Sie spielte acht Jahre lang die Maja in «Lüthi und Blanc». Wohnte mit ihrem Steve über der Calvados-Bar am Idaplatz im Zürcher Kreis 3. Auch heute kommen dort noch Fangruppen vorbei. Sagen: «Wir sind wohl im falschen Film», wenn es in Realität ganz anders aussieht als in den Kulissen der Schoggisoap. In Locarno eröffnete «Amur senza fin» (Rätoromanisch für «Ewigi Liebi»), der Film mit Tonia Maria Zindel, am 1. August das Festival.
Als «Lüthi und Blanc» 1999 bis 2007 lief, dachte ich: Du bist die schönste Frau
der Schweiz. Ist das jetzt unangebracht?
Du hast auch mal geschrieben, ich gehöre mit
Michelle Hunziker und Melanie Winiger zu den drei schönsten Frauen der Schweiz.
Ich dachte: Hey, ich bin in der Missen-Liga angekommen!
Hm.
Pardon. Okay, bleiben wir bei DER Schönsten ... Erstens meinte ich das
natürlich äusserlich, aber du hast auch so herzzerreissend gespielt, das berührte
mich sehr.
Ohhhh, sehr lieb! Zur Beruhigung: Ich hab
nicht jeden Morgen in den Spiegel geschaut und gedacht, boah ey, bin ich schön.
Aber es war eine wunderbare Zeit. Die tollen Mundart-Dialoge von Katja Früh und
all die grossen Kollegen, die mitmachten. Von Jörg Schneider zum Beispiel habe
ich Demut gelernt. Er war ja ein riesiger Volksschauspielstar. Aber er war
immer friedlich und freundlich, hatte der Arbeit gegenüber Respekt und machte
sie einfach.
Und
dann starb dein «Lüthi und Blanc»-Partner Martin Schenkel kurz vor seinem 35.
Geburtstag an einem Gehirntumor. Wie war das?
Furchtbar! Furchtbar!
Ihr
wusstet das gewiss schon länger.
Nicht wirklich, er hat es für sich behalten.
Hör auf, ich muss gleich weinen!
Bitte
nicht!
Ich wohnte zwischen den Dreharbeiten in
Berlin, auch um dem ganzen Rummel zu entgehen – und er ruft mich an und
verabschiedet sich. Er sagte: «Ich glaube, ich sterbe bald, vielleicht ist dies
das letzte Mal, dass ich überhaupt noch sprechen kann ...» Es war so ein
Geschenk, mit ihm zu arbeiten. Er war damals ein Star – er hatte «Fascht e
Familie» gemacht und war ein erfolgreicher Musiker –, und das färbte alles auf
mich ab. Er war sehr grosszügig mit seinem Ruhm und betrachtete das auch sehr
nüchtern.
Für uns
Zuschauerinnen und Zuschauer war sein Tod ein wahnsinniger Schock.
Er wollte halt seine Privatsphäre schützen, er
und seine Frau hatten ja ein ganz kleines Kind. Jetzt gerade läuft «Lüthi und
Blanc» ja im Nachmittagsfernsehen, da habe ich mal reingeschaut und alles ist
mir wieder hochgekommen, als ich ihn gesehen habe.
Bei «Lüthi
und Blanc» wurde überdies auch noch der sehr kleine Joel Basman entdeckt!
Wie alt war er damals? 13 oder 14? Er sollte
sich entscheiden, was er mal werden will, und ich sagte mit so einem
mütterlichen Impetus: «Du hast noch Zeit, mach doch vielleicht erst eine
Lehre!» Er sagte zu mir: «Tonia, sei ruhig, du hast auch keine richtige
Ausbildung, wieso sagst ausgerechnet du, ich solle eine Lehre machen?» Und ich
dachte, ja klar, absurd. Zudem sind mir Schauspieler, die andern davon abraten,
Schauspieler zu werden, suspekt. Und jetzt ist er einer der wichtigsten im
deutschsprachigen Raum, great, oder?
Du hast
also keine richtige Ausbildung?
An der Kantonsschule in Chur gab's eine sehr
ambitionierte Theatertruppe, die die Welt verändern wollte. Ich fand, jawoll,
Revolution, fertig jetzt! Da waren auch Ursina Lardi und Mike Eschmann dabei.
Wir spielten «Marat/Sade» von Peter Weiss. Das war so gut, dass wir auch noch
im Stadttheater Chur spielen durften, wir füllten die Hütte viermal. Und ich brach die Kanti ab und ging mit sehr viel Selbstbewusstsein nach Zürich an die
Schauspielschule.
Was
war das Stück oder der Film, bei dem du wusstest: Ich werde Schauspielerin?
«Bonnie und Clyde», da wusste ich: Woahhhh,
das ist es! Vorher hatte ich mir all die alten Schinken am Fernsehen angeschaut:
«Vom Winde verweht», «Sissi», «Giants», alle Rock-Hudson-Filme, «Doktor
Schiwago», all das epische amerikanische Zeugs, später Fassbinder ...
