Nicole Kidman spielt jetzt zum vierten Mal eine Figur namens Grace, und es ist, als kämen in dieser Grace Nummer vier all ihre vorherigen Graces zusammen: Die irgendwo zwischen Wahn und Wirklichkeit taumelnde Grace aus «The Others»; die in einer perversen Beziehungskonstellation gefangene Grace aus «Dogville»; schliesslich die steinreiche, hyperprivilegierte Grace aus «Grace of Monaco».
Wir sind in New York, Kidman spielt eine Paartherapeutin, die fies und messerscharf die Schwachstellen jeder Beziehung ortet, Hugh Grant ist ihr Gatte, ganz Grantscher Zyniker, aber von Beruf ein erfolgreicher, empathischer Kinderonkologe. Ihr gemeinsames Leben besteht daraus, Geld zu verdienen und Geld zu spenden, aus Empfängen und Charity-Kaffeekränzchen.
Graces Vater (Donald Sutherland) ist gar so reich, dass er nicht irgendwo wohnt, sondern direkt am Central Park. Mit unverstelltem Blick auf den grossen See. Es beginnt wie schon «Big Little Lies» mit Nicole Kidman als vergoldete Edel-Soap. Und wie bei «Big Little Lies» steckt David E. Kelley («Ally McBeal») als Creator dahinter.
Doch dann findet sich die brutal zugerichtete Leiche einer sehr jungen, sehr schönen Frau, die versucht hat, in ihre illustren Zirkel einzudringen. Mehr sei hier nicht verraten. Denn was sich daraus entwickelt, ist ein Thriller, der die Zuschauenden wie seine Protagonisten derart oft in die Irre führt und überrascht, dass es schon fast Hitchcocksches Format hat. Da wird intrigiert und manipuliert, belogen, betrogen und bedroht, man traut niemandem mehr und schon gar nicht seinen Augen. Die Cliffhanger zwischen den Folgen sind unfassbar.
«The Undoing» liefert ein ungemein dichtes, aufregendes und gelegentlich erregendes Spiel von einem übersichtlichen, hochkarätigen Ensemble. Und wenn man sich nach dem Finale noch einmal alle Folgen, alle Dialoge und Gesten in Erinnerung ruft, dann merkt man erst, wie exakt das alles trotz gelegentlicher Trash-Einschüsse geschrieben und gefilmt ist.
Kidman war schon immer eine Schauspielerin, die gekonnt mit dem Abgründigen zu flirten weiss und deren Figuren bei allem Oberflächen-Glanz Seelen besitzen, die ganz scheckig sind vor lauter Flecken. Und Hugh Grant ist mit seinen sechzig Jahren auf dem Höhepunkt seines Könnens. Als wäre mit jeder Falte noch eine Facette der Ausdrucksmöglichkeit hinzugekommen. Der alte Hugh, der charmante Schwerenöter, flackert ab und zu wieder auf – als strategisch fein gesetztes Zitat.
P.S. Regie führt übrigens die Dänin Susanne Bier («Bird Box», «The Night Manager»), und deshalb hat eine andere berühmte Dänin, nämlich Sofie Gråbøl, einst Kommissarin Sarah Lund, auch noch eine schöne Rolle bekommen.
P.P.S. Und hier noch ein persönlicher Nachsatz: Nach «The Undoing» verzeihe ich Hugh Grant. Alles.
«The Undoing» gibt es bei uns auf Sky Show zu sehen.
Schon seit Jahren wünsche ich mir eine Serie, die im Milieu der internationalen Organisationen von Genf spielt. Möglicherweise noch garniert mit etwas Science Fiction aus dem CERN. Und abgeschmeckt mit «The Fear Index», dem in Genf spielenden Algorithmus-Thriller von Robert Harris. Die RTS-Serie «Quartier des banques» war ein ganz guter Anfang, auch wenn da weder die Organisationen noch das CERN drin waren.
«Cellule de crise» («Ohne Grenzen») mag sich zwar auch noch nicht mit dem CERN beschäftigen, sticht aber mitten hinein ins intrigante Wimmelbild von zwei grossen Organisationen, dem UNHCR-Imitat HCIH und der FIFA-Kopie FFIO. Flüchtlingshilfe und Fussball verschränken sich da über gemeinsame Machtstrukturen, die allesamt auf Bestechung, Nepotismus oder ganz einfacher Gewalt beruhen. An ihrer Spitze: richtig alte weisse Männer.
Doch jetzt geht es um ihre Nachfolge. Ein saudischer Prinz will FFIO-Präsident werden. Eine Dozentin für Völkerrecht soll den im Jemen von einer minderjährigen Selbstmordattentäterin in die Luft gesprengten HCIH-Präsidenten ersetzen. Allerdings will ihre Geliebte den gleichen Job. Überhaupt gibt es keine glücklichen Paare in «Cellule de crise» – etwa, weil ein Paar sowas wie die Keimzelle eines grösseren Organismus und also auch einer Organisation ist?
Einer der richtig alten Männer hat gar seine Gattin tot im Keller liegen. Werden wir jemals erfahren, wer sie ermordet hat? Oder ob die langsam verwesende Leiche blosse Einbildung war? Die Cliffhanger von «Cellule de crise» sind wie bei «The Undoing» sensationell. Und auch sonst ist viel los: Da wird gereist, durch Wüsten gefahren, an Exkursionen, Explosionen und Exekutionen wird nicht gespart, ein Flair von «Homeland» liegt über dem Ganzen, auch wenn Protagonistin Suzanne Fontana (Isabelle Caillat) nicht verrückt wie Carrie Mathison ist. Aber genauso stur auf das Lösen grosser Weltprobleme versessen.
Insgesamt ist die Serie, die ab dem 2. September auf SRF, RTS und TSI läuft und integral und in allen Sprachfassungen auf Play Suisse abrufbar ist, ein kühner, aber kühler Wurf. Kühl, weil vielleicht jeder dieser Jobs und – so lässt uns Aussenstehende die Serie vermuten – jeder Mensch dahinter grundsätzlich unsympathisch ist.
Vielleicht aber auch, weil die schweizerisch-belgisch-luxemburgische Koproduktion unter der Regie von Jacob Berger zu sehr auf international kompatiblen Aktivismus setzt und jede Tiefenzeichnung scheut. Ein bisschen Eurotrash ist das schon – aber angenehm temporeicher.
P.S. Und das CERN? Das muss weiterhin auf seinen grossen Auftritt warten.
«Cellule de crise» läuft ab dem 2. Dezember auf SRF1 jeweils mittwochs um 23 Uhr in Doppelfolgen und integral auf Play Suisse.