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Sexismus im Schweizer Musikbusiness: Drei junge Frauen erzählen

«Merk dir: Bei uns stehen nur Schnäbis auf der Bühne» – Schweizer Musikerinnen erzählen

Die neue Plattform Music Directory soll dabei helfen, dass das Schweizer Musikbusiness weniger von Männern dominiert wird. Wieso das wichtig ist, sagen drei junge Frauen, die alles kennen.
20.10.2020, 14:2621.10.2020, 16:29
Simone Meier
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Es können noch so viele Taylor Swifts, Cardi Bs und Dua Lipas an der Spitze der internationalen Charts stehen. 98 Prozent der Musikproduktion gehört trotzdem den Männern, 85 Prozent der Bühnenpräsenz ebenfalls. Jedenfalls in der Schweiz. Wo auch 88 Prozent der Lehrpersonen an den Musikhochschulen Männer sind.*

Die Verkrustungen im Ungleichgewicht der Geschlechter in der Schweizer Musikbranche sind hart. Ihnen beizukommen ist mühsam. Wir haben mit drei Frauen geredet. Eine singt. Eine spielt Gitarre, E-Gitarre, Keyboard und Schlagzeug. Die dritte ist DJ. Sie heissen Ta'Shan, Angela und Undeey. Sie sind Schweizer Musikerinnen mit indischen, philippinisch-italienischen und mongolischen Hintergründen. Gelegentlich treten sie auch zusammen auf. Und sie berichten über ihren Alltag unter Männern, den ganz normalen Sexismus und die Furcht der Schweizerinnen, sich zu verkaufen.

Ta'Shan, Sängerin, Bern

musicdirectory
bild: moritz keller

«In Indien überlegen sich Familien zweimal, ob sie ein Mädchen überhaupt zur Welt bringen sollen. Mädchen sind teuer, denn die Familie eines Mädchens muss die Hochzeit bezahlen. In ländlichen Gebieten werden viele Mädchen nach der Geburt getötet. Mein Vater ist Inder, aber er wurde zum Glück nicht mit diesem Denken erzogen. Meine Eltern machten beide Reiseleitungen, so haben sie sich auch kennengelernt. Unterwegs. Das hat sie weltoffen und grosszügig gemacht.

Als ich aufwuchs, in Münsingen und in Thun, und auffiel und aneckte, weil ich eine andere Hautfarbe hatte und es liebte, mich tussig zurecht zu machen mit Make-up und Schtögis und allem, da machten sie mir klar, dass unsere Offenheit und unsere Weltgewandtheit ein Privileg ist, dass ich begreifen muss, wenn andere diese nicht teilen. Mein Vater hat nie dem Rassismus die Schuld gegeben.

Die Schweizer Mentalität ist von einer grossen Genauigkeit, einem Sicherheitsdenken angetrieben, und davon, dass ein Leben exakt planbar sein müsse.

Mit 16 hatte ich auch noch gedacht, dass ich einen festen Job hätte und eine Familie gründen würde. Ich hätte nie gewagt, mir vorzustellen, dass ich einmal das Leben führen könnte, dass ich jetzt habe. Dass ich in L.A. als Musikerin entdeckt und in Grossbritannien gepusht werde und einen Song für Cardi B ghostwrite. Meine Eltern haben sich dem nie in den Weg gestellt, auch wenn der Traum meines Vaters war, dass ich Diplomatin werde.

Wenn ich jetzt die jungen Menschen beobachte, sehe ich da allerdings eine viel grössere Flexibilität, was die Zukunftsvorstellungen betrifft, als damals bei mir. Kreative Fächer damals waren völlig egal. Logisch hatte ich eine Sechs in Singen, aber das zählte nichts. Natürlich hilft heute das Internet, man findet viel schneller Gleichgesinnte und Support. Die Jungen heute sind viel weiter als ich damals.

Seit ich mit Musik angefangen habe, bin ich immer mit Männern zusammen. Immer, immer, immer. Für mich ist das normal, ich habe gelernt, damit umzugehen. Und gerade Rapper sind natürlich die totalen Machos. Da brauchst du Charakter, Durchsetzungsvermögen und ein paar ‹Brüetsche›, die dich nicht nur als Stück Fleisch betrachten, sondern als Künstlerin, die sie unterstützen wollen. Sonst wirst du gefressen.

Das Corona-Konzert von Ta'Shan, Undeey, Angela und AJ für SRF Virus

Die Übersexualisierung der Frau ist einfach normal. Ich arbeite auch selbst damit, weil ich provozieren will. Und weil ich meinen Körper für das Natürlichste auf der Welt halte. Etwas, das eigentlich kein Thema sein sollte, das aber zum Thema gemacht wird. Und wieso ist es eins? Weil die Männer es zum Thema machen! Übersexualisierung ist ein bisschen verpönt, aber eben schon geil. Und so drängen die Männer den Frauen auf, dass sie plötzlich übereinander richten. Dass sie sagen, das geht noch, das geht aber gar nicht.

Man versucht Frauen auch immer einzureden, dass eine andere Frau eine Konkurrentin sei. Während sich die Männer in diesem Rap-Game alle gegenseitig hochhypen und Bros sind. Dieses Konstrukt müssen wir brechen.

