War er nicht eben noch da? War nicht ganz Locarno während des Filmfestivals mit Peter Lindberghs Fotos tapeziert gewesen? Dramatische Seelenblicke aus Gesichtern in Grossaufnahme?
Stephan Eicher war dabei. Und die Künstlerin und Köchin Sandra Knecht, deren Augen in Locarno zu Lindberghs führendem Sujet wurden. Sie schreibt uns: «Es war grossartig, diesen tollen Menschen kennen zu lernen! Noch nie fühlte ich mich vor der Kamera so wertgeschätzt und sicher. Er gab mir einen Anker, den ich nicht mehr verlieren werde. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar.»
Lindbergh hatte Knecht und Eicher und viele mehr für die Mobiliar-Versicherung bei schlechtem Wetter im Engadin unter dem Titel «Emozioni» geschossen. Beziehungsweise «geshootet». Ein Ausdruck, der klar macht, wie die Beziehung zwischen einem Fotografen und seinem Sujet ist: Die eines Jägers, der seine Beute sucht, ins Visier nimmt und abschiesst.
Das mag – gerade in der Modefotografie, aus der Peter Lindbergh kommt – für viele Fotografen gelten. Für Peter Lindbergh galt es nicht. Er wollte seine Models stark. So wie Tina Turner, für die er 1996 den Videoclip zu «Missing You» drehte.
Und so wie Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford, die er 1990 in New York für die «Vogue» kurzerhand in Jeans und simple Oberteile steckte, weil ihm die schultergepolsterte High Fashion für Frauen zu doof war. Er machte die fünf damit zu den ersten, denen das Label «Supermodel» verpasst wurde.
Ein Jahr später erweiterte er die Gruppe um Claudia Schiffer, Karen Mulder und Stephanie Seymour. Als Bikergirls. «Wild at Heart» hiess das Bild, das abgesehen von einem einzigen Dekolletee ganz ohne Entblössungen auskam. «Frauen wird heutzutage durch die Modefotografie vieles angetan, mit dem ich nicht einverstanden bin», sagte er einmal.
Cindy Crawford schreibt auf Instagram: «Wenn Peter Lindbergh fotografiert, geht es einzig um die Frauen. Es geht nicht um Haar, Make-up oder Styling. Er hatte eine Art, deine Fehler zu etwas Einzigartigem und Schönem zu machen ... und seine Bilder werden immer zeitlos sein. Du wirst so fehlen, Peter. Ich fühle mich geehrt, dich gekannt und mit dir gearbeitet zu haben.» Aus Crawford und den andern aus Lindberghs Supermodel Squad wurden erfolgreiche Unternehmerinnen. Das Bild der Gang, die alles unter Kontrolle hat, wirkte.
Die Liebe zu Schwarzweiss kam von Lindberghs Kindheit zwischen den Kohlehaufen im Ruhrpott. Sie färbten seinen Blick auf die Welt, legten einen Schleier aus Russ über den grellen Glamour, der in den 80ern und 90ern die Modefotografie bestimmte.
Der Effekt war erstaunlicherweise nicht der einer Verschmutzung, sondern einer Veredelung. Eine Patina aus gelebtem Leben, Zeit, Melancholie. In die er auch 2017, als er für Pirelli den üblichen Kalender für Pneufetischisten schoss, seine Models hüllte. Nebst deutlich mehr Textil als seine Vor- und Nachgänger.
Im Kino läuft dieser Tage der Dokfilm «Peter Lindbergh: Women's Stories». Ein Film allerdings, den er nicht verdient hat, so schlecht ist er geworden. Eine einzige Pathossuppe aus schwerer Musik und Anbetung. Aber wenigstens erfährt man da, wie es genau war mit Lindberghs frühsten Jahren.
Etwa dass er im besetzten Polen als Sohn eines mit den Nazis sympathisierenden deutschen Süsswarenhändlers zur Welt kam. Wie er im Januar 1945 im Alter von fünf Monaten mit seiner Mutter nach Deutschland zurück flieht, erst auf einem Pferdewagen, dann auf dem Schlitten, wie sich die Reise über Wochen hinzieht. Im Februar gerät seine Mutter ins Bombardement von Dresden. Der Schock lässt ihre Milch versiegen. Im April 1945 gelangen Mutter und Baby nach Süddeutschland, und Peter, der kein Lebenszeichen mehr zeigt, wird erfolgreich aufgepäppelt.
Leider hat er selbst die Erfahrung der Flucht später in brachialen Kitsch verwandelt, hat makellose Models in etwas verdreckte Designermode gesteckt und als traurige Schiffbrüchige an einen Strand gestellt. Der Versuch, Versehrtheit darzustellen, misslang dem Mann, der so gut Stärke inszenieren konnte, gründlich. Denn am Ende war er den Kinderspielen auf den Kohlehaufen eben doch zu sehr ent- und in die hochgetunte Welt der Mode- und Werbefotografie hineingewachsen.
Doch in einer Welt, in der Helmut Newton immer nur hochbeinige Nackte fotografierte, als wären sie teure Autos, und wo Terry Richardson im Studio seinen Grüselfantasien freien Lauf liess, war Peter Lindbergh eine Erholung. Einer, der neben dem eigenen Altern auch seine Models ungeniert und unbearbeitet altern liess, und sich privat in hinreissend normale Frauen verliebte. Er lässt seine erste und zweite Ehefrau mit vier Söhnen und sieben Enkelkindern zurück. Und hinterlässt eine grosse Leere, wie sie gemeinsam mitteilen. Das glauben wir. Er scheint ein feiner Mann gewesen zu sein.