Salomé Balthus, können wir bitte über Hotels reden? Ich liebe Hotels und sie scheinen in Ihrem Leben als Escort eine riesige Rolle zu spielen.
Es gibt in Hotels ungeheuer schöne Momente, etwa, wenn der Mann nach dem Sex eingeschlafen ist, und ich allein durch die Gänge streife und an der Bar noch ein Glas Wein trinke. Ich kann mir meine Arbeit ohne Hotels nicht vorstellen. Angenommen, alle Berliner Fünfsterne-Hotels würden mir plötzlich Hausverbot geben, ich wäre arbeitslos. In Privatwohnungen oder Häuser gehe ich nur im Ausnahmefall.
Wieso?
Erstens ist das nicht ungefährlich, es gibt keinen Concierge und kein Telefon, mit dem man um Hilfe rufen kann, keine Kamera auf dem Flur, die alles aufzeichnet. Zweitens ist etwa bei einem Junggesellen die Hygiene oft problematisch. Und bei einem verheirateten Mann fühle ich mich unwohl, weil ich das Gefühl hätte, in eine Intimität von Menschen einzudringen, was mir nicht zusteht.
Das Hotelzimmer als Safe Space und Freiraum für erotische Begegnungen?
Männer werden nicht von tausend Alltagsgegenständen abgelenkt, müssen nicht an Dinge denken, die sie dringend erledigen sollten, können eine Rolle spielen, eine Fantasie verwirklichen. Ich selbst liebe Luxushotels. Als ich einmal in Basel eine TV-Sendung aufzeichnen musste, habe ich noch etwas draufgelegt und mir ein Zimmer im Trois Rois gegönnt.
Mit Rheinblick?
Nee, ich hatte ein winziges Zimmer, aber es war zauberhaft, die ganzen Räume, die Bars, nur im Restaurant war ich nicht, das war mir zu teuer.
Das heisst, der Lifestyle, dem Sie während Ihrer Jobs begegnen, ist auch Ihr privater?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe eine Einzimmerwohnung in einem Hinterhof in Neukölln, die ich sehr liebe. Meine U-Bahn-Station ist eine der kriminellsten in Berlin, vorige Woche gabs eine Schiesserei, neulich stieg ich aus dem Taxi mit einem Bündel von Geldscheinen in der Tasche, und ein Obdachloser ohne Beine überquerte auf einem fahrbaren Untersatz vor dem Taxi die Strasse. Das ist mein Reality Check.
Reden wir also über Geld. Verdienen Sie gut?
Ich könnte es mir nicht leisten, jeden Tag im Restaurant zu essen oder irgendwelche Zimmer zu mieten, ich kann mir keine Wohnung leisten, die mehr als 700 Euro kostet. Die meisten Prostituierten, die ich kenne, sind unterer Mittelstand. Keine von uns kann sich eine grosse Wohnung leisten, wir sparen ja auch und zahlen Steuern und Krankenversicherung. Ich denke, wir verdienen etwas mehr als eine freie Journalistin, aber weit weniger als eine fest angestellte Redakteurin.
Wie viele Dates braucht es, um durchzukommen?
Manchmal reicht ein grosses für einen ganzen Monat. Manchmal muss was für zwei Monate reichen. Dann sind es plötzlich vier in einer Woche, aber das laugt aus, das spür ich. Nicht in der Vagina oder so, ich bin einfach erschöpft. Ich bin nicht so reich wie meine Kunden! Ich will’s auch gar nicht sein, weil ich weiss, wie viel Stress das macht, so viel Geld zu verdienen. Ich gebe wenig Geld für Essen und Miete, aber viel für Schuhe aus. Oder Handtaschen. Obwohl ich die meist gebraucht kaufe. Ich muss schon aufpassen.
Worauf?
Ich möchte reinpassen in diese Welt, aber ich gehör da nicht rein. Das ist für mich auch das Aufregende daran. Wenn ich mir diesen Luxus privat ständig leisten könnte, würde ich mich nicht so verwegen fühlen dabei. Alle denken, ich bin ein ganz normaler Hotelgast. Alle denken, dass ich das relativ oft mache. Sie wissen nicht, dass ich nur meine zwei drei Outfits habe, die ich immer neu kombinieren muss, damit es nicht so auffällt. Aber ich krieg’s hin!
Ein frivoles Doppelleben also.
Andersrum gibt’s ja auch den Fall der römischen Kaiserin Messalina, die, im Palast lebend, sich einen Spass daraus machte, nachts verkleidet in die Elendsviertel, die berüchtigte «Suburra», zu schleichen, wo die Prostituierten waren und dort als Prostituierte mit Männern zu schlafen. Danach ging sie nach Hause und legte sich ins Bett des Kaisers zu. Also der Flirt mit der Gosse. Bei mir ist es eben andersrum: Die Gosse flirtet mit dem Luxus.
