Leben
Schweiz

Cybermobbing: Vater von Céline arbeitet für Nez Courage

Céline starb im August 2017.
Céline starb im August 2017. bild: sandra ardizzone/son

Céline (13†) nahm sich nach Cybermobbing das Leben: Jetzt hilft der Vater anderen Teenies

Der Vater des Mädchens aus Spreitenbach, das sich das Leben genommen hat, arbeitet neu für die Organisation Netzcourage der Zuger Aktivistin Jolanda Spiess.
02.04.2021, 12:1103.04.2021, 09:58
Andreas Maurer / ch media
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Candid Pfister aus Spreitenbach hat eine der schlimmsten Erfahrungen gemacht, die ein Vater erleben kann. Seine Tochter Céline nahm sich mit 13 Jahren das Leben, nachdem sie Opfer von Cybermobbing geworden war.

Die Strafverfolgungsbehörden rieten ihm davon ab, den Fall in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Doch er und seine Frau Nadya wählten einen anderen Weg. Sie gaben Interviews, gingen vor Gericht und starteten eine Onlinekampagne.

Nach dem Tod ihres einzigen Kindes sehen sie nur noch einen Sinn in ihrem Leben. Sie wollen anderen Teenagern helfen, nicht in den gleichen Strudel zu geraten. Dafür wurden sie mit dem «Priz Courage» ausgezeichnet.

Bisher bestand die Kampagne aus einem Hashtag (#celinesvoice). Jetzt wird sie professionalisiert. Candid Pfister tritt eine neu geschaffene Stelle bei Netzcourage an, der Organisation gegen Hass im Netz der Zuger Aktivistin Jolanda Spiess.

Spiess hat vor allem Erwachsene beraten, die zum Beispiel in einen Shitstorm geraten waren. Jetzt weitet sie ihr Angebot mit Pfister auf Jugendliche aus. Der 51-Jährige sagt:

«In der Schweiz fehlt bisher professionelle Präventionsarbeit gegen Cybermobbing, welche die Betroffenen gratis in Anspruch nehmen können.»

Pro Juventute baut das Angebot ebenfalls aus und lanciert eine neue App

Beratungsangebote gibt es allerdings bereits von Zischtig.ch sowie von Pro Juventute mit der Kriseninterventionsstelle 147. Zudem hat Pro Juventute diese Woche die App Wup lanciert, die Kinder im digitalen Umgang mit Missbrauch, Mobbing und Gewalt unterstützt. So soll das Programm Beleidigungen und Mobbing in Textnachrichten sowie Nacktheit auf verschickten Fotos erkennen.

Ausserdem führt Pro Juventute Medienkompetenzkurse an Schulen durch, mit denen die Stiftung jährlich Tausende Kinder erreicht. Pro Juventute sieht das neue Projekt jedoch nicht als Konkurrenz. Eine Sprecherin sagt: «Wir freuen uns sehr über neue Angebote, welche Kinder und Jugendliche stärken.»

Jolanda Spiess ist daran, ihre Organisation stetig auszubauen. Vor einem Jahr wurde diese als gemeinnützig anerkannt, wodurch sie von den Steuern befreit ist. Aktuell beschäftigt sie acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Teilzeit- und Praktikumsstellen. Als Geschäftsleiterin ist sie selber die einzige Vollzeitbeschäftigte. Sie finanziert ihre Arbeit durch Spenden.

Nadya und Candid Pfister vor einem Bild ihrer Tochter Céline.
Nadya und Candid Pfister vor einem Bild ihrer Tochter Céline.bild: sandra ardizzone/son

Spiess und das Ehepaar Pfister haben eine ähnliche Geschichte. Beide wurden Opfer von traumatischen Vorfällen. Beide entschieden sich danach aber dagegen, den Fall hinter sich zu lassen und ein komplett neues Lebenskapitel aufzuschlagen. Sie wurden zu Aktivisten und Expertinnen, die einen Teil ihres Wissens aus ihrer eigenen Lebensgeschichte ableiten.

Durch den Fall Céline ist das Bewusstsein in der Schweiz für das Ausmass von Cybermobbing gestiegen. Dieses Jahr ist das Phänomen zum ersten Mal in der Kriminalstatistik ausgewertet worden. Im vergangenen Jahr wurden 1109 entsprechende Straftaten angezeigt. Davon konnte die Polizei 77 Prozent aufklären.

Lass dir helfen!
Du glaubst, du kannst eine persönliche Krise nicht selbst bewältigen? Das musst du auch nicht. Lass dir helfen.
In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen und depressiven Krisen da sind – vertraulich und kostenlos.

Die Dargebotene Hand: Tel 143, www.143.ch
Beratung + Hilfe 147 für Jugendliche: Tel 147, www.147.ch
Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch

Die Statistik zeigt weiter, dass es viele Célines gibt. 57 Prozent der Opfer sind weiblich. Ausgeübt wurden die Taten mehrheitlich von Männern.

(bzbasel.ch)

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quelle: epa/dpa / maurizio gambarini
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19 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Seiltänzerin
02.04.2021 12:29registriert Mai 2018
Ich bewundere Menschen, welche nach einem solch schweren Schicksalsschlag die Kraft finden sich damit auseinander zu setzen und etwas zu bewegen. Hut ab! 💪🏼
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Clife
02.04.2021 12:30registriert Juni 2018
Bin vor 10 Jahren aus der Kanti geflogen weil ich gemobbt wurde (scheinbar bin ich damals zu freundlich gewesen). Hab mich ins Internet geflüchtet. Heute sehe ich in meinem Umfeld Leute, die Drogen nehmen und andere weiterhin mobben. Ich hab mein Studium abgeschlossen und soll plötzlich von ihnen akzeptiert werden. Trotzdem will ich mit solchen Leuten nichts zu tun haben und bin dafür mehr alleine als in Gesellschaft. Manchmal denke auch ich mir wofür das ganze. Meine Motivation ist es ebenfalls denen zu helfen die in meine Lage sind. Mobbing ist Scheisse.
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Rahlini92
02.04.2021 12:58registriert Dezember 2019
Mir tut das unheimlich Leid für die Familie.. für jede Familie die so etwas durchmachen muss. Ich bin selber Mutter.man sollte nicht sein eigenes Kind begraben müssen.. 😓
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Erfolgsmodell: Ein italienisches Restaurant schenkt Gästen, die während des Essens auf ihr Mobiltelefon verzichten, eine Flasche Wein.

Eine Theorie besagt, dass ein freundliches Gespräch während des Mahls nicht nur dem Essensgenuss zuträglich ist, sondern gar tatsächlich der eigenen Gesundheit der Essenden. So gesehen bietet das Restaurant Al Condominio in Verona nicht nur ein gastronomisches Erlebnis, sondern tut auch noch etwas für unser körperliches und seelisches Wohl, gewissermassen.

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