Sie nennt ihn «meinen süssen Kuchen». Er schenkt ihr Rosen. Sie ist 13. Er 11. Dasha und Wanja. Zwei Kinder, die ein Paar sind, herzig, unschuldig. Sie leben in der sibirischen Stadt Schelesnogorsk, nordöstlich von Krasnojarsk. Schelesnogorsk heisst «Stadt der eisernen Berge» und entstand 1950 rund um eine kerntechnische Anlage zur Produktion von waffenfähigem Plutonium. Auf dem Wappen ist ein aggressiver Bär zu sehen, der ein Atom spaltet.
Dasha sorgt dafür, dass Wanja sich im eisigen sibirischen Winter warm anzieht, denn seine Mutter tut das nicht, sie ist Alkoholikerin. Auch Wanja hat schon Alkohol getrunken. Dashas Mutter hat Krebs. Väter sind keine vorhanden. Es sind nach allen Seiten hin triste Verhältnisse. Doch was nach einem demprimierenden Arthouse-Sozialdrama klingt, ist wahr. Leider.
Denn da ist plötzlich die Sache mit Dashas Bauch und der Übelkeit. Erst denken alle, sie habe eine Lebensmittelvergiftung. Doch die 13-Jährige ist schwanger. Von Wanja, sagt sie. Er ist geschockt und hat keine Ahnung, wie das passieren konnte, will aber zu ihr halten. Doch dann wird er untersucht, und der Arzt sagt, er sei noch fern von zeugungsfähig, sein Körper sei der eines Kindes.
Dasha sagt, sie sei vergewaltigt worden. Von einem 15-Jährigen Schüler aus Schelesnogorsk. Er sei sehr dick und sehr gross gewesen und habe sie ihn einen Hauseingang gezerrt. Der Schüler ist unter Hausarrest, die Polizei ermittelt. Dasha und ihre Mutter sind strikt gegen Abtreibung. Und Dasha beschliesst, sich und ihre Schwangerschaft zum Internet-Phänomen zu machen. Sie will Influencerin werden und Sponsoren finden, die ihr ermöglichen, ihr Kind grosszuziehen.
Dasha, Wanja und ihre Mütter haben genau die Art von Trash-Schicksal, die das Fernsehen mag. Sie tingeln durch Talkshows. Gemeinsam mit dem Arzt, der Wanja untersuchte und vor laufenden Kameras detailliert über deren Reife und Körper Auskunft gibt. Aus der Krebserkrankung der Mutter wird jetzt «Krebs im Endstadium», und die Mutter erklärt heroisch, dass sie jetzt nicht an sich selbst denken dürfe, sondern nur an ihr Kind und dessen Kind. Sie habe jetzt den Befehl zum Weiterleben. Es ist ein Elendszirkus.
Die Stadt hasst die beiden Familien. Dasha gilt als Hure. Ihr achtjähriger Bruder wird gemobbt. Wanja fragt, wo er sich aufhängen könne. Dasha schluckt Tabletten, weil sie sterben will. Das ist Anfang Jahr. Aber sie ziehen das durch. Schwangerschaft und Internet. Die Schwangerschaft im Internet. Dasha schreibt über ihren Instagram-Account: «Ich gehe mit einem elfjährigen Jungen aus und es ist mir egal.» Sie ist jetzt 14, Wanja 11.
Russische Psychologen sagen, all das, die Vergewaltigung, die Schwangerschaft, der Traum von der Influencer-Karriere komme davon, weil die Kinder auf dem sibirischen Land nichts hätten, keine Hobbys, schlechte Bildung, keine Perspektiven. Es seien Russlands verwahrloste Kinder. Mit 460'000 Insta-Followern. Das sind gut fünfmal mehr Menschen als Schelesnogorsk Einwohner hat.
Am 16. August gebärt Dasha ihr erstes Kind, eine Tochter. Am Tag zuvor trinkt sie Rhizinusöl, ein Hausmittel, das angeblich den Darm anregt und mit den so entstehenden Kontraktionen die Gebärmutter stimulieren soll, damit die Geburt leichter wird. Doch im Spital ist sie überfordert, ihr Körper ist überfordert. «Ich konnte spüren, wie die Knochen zu knirschen begannen», schreibt sie, «aber das ist nicht der Schmerz, den ich fühle, ich fühle nichts ausser Wehen.» Sie erhält einen Dammschnitt. Als das Baby da ist, fällt sie für drei Stunden in eine tiefe Ohnmacht vor Erschöpfung.
Neun Tage später darf sie mit der kleinen Emilia nach Hause. Wanja schenkt ihr rosa und weisse Nelken. Die drei sind jetzt sowas wie eine Familie. Wenn ihre Tochter 18 wird, ist Dasha 32 und Wanja 29. Gewissermassen längst erwachsen. Wenn sie das nicht jetzt schon sind.
Auf den People-Portalen der Welt trägt Dasha jetzt den Titel «Instagram-Star». Normalerweise scheint in Instaland immer die Sonne. Bei Dasha aus Schelesnogorsk scheint sie einzig auf einem Bild aus dem Sommer, bevor sie schwanger wurde. Von einer Fototapete.
Immerhin, das mit der Social Media präsens scheint momentant zu Klappen, knapp 200 000 Follower auf TikTok.
Wenn das gut läuft, ist das dann wohl die eine, die ihre Biographie, die vermutlich in Russland von tausenden geteilt wird, monetarisieren kann.