Und? Habt ihr alle schön brav «Tiger King» geschaut? Und «La casa de papel» und alle «Mandalorian»-Folgen (thanks, VPN!) auch? Gewiss, der Lockdown ist gäbiger Anlass, den neusten heissen Scheiss auszuchecken. Aber ähnlich wie man nebst dem noch nie ausprobierten Sauerteigbrot-Rezept eben auch das Lieblingsmenu der Kindheit wieder mal kocht, so verhält es sich mit dem Glotzverhalten: Wieder mal was Altes, aber Gutes. Das wär's doch.
Ich empfehle wärmstens: Alfred Hitchcock. Seht, einen Hitchcock-Film schauen, ist eine einzigartige Kombination aus Entschleunigung und Aufregung, wie sie heute kaum noch existiert.
Rasen moderne Thriller von einer krawallartigen Actionsequenz zur anderen, finden solche in Hitchcock-Movies kaum statt.
«Ein Knall verursacht kein Grauen, nur die Erwartung dessen.»
Suspense nennt man das, liebe Kinder. Und das bekommt ihr in sämtlichen hier aufgelisteten Filmen.
Deshalb: Kocht euch was Feines, gönnt euch danach einen Cocktail, macht es euch auf dem Sofa gemütlich und zieht euch einen der folgenden Hitchcocks rein!
«Eine Dame verschwindet» – 1938
Durch einen Lawinenabgang wird der Zug von Budapest nach Basel in einem Gebirgsbahnhof in der fiktiven Diktatur Bandrika festgehalten – alleine schon die Ausgangslage verspricht einiges. Kommt noch ein Ensemble von ordentlich spooky Charakteren dazu (ein Hirnchirurg in Begleitung eines bis zur Unkenntlichkeit bandagierten Unfallopfers etwa – wie geil ist denn das?), entsteht eine für die Ära ungewohnt mitreissende Mischung aus Psycho-Thriller, Spionagefilm und Rom-Com.
«Der Fremde im Zug» – 1951
Zwei Fremde begegnen sich zufällig auf einem Zug und sollen darauf jeweilige Auftragsmorde für den anderen ausführen. Der perfekte Mord? Der perfekte psychologische Thriller auf jeden Fall.
«Das Fenster zum Hof» – 1954
Wow, wie gut ist denn dieser Film? Es gäbe derart viel zu erzählen über die vielen filmischen Ebenen und Verschachtelungen, über Zitate und Vorwegnahmen und darüber, dass dieser Streifen eine Liebeserklärung an Grace Kelly ist, die darin einfach nur schön, schön, schön ist. Aber alleine schon die Prämisse – in der Eröffnungssequenz meisterhaft filmisch ausgelegt – ist genial: Hochsommer, ein preisgekrönter Fotojournalist sitzt mit Bein im Gips mit nichts anderes zu tun, als aus dem Fenster zum Hinterhof zu schauen. Und dort ... nun dort gibt es allerlei zu sehen, ... ausser, was genau mit der Ehefrau des Handelsreisenden von gegenüber passiert ist.
Kurze Nebenbemerkung: In Sachen Mode und Style sind die Hitchcock-Filme der 50er und 60er eine Wucht!
Kurze Nebenbemerkung 2: «Rear Window» ist übrigens einer der wenigen Hitchcocks, die man getrost mit den Kindern gucken kann (gruseln, ohne dass grafisch Gruseliges gezeigt wird). Noch so einer ist:
«Der Mann, der zuviel wusste» – 1956
Doris Day, die wohl hausbackenste aller Hitchcock-Blondinen, wird inklusive Hit-Song geschickt in die Storyline eingefügt, ein packendes Kindsentführungsdrama zwischen Marrakesch und London.
«Vertigo – Aus dem Reich der Toten» – 1958
Hitch selbst fasste den Plot wie folgt zusammen: «Boy meets girl; boy loses girl; boy meets girl again.» Wobei «loses»/«verliert» hier konkret bedeutet, «sie verunfallt tödlich und er kann es nicht verhindern, weshalb er das nächste Girl, das er trifft, auf sehr, sehr creepy Art und Weise in sein voriges, verstorbenes Girl zu verwandeln versucht».
Gemeinhin als eines der besten Filme aller Zeiten gehandelt, ist «Vertigo» eine mitunter sehr unbequeme Achterbahnfahrt durch Abgründe der menschlichen Psyche, punktiert mit proto-psychedelischen Sequenzen. Welche Lesart ist angebracht? Die psychoanalytische? Die feministische? Die biographische? Am Ende stellt der Film für jeden Zuschauer etwas anderes dar. Sit back and enjoy the ride.
«Der unsichtbare Dritte» – 1959
Allerspätestens jetzt müssen wir über Hitchcocks Konzept von Pure Cinema reden. Das Konzept, das besagt, dass Kamera, Sound Design und Schnitt einen Film definieren und voranbringen, nicht Dialog. Mach' mal den Selbsttest: Wie viele Dialogzitate aus Hitchcock-Filmen kommen dir in den Sinn? Erstaunlich wenige. An wie viele ikonische Szenen kannst du dich erinnern? Zahllose.
Etwa jene, in der Cary Grant von einem Flugzeug gejagt wird. Der einzige Grund, weshalb es die Filmfigur Roger Thornhill auf ein Feld im Niemandsland verschlägt, ist, dass ebendiese Filmszene stattfinden kann. Das ist Pure Cinema. Und es ist genial.
«Psycho» – 1960
Der perfekte Film. Und das mit einem mageren Budget, denn er entstand zu einer Zeit, als sich Hitchcock mit seinen Studio-Geldgebern zerstritten hatte (was auch der Grund ist, weshalb er in Schwarzweiss gedreht wurde: Der Regisseur filmte mit dem Team seiner TV-Serie, weil ihm so niemand dreinreden konnte).
Bei «Psycho» wurden derart viele Filmregeln gebrochen, dass er zum Instant-Klassiker wurde, der über die Jahre drei Sequels generierte und ein erstaunliches 1998er Remake, bei dem Regisseur Gus van Sant jede einzelne Kameraeinstellung und jeden Schnitt 1:1 kopierte. Selbst Menschen, die «Psycho» nie gesehen haben, kennen die Bilder, wissen, dass mit Anthony Perkins irgendwas nicht ganz stimmt, wissen, dass es gefährlich sein kann, in einem Motel eine Dusche zu nehmen. Das Schöne ist, dass der Film den Erwartungen mehr als gerecht wird.
«Die Vögel» – 1963
Nochmals etwas zu Pure Cinema: Schnitt, Cinematography und Sound Design ist das Wichtigste. Sogar wichtiger als schauspielerische Leistung. Und manchmal gar wichtiger als die Handlung. Bekanntermassen hatte Hitchcock wenig bis gar keine Hochachtung vor Schauspielern; sah sie lediglich als Staffage seiner Filmkunst. Bei «The Birds» wird aber selbst die Story zur Nebensache. Es gibt keine Antworten. Und kein Entkommen.
«Frenzy» – 1972
Zum Abschluss einer der grusigeren Hitchcock-Filme. Hitch kehrt nach mehr als zwei Jahrzehnten wieder in seine Heimatstadt zurück und präsentiert uns einen Serienmörder-Plot, der für den Zuschauer mehr als unbequem ist. Ohne hier zu viel verraten zu wollen, nur zwei Worte: Kartoffel-Lastwagen.
Ich denke, so lässt sich eine Quarantäne ordentlich gruselig meistern.
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