Amerika einfliegen lassen. In Deutschland gab es gar keine. Jetzt dagegen ist das ein stark wachsender Markt.» Das hat auch die Modekette Adler erkannt, für die Angelina Kirsch schon mehrfach gemodelt hat.
«Size Zero existiert nur in den Medien», sagt Tina Florath von Adler.
Weil Kirsch bei den Shootings und in einem Fernsehspot so gut ankam, soll sie jetzt für die Modekette einen eigenen Blog schreiben. Die 26-Jährige will Mut machen: «Ich rate den Mädels: Zeigt Farben und Formen.»
So selbstbewusst war Kirsch nicht immer:
Kirsch achtet auf eine gesunde Ernährung und macht regelmässig Sport. Denn auch ein Curvy-Model muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Wichtig sei, so Kirsch, dass der Körper straff wirke: «Das ist besonders bei Shootings für Wäsche und Bademode wichtig.»
Und die Proportionen müssten stimmen: «Kunden sagen mir oft, dass ich eine tolle Sanduhr-Figur habe.» Hungern käme für sie nicht in Frage: «Ich darf essen und werde auch noch dafür bezahlt. Besser geht's doch eigentlich nicht!»
Kirsch studiert Musik und Sprachwissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, ihre Bachelor-Arbeit hat sie gerade abgegeben. Jetzt soll das Modeln an erster Stelle stehen, die nächsten zwei Shootings stehen fest, erst in Hamburg, dann in Spanien.
Kirsch ist gut im Geschäft: «Bei einem Shooting habe ich mal gehört, wie ein dünnes Model sagte: Ich verdiene das und das. Da habe ich gedacht: Oh, das ist die Hälfte von dem, was ich verdiene. Aber klar: Von denen gibt es ja auch viel mehr auf dem Markt, die Konkurrenz ist viel grösser.»