... in
«Doktor Schiwago» gibt’s auch eine Tonia.
Ja, wieso heiss ich wohl so?
Als ich
«Amur senza fin» gesehen habe, war ich platt: Ich hab erst jetzt begriffen, wie
wahnsinnig schön Rätoromanisch eigentlich klingt. Wie gern man dem 90 Minuten
lang zuhört. Wie muss ich mir deine rätoromanische Kindheit in Scuol
vorstellen?
Wir redeten zuhause Deutsch und Rätoromanisch.
Kindergarten und Schule waren am Anfang nur auf Romanisch, ab der vierten
Klasse kam Deutsch als Fremdsprache hinzu. Weisst du, wie das Unterrichtsbuch
hiess? «Deutsch für Ausländer». Im
Ernst! Die ersten Sätze waren: «Ist Helga ein Junge? Nein, Helga ist kein
Junge. Helga ist ein Mädchen.» Für die rein rätoromanisch oder italienisch
sprechenden Kinder war es eine massive Fremdsprache. Ab und zu kamen deutsche
Forschungsteams und haben uns studiert.
Bitte?
Ja. Sie machten Experimente mit uns, zeigten
uns zum Beispiel deutsche Filme und wir mussten aufschreiben, was wir überhaupt
verstanden hatten.
Das klingt, als hätten sie einen seltenen, vom Aussterben bedrohten Stamm besucht.
Ja, so war das. Ich fand das immer spannend,
ich habe das damals nicht als beleidigend empfunden.
Wie ist
denn das Gefühl, Teil einer sprachlichen Minderheit oder eher noch eines
Kuriosums zu sein?
Das sagst jetzt du! Ich nenn das den
Exotenbonus par excellence. Ich kann deshalb alle verstehen, die irgendwo fremd
was Neues anfangen müssen. Für mich ist das selbstverständlich.
Was
sich ja auch in deinem Job als Schauspielerin widerspiegelt.
Genau. Auch, sich mit Dingen auseinander zu
setzen, die man nicht erwartet hat. Oder von aussen mit Vorurteilen betrachtet
zu werden. Mir ist das sowas von Wurst.
Was
hast du gedacht, als MeToo vor bald einem Jahr losgegangen ist?
Ich dachte, aha, ja, war ja schon immer klar.
Und: Man geht einfach nicht mit aufs Hotelzimmer. Hallo? Was ist los mit euch!?
«I make you a big movie star, come with me.» Echt jetzt? Echt? Ich glaube nicht
...
Du hast
dich nie auf sowas eingelassen?
Ich habe von Natur aus keine devote
Ausstrahlung. Natürlich ist mir das begegnet, es gibt ja einfach extrem
beschränkte Typen. Lustig fand ich immer, wenn sie’s probierten und hässig
wurden, wenn man’s merkte. Diese Erwartung, dass man dann sagt: «Sure, yeah,
okay!» Man muss sich zu wehren wissen. Man sollte eine Elefantenhaut haben und
trotzdem ganz weich und beweglich bleiben und sich seine Frische erhalten. Für
mich war von Anfang an klar, dass ich mir die nicht nehmen lasse. Schon gar
nicht von derartigen Typen. Ich will mir meine Lebendigkeit bewahren.
Du bist
ja die Verkörperung der Lebendigkeit.
Ich hoffe es! Wenn ich ins Kino oder Theater
gehe, will ich bitte nicht gelangweilt werden! Das ist der höchste Anspruch an
mich selbst. Für mich ist gute Unterhaltung gute Unterhaltung, ich bin für
grenzenlose Interpretationsfreiheit, ich will E und U nicht trennen. Man wird
in meinem Job oft mit einer unendlichen Fantasielosigkeit konfrontiert. Aber
das können wir gut – wenn ich jetzt sage «wegstecken», ist das ja auch wieder
ein Wort, das man in diesem Zusammenhang nicht mehr sagen dürfte ...
Haha!
Flachwitze kann ich gut! Wenn mir jemand grob
und primitiv kommt, gebe ich gröber und primitiver zurück. Das kommt auch nicht
immer gut. Ist mir aber egal.
Wenn
deine drei Kinder alle Schauspieler werden möchten, wär das okay?
Die wollen anderes, Schauspiel ist so old
fashioned, hallo?
Was
wollen sie denn werden?
Influencer und YouTuber.
Seriously?
Yes, seriously. Aber weisst du was? Es kommt
da eine wunderbare neue Generation, mit ganz viel Lockerheit und Charme, sie
schauen enorm gut zueinander, sie haben einen total fortgeschrittenen Humor,
sie gehen wahnsinnig gut mit all den Fremdprojektionen der Erwachsenen um, die
finden, sie hätten es geschafft. Und hey, man darf seine Meinung auch wieder
ändern.
«Amur senza fin» (Regie Christoph Schaub) läuft am 23. September auf SRF. Mit deutschen Untertiteln.