Während ich diesen Text schreibe, sitzt meine frisch kastrierte Katze neben meinem Laptop. Man beachte ihr grames Gesichtlein. Sie verachtet mich. Weil ich ihr die Mutterschaft geraubt habe.
Meine Katze heisst Josef Hader. So wie der österreichische Kabarettist, den ich ein bisschen liebe. Die Ähnlichkeit war einfach zu frappant.
Eigentlich ist sie ja ein Weibchen, aber ich glaube, es macht ihr nichts aus wie ein Mann zu heissen. Aber was weiss ich schon darüber, wie sehr sich Katzen ihres eigenen Geschlechts bewusst sind. Nicht mal Google weiss das. Und die Katzenforen besuch ich seit meiner Durchfall-Recherche nicht mehr. Diese ungezügelte Lust, mit der dort über «Restkot» diskutiert wird, ist unheimlicher als die Vorstellung eines inkontinenten Hannibal Lecters in Windeln.
Diese Foren sind der Hort für ganzheitlich irr gewordene Katzenhalter – und sie zeigen mir in aller Deutlichkeit, wie jämmerlich auch ich geworden bin. Wie übersteigert richtig ich alles machen will. Wie mich die dünnflüssige Beschaffenheit von Haders Stuhl an den Rand der Verzweiflung treibt. Und schon seh ich ihn mit einem vollgeschissenen Beinchen im Grabe stehn!
Ich war mal jemand mit Bodenhaftung. Geerdet. Eines angstfreien Pragmatismus fähig. Ohne Velohelm bin ich durchs Leben gerast.
Aber jetzt sitzt Hader im Rücksitz.
Am liebsten würde ich ihm mindestens siebzehn GPS-Tracker um den Hals hängen. Manchmal träume ich davon, wie ich ein Sicherheitsnetz um die ganze Welt spanne. Was aber, wenn Hader sich in den Maschen verheddert, wenn er sich irgendwie daran aufhängt, und dann elendiglich nach Luft japst, während ich mich in falscher Sicherheit wiege? Genau für solche Fälle hab ich in der Wohnung jetzt Kameras installiert.
Wahrscheinlich weiss Hader gar nicht, dass er überhaupt je Eierstöcke besessen hat. Andere Katzen mögen über ihre Geschlechtsorgane Bescheid wissen, Hader nicht. Hader weiss nämlich grundsätzlich nichts. Er ist nicht der Hellste.
Obwohl. Wenn ich ihn mir jetzt so anschaue ...
Mist.
«Eierstock-Räuberin! Mörderin meiner ungeborenen Kinder!» Das denkt er jetzt von mir.
Ich weine ein bisschen in mich hinein. Hader lässt sich davon nicht beeindrucken. Im Gegenteil. Er beginnt, an seiner Operationsnaht zu lecken. Er benetzt mit sadistischem Genuss das Schandmal meines Verrates. Mit seiner Zunge fährt er über die fünf so lieblos ausgeführten Stiche, die schmerzlich sichtbaren Zeichen seiner verlorenen Fortpflanzungsfähigkeit.
«Hör auf damit!», rufe ich, doch Hader hört nicht hin. Selbstverständlich habe ich mich im Vorfeld eingängig mit der Leck-Problematik beschäftigt. Die Katzenwikipedia hat mir gesagt:
«Eine Halskrause? Halskrausen sehen scheisse aus», denke ich. Was nun entbrennt, ist ein unerbittlicher Kampf zwischen meinem Sinn für Ästhetik und meiner helikopterhaften Überfürsorglichkeit:
Ästhetik: «Halskrausen sind entwürdigend!»
Überfürsorglichkeit: «Weisst du, was noch entwürdigend ist?»
Rhetorische Pause.
Überfürsorglichkeit: «Der Tod.»
Nach diesem Wortgefecht überlegt der ästhetische Sinn lange. Doch es scheint ihm, es gebe überhaupt kein schneidiges Argument gegen den Tod. Also sucht er einen Verbündeten und findet den kümmerlichen Rest meines einst so wohlgenährten Pragmatismus'. Und kurz bevor das nunmehr schlotternde Gerippe krachend in sich zusammenfällt, haucht es noch: «Pflaster».
Welch ausgefuchste Idee! Frohgemut drücke ich Hader ein Pflaster auf die Wunde. Und sofort geht er dazu über, dieses abzulecken.
Vielleicht stellt er sich jetzt vor, wie es gewesen wäre, seine winzigen Nachkommen zu säugen. Und ich erzähle ihm, dass es besser ist, dass er keine mehr bekommen kann. Weil die Welt auch ohne seine Kinder schon zum Bersten voll sei mit Katzen.
Mit lauter, fester Stimme sage ich ihm: «In der Schweiz gibt es Quartiere, in denen Amseln und Blindschleichen praktisch ausgestorben sind. 200 Vögel hat ein Freigänger jährlich auf dem Gewissen!»
Und Hader so:
Er hat ja recht. Die aus dem Gleichgewicht geratene Fauna ist schliesslich nicht seine Schuld. Und das Ganze ist sowieso viel zu abstrakt für eine Katze seines Schlages.
Also erzähle ich ihm von den PENIS-STACHELN, die auf jeder Katereichel wuchern und nur auf seine zarte Vulva lauern. (Jetzt wollt ihr wissen, wie die aussehen. Also gut. Hier.) Und vor denen ich ihn gerettet habe. Denn mit seinen Eierstöcken ist auch sein Paarungstrieb verschwunden.
Wäre Hader je gedeckt worden, was er sicherlich wäre, wahrscheinlich tausendfach, so wie er aussieht, hätten ihm diese fiese Widerhaken heftigste Schmerzen beschert. Tausend Mal hätte ich seinem gequälten Deckschrei lauschen müssen. Ich rechne ihm vor, was das für ihn bedeutet hätte: «Nehmen wir eine fünfsekündige Aktdauer an, so wärst du zusammengerechnet 1,388889 Stunden lang in pain!»
Und Hader so:
Offensichtlich hat er jetzt genug von mir. Beleidigt zieht er von dannen, schwingt dabei verführerisch sein Hinterteil, als wolle er mir zeigen, dass er nicht tausend, sondern geringstenfalls eine Million Mal besprungen worden wäre.
Ich höre das Katzentörchen zuklappen. Hader muss rausgegangen sein. Er könnte sich das Pflaster an der Baumrinde abreiben und sich dabei gleich noch die Naht aufreissen.
Ich muss ihm nach. Es wird bald dunk ...