Sie nannte sich Bitch. Machte das Wort zum Titel eines Buches, das sie ganz auf Heroin schrieb. Liess sich nackt aufs Cover setzen. Sorgte damit für einen verlagsinternen Skandal. Der Grafiker retouchierte ihre linke, bis dahin gut sichtbare Brustwarze weg. Da war sie 31 und «Bitch» war ihr Wutbuch. Ein feministisches Manifest. Eine Frustration.
Das Buch erschien 1998, ganze zwanzig Jahre vor #MeToo. Es pflügte sich durch die amerikanische Kultur- und Mediengeschichte, lieferte ganze Opfer- und Täterlisten. Zeigte, wie die Leben unzähliger Frauen, die geglaubt hatten, selbstbestimmt zu sein, die sich laut, unangepasste polemisch gegeben hatten, so lange gegen die Wand gefahren wurden, bis der letzte Funken Widerspenstigkeit erloschen war. So wie Wurtzels eigener Kampfgeist: «Ich bin ein amerikanisches Mädchen ohne Ecken und Kanten, und ich schäme mich dafür.»
Es war kein gutes Buch, es war widersprüchlich und schlampig, aber Wurtzels schiere Verzweiflung knallte rein. Zusammen mit dieser schnoddrigen, melancholischen Coolness und dieser betonten Todessehnsucht die sie zu einer Kultautorin gemacht hatte.
Über ihr Lieblingsspielzeug, das Auto, schrieb sie: «Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, kannst du diesen Wagen in eine Garage fahren, den Motor anmachen, fühlen, wie die Luft sich mit Kohlenmonoxid füllt, fühlen, wie das Gift dich allmählich erstickt, fühlen, wie deine Atmung langsamer wird, fühlen, wie dein Körper jedes Gefühl verliert, die einzige wahre Freiheit fühlen, die du je erfahren wirst.»
«Ich hasse mich und ich will sterben» stand über dem ersten Kapitel ihres ersten Buches, es hiess «Prozac Nation: Young and Depressed in America», Elizabeth Wurtzel war 26, als es erschien und wurde eine Weltsensation. Es waren die Memoiren einer Süchtigen, denn schon mit vierzehn war Wurtzel von ihrer Ärztin wegen schwerer Depressionen unter die damals noch wenig erforschte Glücksdroge Prozac gesetzt worden.
Zuerst ging alles gut, mit sechzehn schrieb sie die erste Popkolumne für den «New Yorker», mit achtzehn verlieh ihr der «Rolling Stone» ihren ersten Journalistenpreis, später studierte sie vergleichende Literaturwissenschaften in Harvard. Prozac ergänzte sie da wahllos durch andere Drogen. «Eine Depression», schrieb sie, «ist ungefähr der Ort, der am genausten zwischen tot und lebendig liegt, und das ist das Schlimmste.»
Das Buch war auch der Auslöser für eine Flut von Büchern über Süchte und psychische Krankheiten. Es wurde verfilmt, Christina Ricci spielte Wurtzel, Michelle Williams, Jessica Lange, Anne Heche Jonathan Rhy-Meyers und Jason Biggs waren dabei, der Film war ein millionenschweres Debakel, er spielte kaum mehr als 100'000 Dollar ein.
Doch Wurtzel selbst blieb unerreicht. Sie war der Rockstar der Bekenntnisliteratur. Jeder Satz ein Kalenderspruch aus der Hölle. «Ich war ein Hashtag lang vor Twitter», sagte sie einmal. «Prozac Nation» war das nächste grosse Suchtbuch einer Frau nach «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» von Christiane F. Wenn Wurtzel auf Tour war, verlangte sie nach Crystal Meth und Sex mit möglichst vielen Männern. Mit dem Erfolg kam das Heroin. Und mit dem Heroin «Bitch». Danach Ritalin. Und ihr Ritalin-Buch «More, Now, Again».
Jeder ihrer Texte drehte sich um sie selbst, egal ob sie über Bruce Springsteen, Bob Dylans Nobelpreis, die Ehe, Hunde oder Krebs schrieb. Viele hassten sie dafür, doch alle lasen sie.
Der Brustkrebs erlegte sie jetzt im Alter von 52 Jahren. Nicht die Drogen. Mitleid wollte sie keins. Es sei ihr eigener Fehler gewesen, schrieb sie im «Guardian», sie habe sich nie um Vorsorge gekümmert.
2004 hatte sie sich noch einmal an der Uni eingeschrieben. Studierte Rechtswissenschaften in Yale. Und sass mit Ronan Farrow im Seminar, der später selbst ein weltberühmter Journalist werden sollte mit seinen Enthüllungen über Harvey Weinstein.
Farrow schrieb jetzt auf Instagram über sie: «Wir waren beide Aussenseiter, und sie war freundlich und grosszügig und füllte mit ihrer Wärme, ihrem Humor und ihrer eigenwilligen Stimme Orte in meinem Leben aus, die sonst vielleicht einsam gewesen wären. Sie hat vielen von uns viel gegeben. Ich vermisse sie.»
Sie war ein Star. Jetzt müssen andere leuchten und schreiben. Elizabeth Wurtzel schweigt für immer.
Aber endlich mal ein Artikel über etwas relevantes & nicht immer nur bachelor & co...