Kaum ist mal eine Frau im Studio, ist da so eine andere Energie, dass ich immer sage, hey, es ist so schade, dass es das nicht viel öfter gibt! Gerade in den technischen Berufen gibt es immer noch sehr wenige Frauen – oder man kennt sie einfach nicht. Neulich habe ich zum ersten Mal in der Schweiz eine Produzentin kennengelernt. Sie ist 16 und fantastisch! Und da müssen wir uns jetzt vernetzen und für einander sichtbar werden.

Die Generation Instagram ist schon ganz gut connected, da ist man sich gewohnt, alles voneinander preiszugeben. Und auch das ist typisch Schweiz: Wir vermarkten uns nicht gerne. In Amerika habe ich schnell gelernt, dass alle sofort sagen, was sie können. Da weiss man Bescheid. Vielleicht verkauft sich die Person dann auch etwas zu gut, aber das findet man ja schnell raus. In der Schweiz muss man den Leuten alles aus der Nase ziehen.»

Vernetzt euch! Music Directory hilft dabei
Allzu oft heisst es: Frauen? Würde ich gerne mehr veranstalten, aber ich finde keine! Wo sind Schlagzeuger*innen, E-Gitarrist*innen, Produzentin*en, an denen sich interessierte junge Frauen, inter, trans und non-binäre Menschen orientieren können? Mit denen sie vielleicht auch in Kontakt treten könnten? Die neue Plattform Music Directory hilft ihnen dabei, sichtbarer zu werden und sich miteinander zu vernetzen. Prominente Kampagnenträger*innen sind u.a. BigZis, Steff la Cheffe, Brandy Butler, Stefanie Heinzmann, Sina, KT Gorique, Dansita oder Msoke. Jede Sänger*in, Instrumentalist*in, Tontechniker*in, Produzent*in, Veranstalter*in etc. kann sich registrieren – egal, ob sie professionell oder hobbymässig tätig ist.

Helvetiarockt, die Organisation hinter Music Directory, hat sich 1000 Einträge bis Ende November 2020 zum Ziel gesetzt. Helvetiarockt setzt sich seit 10 Jahren für Gleichstellung in der Schweizer Musikbranche ein und hat u.a. die mittlerweile bei Veranstalter*innen sehr gefragte Diversity Roadmap entwickelt. Ähnliche Plattformen in anderen Branchen sind die von Patty Basler gegründeten comedyfrauen.ch oder SWAN (Swiss Women's Audiovisual Network).

Angela Glauser, Multi-Instrumentalistin, Liebefeld

musicdirectory
bild: zvg

«Ich wurde auch schon ein, zwei Mal von einem Türsteher nicht in den Backstage gelassen, weil er mich für ein Groupie hielt. Da brauchst du dann einfach eine grosse Klappe. Ich sagte, ey, was erlaubst du dir eigentlich, du warst doch da beim Soundcheck, wer stand auf der Bühne? Hast du nicht aufgepasst?

Einmal half ich einer bekannten Berner Rockband – den Namen sag ich jetzt nicht – beim Soundcheck aus, weil sich ihr Keyboarder verspätet hatte. Danach sagte einer der Band: Angie, du bist zwar gut, aber merk dir, wir sind eine Rockband und bei uns stehen nur Schnäbis auf der Bühne. Dabei hatte ich nur ausgeholfen! Schon fühlten sie sich bedroht. Aber sowas hörte ich öfter.

Es hiess, ich sei zu süss, ich wirke zu unschuldig, meine Optik würde das Image einer Rockband negativ beeinflussen. Egal wie gut ich als Musikerin sei.

Mir war Gleichberechtigung immer schon wichtig. Nicht nur geschlechterspezifisch, sondern auch innerhalb einer Band. Ich wollte nie als Person im Vordergrund stehen, sondern als Band, in der auch jedes Instrument gleichberechtigt ist. Leider ist sowas nicht bei vielen Bands gefragt. Ich hatte mal einen Mentor, einen super Salsa-Pianisten, und er sagte: Angie, ich unterstütze dich gerne, damit du mehr Exposure als Frau und Gitarristin bekommst. Aber sei dir bewusst, dass du deine Jobs als Mitmusikerin nur behalten kannst, wenn du immer ein bisschen weniger gut bist als die, die dich anstellen. Im Moment spiele ich für Blind Boy De Vita, und das ist traumhaft, da darf ich mich einbringen und werde gefragt, wie ich etwas verbessern würde.

Jungs verändern sich stark in der Pubertät, Mädchen bleiben recht konstant, das sehe ich, wenn ich unterrichte. Das heisst, Jungs spielen ein Instrument, weil sie damit den Mädchen gefallen wollen, Mädchen spielen eins, weil ihnen das Instrument gefällt. Sehr herzig. Aber alle sind sehr anständig zueinander und haben stilistisch ähnliche Interessen, vorwiegend ist das Rock. Es wollen auch immer mehr Mädchen Schlagzeug spielen.