Gut, ich käme nie auf die Idee, Sie als «die Gosse» zu bezeichnen.
Nein, das ist wahr. Aber ich weiss gar nicht, ob es klug ist, dies zu verraten, vielleicht mache ich damit einen grossen Fehler. Vielleicht wollen sich meine Kunden gerade vorstellen, dass ich ein echtes Luxusgeschöpf bin.
Meinen Sie nicht, sie finden gerade diese Virtuosität Ihrer Verstellung charmant?
Viele Kunden mögen es, dass ich es zu schätzen weiss, wenn ich in ein schönes Hotelzimmer komme und einen guten Wein trinken darf. Sowas ist nun mal auf dieser Erde keine Selbstverständlichkeit. Einige entdecken dann selbst wieder eine neue Freude daran.
Das klingt nach einem Cinderella-Komplex. Das einfache Mädchen am Tisch des Prinzen.
Okay, den Cinderella-Komplex nehm ich auch noch mit. Einen Lolita-Komplex hab ich ja schon.
Sind Sie gerne Lolita?
So lange ich noch eine gewisse Mädchenhaftigkeit ausstrahlen kann und Männer das von mir wollen, ist es meine Rolle. Ich hab nun mal diesen kleinen Körper, ich werde immer 1,58 bleiben, ich werde niemals grosse Brüste oder lange Modelbeine haben. Wenn ich da neben einem 1,80-Meter-Mann stehe, ist ja klar, was in der Fantasie passiert, das kickt einfach.
In Ihrer Fantasie auch?
Ja, das wäre sonst eine traurige Sache. Mir bereitet das viel Vergnügen. Ich biete als Prostituierte aktiv etwas an, ich bin kein Objekt, mit dem verfahren wird. Es wäre ja auch absurd, Sie zu fragen: Macht es eigentlich Spass, Texte zu schreiben?
Ja klar, Schreiben ist die einzige Erwerbsarbeit, die ich gerne mache.
Echt?
Ja echt.
Könnten Sie sich nicht vorstellen, Ihr Geld damit zu verdienen, mit Männern in schöne Fünfsternehotels zu gehen?
Ich weiss nicht. Wenn schon, müssten es eher Frauen sein.
Das geht auch!
Wie gross ist eigentlich Ihr Anteil an Kundinnen?
Ungefähr ein Achtel. Einzeln buchende Kundinnen sind so eine auf fünfzig Männer. Der Rest sind Pärchen. Ich hoffe, es wird mehr! Man kann den Frauen nur immer raten, dies auch zu machen. Die Gründe, wieso so wenige Frauen kommen, sind divers: Frauen wollen gefallen, sie wollen, dass man mit ihnen schläft, weil man sie will, nicht weil sie dafür bezahlen, sie wollen ausgewählt werden und nicht auswählen. Oder sie sind nicht egoistisch genug, sich einfach etwas Zweckfreies zu gönnen. Sich Sex zu kaufen, hat keinerlei gesellschaftlichen Mehrwert, das ist nur für mich.
Männer haben damit keine Probleme?
Nein! Selbst eine Massage macht eine Frau ja nur, um danach wieder besser zu funktionieren. Ein weiterer Grund ist ganz einfach das geringere Einkommen der Frau, da bleibt einfach nicht so viel übrig. Ich muss mal mit meinen Mädels diskutieren, ob allein buchende Frauen nicht weniger bezahlen sollen. Ich würd’s machen.
Und wie ist es mit den Paaren?
Ich hatte neulich ein wunderbares Date mit einem Stammkunden, der zum ersten Mal seine Ehefrau mitbrachte. Es ist ja was anderes, ob man ein Pärchen gleich als Pärchen trifft oder ob die Frau eines Tages mitkommt, nachdem er sie quasi schon eine Weile betrogen hat. Ein wunderschönes Date.
Eine aussergewöhnlich tolerante Ehefrau, oder?
Ein ganz besonderer Mensch. Ich dachte, okay, da kommt eine gutverdienende, coole Frau, die ihrem Mann die Prostituierte so durchgehen lässt, aber mich eigentlich abgrundtief hasst. Es kam eine anfänglich schüchterne Person, die immer mehr aufblühte und sich ganz fallenlassen konnte. Ich merkte, dass sich die beiden wirklich lieben, und sie ihm das von Herzen gönnt. Ich war richtig verliebt in sie. Beide schreiben mir jetzt öfter kleine Briefe oder Nachrichten. Der Mann kann sich sehr glücklich schätzen, dass er sie hat.
