Kinder sind das gar nicht heimliche Herz von COLLECTION LOCKDOWN, der in Rekordzeit von Filmemacherinnen und Filmemachern aus allen Landesteilen realisierten Kurzfilmsammlung zum Thema Corona. Denn plötzlich wurden die Kinder zum Zentrum einer verkürzten Welt. Und zum komischen Spiegel ihrer Eltern.
Ganz besonders lustig ist dies in «Heimschule bei Klugscheissers» (doofer Titel) von Thomas Haemmerli: Die Mini-Mes eines typischen, in die Jahre gekommenen Zürcher Kreativwirtschaftlers wissen genau, was der Unterschied zwischen Madrid und Magritte ist. Doch weil sie Kinder sind, müssen alle Ambitionen wieder und wieder an ihrer anarchischen Ausgelassenheit scheitern. So wie der Vater an den Gebrauchsanweisungen von Instrumentenbauern und Computerfabrikanten scheitert.
Germinal Roaux aus Lausanne geht nach Wochen zuhause mit seiner Kamera nach draussen, um endlich den Frühling wiederzusehen. Und obwohl er diesem in Schwarz-Weiss begegnet, entfaltet sich vor unseren Augen eine Orgie der Wiedersehensfreude, die total elektrisiert.
«Revoir le printemps» huldigt schlafenden Lämmchen und Bienen auf Blüten, dem Rauschen des Baches und dem Wind in den Bäumen. Man will das sehen, riechen, spüren, streicheln, es ist wie ein Frühlingsgedicht, das sich plötzlich zu einem ins Bett legt und Liebe macht. Sensationell schön (zum Film gelangt ihr, wenn ihr auf dieser Seite runterscrollt).
Kinder zeigen uns die Welt, wie sie ihnen nicht gefällt – und das gefällt wiederum uns gar nicht. Ist aber natürlich erneut sehr lustig. Denn was findet sich in so einem Filmemacher-Haushalt im Überfluss? Kameras! Sieben Stück insgesamt. Kein Wunder, beginnen da die Kinder – ganz nach dem Vorbild der Erwachsenen – auch mit Kameras Dinge zu beobachten. Und andere zu überwachen. Und so verwandeln sich in «2 Kinder – 7 Kameras – 1000 Verbote» von Luise Hüsler die lieben Kleinen von Ein- und Ausgesperrten allmählich in kleine Polizisten.
Undenkbar, dass eine Schweizer Kurzfilm-Auswahl ohne Berge auskäme. «Echo» von Noël Dernesch zeigt zwei Männer aus Grindelwald, die viel über den Tod und das Alleinsein nachdenken. Man dürfe sich von der Todesangst aber nicht lähmen lassen, sagt der eine, sonst könne man ja gleich «nur noch wandern».
Der andere erzählt von der Pest, die auch in Grindelwald gewütet habe, und dass er schon sein Leben lang mit einer neuen Krankheit rechne, gegen die es noch kein Medikament gebe. Jetzt ist sie da. Und angesichts der ewigen Eigernordwand und mit der Pest-Anekdote im Rücken wird man noch einmal von einem neuen Schauern gepackt.
Lugano. Mann, Frau, Kind und Katze. Homeschooling und Homefriseuring, was beides nur mit sehr viel Liebe auszuhalten ist. Und dann wird der ganz normale, in allem leicht gelähmte Lockdown-Alltag mit hyperlebendigen Ultraschallbildern gegengeschnitten, die live aus dem Spital über den Bildschirm zuhause flimmern, denn im Bauch der Frau befindet sich ein weiteres Kind.
«Quasi padre, quasi figlio» ist eine definitiv im Rausch der Glückshormone entstandene, rührende Liebeserklärung von Niccolò Castelli an jene Menschen (und Viecher), die eine vermeintlich kleingeschrumpfte Welt für ihn zu einer riesengrossen machen (zum Film gelangt ihr hier). Dieser Tipp ist Anna Rothenfluh und Rafi Hazera gewidmet.
Eigentlich ist es tragisch: Da ist Andrea Stakas neuer Spielfilm «Mare» gerade mal drei Tage in den Kinos – und schon legte der Lockdown alles still. So viel Arbeit war umsonst gewesen. Also beschliesst sie, sich dem zu widmen, was bleibt: ihrer Familie. Das Resultat: «My mom, my son and me». Sie fragt ihren Sohn und seine drei Freunde, mit denen er Homeschooling macht, über Dinge aus, über die besonders Söhne nicht gerne Auskunft geben. Zum Beispiel über die Liebe.
Und sie spricht mit ihrer alten Mutter. Fürchtet sich diese? Nein. Wie solle sie schon krank werden, wenn sie eh nur einmal die Woche in einer leeren Migros einkaufen gehe? Verwandte und Freunde aus der alten Heimat, dem ehemaligen Jugoslawien, wo strikte Ausgangssperre herrscht, schicken Botschaften und Videos, eine Freundin zählt jeden Tag die Schritte, die sie in der Wohnung macht. Nicht nur die Zürcher, auch die internationale Familie ist sich näher. Und in der Zeit der grossen Beschränkung machen kleine Freiheiten das Leben ungeahnt leicht.
Als SRF die Schweizer Filmszene vor wenigen Wochen dazu aufrief, den Lockdown kreativ zu begleiten, wurden 80 Ideen eingegeben, 33 erhielten den Zuschlag. Also Geld und technische Unterstützung. Neben den oben genannten – allesamt Dokumentarfilme –, gibt es auch ein paar fiktionalisierende Versuche, die in der Umsetzung (Drehbuch, Schauspielerführung) leider deutlich abfallen.
Dabei sind einige der Ideen interessant: «Nebenwirkungen» von Karim Patwa und «Virula» von Frédéric Gonseth & Catherine Azad nähern sich Corona mit Scinece-Fiction-Versuchen: Patwa erzählt von einer Epidemie, deren Überlebende sich in Zombie ähnliche Tiere verwandeln, und Gonseth/Azan erfinden eine Seuche, die nur Kinder befällt und damit die Zukunft verhindert – theoretisch jedenfalls.
Die Filme «Business as usual» von Daniel Wyss, «Raum für Revolution» von Nathalie Pfister oder «Von gestern auf heute» von Jela Hasler sind dem Phänomen der Leere gewidmet, den Autobahnen, auf denen man zu Fuss gehen könnte, den Betonstädten, deren brutalistische Architektur erst zutage tritt, wenn sie nicht mehr bevölkert sind. Da bleiben Monumente des Stillstands und die Realisierung, wie chaotisch und vibrierend der Mikrokosmos des Privaten im Lockdown plötzlich wurde. Und wie tot das grosse öffentliche Draussen.
Die Kurzfilme aus der Deutschschweiz finden sich unter diesem Link. Alle aus der Romandie auf dieser schön kuratierten Seite. Und die Bündner und Tessiner Beiträge hier.