Als ich so alt war, hiess es, Schlagzeug ist nichts für Mädchen. Zum Glück musste ich als Kind nicht mit Blockflöte einsteigen, mein Vater hielt nichts davon, er war selbst eher der Rocker und spielte Schlagzeug und hatte deshalb nichts dagegen, als ich mich für Schlagzeug entschied. Da war ich fünf. Mit dreizehn schauten wir zusammen eine Woodstock-DVD, ich sah Jimi Hendrix und wusste, dass ich auch noch Gitarre spielen wollte, war so mitgerissen von dieser Lebendigkeit.

Mein Vater sagte, okay, das Instrument bezahl ich dir, aber Unterricht nicht auch noch, Klavierunterricht ist schon teuer genug. Und so brachte ich mir Gitarre und später E-Gitarre autodidaktisch bei. Ich wollte abrocken, mit dem Klavier konnte ich nicht so richtig die Sau rauslassen. Und besonders von anderen Mädchen hörte ich damals oft, dass ich als Mädchen doch besser singen sollte.

Heute sind wir in einer Phase, wo der Respekt für Künstlerinnen wächst. Wo auch mal bewusst eine Gitarristin gesucht wird. Es wird langsam zu einer Normalität, dass Frauen und Männer gleich gut sind. Bei den Kids, die ich unterrichte, ist das bereits selbstverständlich. Alle unterstützen sich gegenseitig.»

DJ Undeey, Zürich

musicdirectory
bild: zvg

«Mein Tipp? Ich will es jetzt nicht umgangssprachlich sagen, aber du musst die Arschkriecherei vermeiden. Frauen neigen dazu, immer etwas zu nett, zu unterwürfig zu sein. Männer sind untereinander viel direkter, die sind immer schon Homies, als Frau fragt man erst mal nett. Dabei geht es am Ende einfach ums Business. Um harte Verhandlungen. Das muss man lernen. Schliesslich will ich einfach als professionelles Gegenüber wahrgenommen werden.

Aber es ist so, dass Frauen immer noch etwas mehr sein müssen als einfach der Profi, der arbeiten will. Frauen muss man anschauen können. Frauen müssen herzig sein. Frauen müssen möglichst viel Haut zeigen und damit macht man dann Plakate. Muss irgendein männlicher DJ Haut zeigen? Eben. Ich bin DJ und dann eine Frau. Natürlich gibt es gerade im HipHop viele Frauen, die das einfach machen mit der nackten Haut, die sich sagen, na ja, Sex sells, das ist der Weg des geringsten Widerstandes.

Ich selbst fühle mich bedeckt eher wohl, zeige oft gar keine Haut. Die Musik steht im Mittelpunkt, nicht ich, und die Leute auf dem Dancefloor sollen sich selbst im Mittelpunkt fühlen.

Ich hatte noch nie einen Manager, aber es gab immer diese Mittelsmänner, die glaubten, sich zwischen mich und den Job stellen zu müssen. Music Directory soll nun ermöglichen, dass man einerseits die Frauen in der Musikbranche findet, dass sich aber auch die Frauen untereinander schneller finden und vernetzen. Damit wir am Ende ganz ohne Mittelsmänner auskommen. Und damit wir jungen Frauen und Mädchen, die in der Musikbranche ihren Weg gehen möchten, mit Rat beistehen können.

Ich arbeite etwa zu 50 Prozent als DJ und zu 50 Prozent am Flughafen, ich liebe meinen Job dort, ich liebe das internationale Publikum und die fremden Sprachen. Corona hat alle meine geplanten DJ-Jobs stillgelegt. Dabei war ich 2020 bereit für das nächste Level meiner Karriere, vieles stand an, was ich mir zum Ziel gesetzt hatte. Jetzt habe ich einiges online gemacht, aber das ist überhaupt nicht das Wahre, kein Vergleich. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Es kommt jetzt auf uns alle an. Darauf, wie intelligent wir uns verhalten. Oder wie dumm.»

*Quelle: Helvetiarockt

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Musiker und Musikerinnen Topverdiener 2019
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Musiker und Musikerinnen Topverdiener 2019
Platz 25: Guns N' Roses mit 44 Millionen Dollar.

Bild: Keystone/SDA
quelle: ap / jack plunkett
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Wenn sich Männer die Sprüche anhören müssten, die sonst nur Frauen abkriegen
Video: watson
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122 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Upsidupsiwiederda
20.10.2020 14:57registriert März 2020
Bei uns in der Stadt sind sogar 100% Männer auf dem Kehrichtwagen, Mädels macht was dagegen.
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Benjamin Keller
20.10.2020 14:45registriert März 2020
Männer auf ihre Geschlechtsteile reduzieren. Nicht sehr intelligent. (Goldene Regel anyone?) Stell dir vor da würde Titten stehen. Das würde wohl nicht gut ankommen.
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höckli
20.10.2020 14:42registriert Juni 2020
Sina, Beatrice Egli oder Fabienne Louves - sie schafften den Durchbruch. Die Frauen im Artikel sind gänzlich unbekannt. Da stellt sich die Frage ob hier nicht einfach mangelnder Erfolg kaschiert werden soll.
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