Wie rührend. Wie oft verzichten Sie auf ein Date, wenn Sie einen Kunden sehen und wissen: Das wird nichts mit uns?
Eigentlich nie, ich hab ja meinen Ehrgeiz. Was nicht geht, ist, wenn ich merke, der hat eine Krankheit und steckt mich an, was aber in diesem Milieu von Kunden äusserst selten ist. Oder wenn ich denke, der wird gewalttätig und greift mich an, der ist auf Drogen und hat sich nicht mehr unter Kontrolle. Aber angenommen, ich treffe einen, dem ich ansehe, okay, der ist ein richtiges Arschloch, ein richtig schlechter Mensch, was macht man dann? Macht man ihn besser? Ändert man irgendwas? Man ändert überhaupt nichts!
Was also machen Sie mit dem Arschloch?
Ich lass mich aus Neugier auf ihn ein. Ich will wissen: Wie ist so einer im Bett. Wie stellt er sich an. Natürlich kommt dann die Unsicherheit, wenn die Hotelzimmertür zugefallen ist, wenn man überlegt, wer zieht sich zuerst aus, geht zuerst ins Bad, der Griff zur Minibar, obwohl man schon genug getrunken hat ... Aber die Neugier überwiegt, auch die auf den Körper. Der Körper ist ja das Unschuldige am Menschen. Und das Arschloch kann dann vielleicht kurzzeitig zu jemandem werden, der er gerne wäre oder der er nicht mehr sein kann.
Das klingt grosszügig.
Oft wissen diese Männer ja genau, dass sie viel Scheisse gebaut haben im Leben. Und wenn sie dann nach dem Orgasmus so daliegen und offener und weniger aggressiv sind als vorher, rede ich mit ihnen darüber. Ich werde ja nicht dafür bezahlt, dass ich ihnen schmeichle, sondern dafür, dass ich mit ihnen ins Bett gehe. Da entstehen oft gute Gespräche, die auch für mich sehr lehrreich sein können.
Eine postkoitale Lebenschule also. Aber irgendwo gibt es doch auch Grenzen des Akzeptablen, oder nicht?
Na ja, ich habe mir dann auch schon überlegt, wo ist jetzt mein kommunistischer Untergrund, der mir eine konspirative Wohnung und eine zweite Identität verschafft, eigentlich müsste ich den Mann jetzt nach dem Katechismus der linken Weltrevolution umbringen. Aber dann lerne ich ihn kennen, hör mir seine Argumente an, verstehe sie – nur um mit etwas Distanz umso genauer zu sehen, wo deren Denkfehler sind. Ich habe ja auch ne Weile gedacht, ich schlafe nicht mit AfD-Mitgliedern. Bis es mir dann passierte.
Wenn Sie mit den Leuten schlafen – haben Sie da ein professionelles Abstraktionsvermögen? Denken Sie ans Geld? Machen Sie das einfach gerne?
Geld ist natürlich ein starkes Nebenargument, es ist schliesslich die Belohnung. Allein die Situation, dass man sich jetzt trifft, um das zu tun, ist ja schon die halbe Miete. Man bereitet sich vor, versetzt seinen Körper in einen Zustand, dass er ready for fucking ist, pflegt jeden einzelnen Quadratzentimeter seiner Haut. Das ist, als würde man sich hinter der Bühne ein Kostüm anziehen. Es ist, wie wenn du richtig gut angezogen auf eine Party fährst und weisst: Jetzt kann alles passieren.
So einfach?
Der andere befindet sich in der gleichen Situation. Es ist eine Begegnung, die mehr oder weniger auf Sex hinausläuft, aber nicht muss, das knistert einfach. Die Atmosphäre muss natürlich geschaffen werden, es ist nicht so, dass ich mich im Hotelzimmer spontan aufs Bett werfe und er legt sich auf mich. Dazu gehört Arbeit, gehören Getränke, Gespräche, man redet gezielt über Dinge, die am andern schön sind, die interessant sind, über erotische Themen und verlässt sich dann auch einfach ganz entspannt auf das Funktionieren von Hormonen.
Ihre Freier haben Geld. Welche herausragenden Eigenschaften haben Sie darüber hinaus?
Wenn ich versuche, mir alle Freier, die ich bisher hatte, in einem Raum vorzustellen, würden sie sich durch nichts von einer Vergleichsgruppe unterscheiden. Die sind nicht irgendwie unangenehmer oder ekliger als andere Leute, die sind nicht dümmer oder brutaler. Wer nicht mit Freiern schlafen will, will nicht mit Menschen schlafen. Und man macht die Welt nicht besser, indem man den Menschen den Sex entzieht.