Eine einsame Insel fernab der Zivilisation, darauf ein Gestrandeter, der um sein Überleben kämpft. Der Plot, aus dem Daniel Defoe 1719 seinen «Robinson Crusoe» ersann, musste in den letzten 300 Jahren für vieles herhalten: italienische Slapstick-Komödien, smarte Dandy-Romanzen, moralinsaure Kinderbücher und TV-Serien wie «Die Schweizer Familie Robinson», lächerliche Science-Fiction-Thriller wie «Robinson auf dem Mars» oder für ein existenzialistisches Psycho-Drama mit Tom Hanks: «Cast Away». Jede Generation hat aus Daniel Defoes Erzählung das herausgenommen, was ihr in den Zeitgeist passte.
Um die Jahrtausendwende begann das Reality-Survival mit der «Expedition Robinson». Der Schweizer Sender TV3 setzte eine Gruppe abenteuerlustiger Kandidaten für fast zwei Monate auf einer einsamen Insel aus und versprach jener Person, die es am längsten aushielt, zehntausend Franken. Nicht das Überleben in der Wildnis ist das eigentliche Thema der Sendung, sondern das Überleben in der sich zersetzenden Gruppe.
Was in «Dschungelcamp»-Zeiten heute keine Stechmücke mehr aufschreckt, war damals komplettes Neuland. Doch es war erst der harmlose Anfang einer Serie von Insel-Formaten, in denen die Teilnehmer immer nackter, der Überlebensgedanke immer marginaler, der Sextrieb dafür zentral wurde.
Der Höhepunkt der Insel-Kuppel-Shows schoss RTL mit «Adam sucht Eva – gestrandet im Paradies» 2014 ab. Ein nackter «Robinson» trifft auf eine nackte Inselschönheit und soll sich bitte in sie verlieben und wenn nicht, dann wenigstens mit ihr etwas turteln. Zur Erhöhung der erotischen Spannung stranden jeden Tag neue nackte Schönheiten am Strand und bezirzen Robinson.
Es geht um Sex und Liebe, vor allem aber um Exhibitionismus und Fremdschämen. Als ob der echte Robinson, beschrieben von einem prüden Engländer, auch nur einen Tag nackt auf seiner Insel verbracht hätte. Der Original-Robinson hält die Errungenschaften der Zivilisation und die Moral auch in der Wildnis aufrecht. Bei den Teilnehmern von Formaten wie «Love Island» bröckelt der Putz der Zivilisation mit jedem Tag unter der tropischen Sonne weiter ab wie die sonnenverbrannte Haut von den Körpern.
Damit nicht genug der modernen TV-Robinsonaden. Etwas weniger skandalös, dafür mit stabiler Fangemeinde hält sich eine ganze Auswahl an Survival-Shows auf den Sendern.
Das Grundmotiv: Menschen werden, ausgerüstet nur mit dem Allernötigsten, in der Wildnis ausgesetzt und müssen vor laufenden Kameras überleben. Die Titel der Shows – «Ausgesetzt in der Wildnis», «Allein in der Wildnis» oder gar «Naked Survival» (nackt zieht immer) – sind so einfallsreich wie der Inhalt: Er gegen sie, Mann gegen Natur.
Die Natur nimmt dabei eine seltsame Doppelbedeutung an. Sie ist feindlicher Lebensraum und zugleich sehnsuchtsbesetzter Ort, der mit der romantischen Vorstellung von Unberührtheit aufgeladen wird. In den Shows wird gekreischt, geweint, geblutet, bevor die Kamera über unberührte Dschungeltäler fliegt – und dabei aufpassen muss, dass das LuxusResort in der Nähe nicht ins Bild rückt. Die Wildnis, das Inselidyll sind genauso künstlich geworden wir die muskelbepackten, zurechtoperierten Robinsons der 21. Jahrhunderts.
Aber eine Frage geht mir doch immer wieder durch den Kopf: was denken eigentlich die Einheimischen vor Ort von diesen Drehs? Die finden doch in Asien statt, wo sie eher zurückhaltend sind?