Ich hab so ein bisschen genug von all den ach-so-geilen Züri-Buben, ihren Rennvelos und ihrer ausgeprägten Bindungspanik. Hier kommt Roli ins Spiel. Roli und ich matchen auf Tinder, nachdem ich meinen Radius auf 80 Kilometer ausgeweitet habe.
Roli ist Anfang 40. Und Bauer. Er hat den Hof seiner Eltern vor einem Jahr übernommen. Das Leben auf dem Land verkauft er mir per Chat wie einen Rosamunde-Pilcher-Roman. Ich überlege mir, meine fancy Kreis-5-Wohnung gegen ein Leben als Bäuerin einzutauschen.
Ich könnte jeweils am Samstagmorgen Ferkel streicheln statt Walk of Shames hinter mich zu bringen. Oder sonntags Kälbchen schöppelen statt halbtot auszunüchtern. Und ich könnte mit Roli durch die Schweiz wandern statt nächtelang mit irgendwelchen Hipstern in irgendwelchen Kellern rumzuknutschen.
Also frage ich Roli um ein Date. Kein einfaches Unterfangen. So einen Bauernhof kann man nicht einfach mal so easy ein paar Stunden sich selber überlassen. Aber Roli bemüht sich. Zwei Wochen später besucht er mich in Zürich. Er will unbedingt mal ins Langstrassen-Quartier. Davon habe er schon viel gehört. Die Sündenmeile stellt sich Roli sehr «verruckt» vor.
Ich hole den Guten am Hauptbahnhof ab. Roli trägt eine nicht so gut sitzende Jeans, einen Faserpelz und eine Outdoor-Jacke. Er ist gross. Und hat ein breites Lachen. Ich vermute, dass ich Roli mag. Ich vermute aber auch, dass ich mein Leben nun doch nicht eintauschen will.
Aber nun gut.
Wir machen uns auf den Weg zur Langstrasse. Roli findet die Europaallee schon total spannend. Ich führe Roli zum berühmten Bermuda-Dreieck. Erste Station: Ein Lokal, in dem Prostituierte Freier anwerben und Thai-Girlbands Thai-Songs singen.
Bauer Roli strahlt. All die vielen quasi nackten Frauen bringen ihn ganz aus der Fassung. Er ist so angetan, dass er noch mehr «so lustige Lokale» sehen will. Also zeige ich ihm noch ein «lustiges Lokal». Hier aber wird's kurzfristig brenzlig. Zwei Männergruppen wollen gerade körperlich aufeinander los.
Rolis rosige Wangen weichen einer angsterfüllten Blässe. Also zerre ich ihn vor die Bar, wo wir mit einer Thailänderin ins Gespräch kommen. Sie ist sehr lustig. Und auch Roli hat wieder dieses zufriedene Lächeln auf den Lippen.
Jetzt landen wir in einer Strip-Bar. Inklusive Thailänderin Kim. Kim arbeitet glaubs hier. Und Kim weiss, wie sie dem Roli das Geld aus dem Portemonnaie zieht. Kim bestellt nämlich grad eine ganze Flasche Sekt. Ich warne Roli. Er aber erlebt hier gerade die Nacht seines Lebens. Und legt deswegen gerne ein paar blaue Noten auf den Tisch.
Roli und Kim sind jedenfalls so mit sich beschäftigt, dass ich mich auf das konzentriere, was hier an der Stange passiert. Zumal an dieser viel passiert. Genau so wie mit mir. Weil mich diese, ich tippe russische, Schönheit mit Beinen bis zum Himmel und blonden Locken bis fast zum Füdli völlig umhaut.
Während ich so vor mich hinträume, huscht Kim auch hoch auf die Bühne. Die Girls machen jetzt so ein bisschen auf Lesben-Show. Mir ist es zu fake. Roli aber ist im Paradies. Mag ich ihm sehr gönnen.
Es ist so gegen 2 Uhr, als wir das Lokal zum letzten Mal wechseln. Kim führt uns in eine Thai-Karaoke-Bar. Kim und ich fühlen es massiv. Sie singt ein paar Thai-Schnulzen, ich ein paar deutsche Kracher. Es ist schon fast vier Uhr, als wir zum gemeinsamen Grande Finale «Livin’ on a Prayer» von Bon Jovi singen.
Ich habe jetzt genug und will nach Hause. Ich verabschiede mich von Kim und will auch noch Roli Tschüss sagen. Bloss: Der Gute ist weg. Ich warte husch. Vielleicht ist er auf dem WC. Oder telefonieren. Oder Zigaretten holen. Oder aber er ist zurück in der Strip-Bar.
15 Minuten später gebe ich auf. Roli ist weg. Wie sein persönlicher «Hangover»-Film im Grossstadt-Dschungel Zürich geendet hat, werde ich wohl nie erfahren. Roli ist nämlich nicht mehr auf Tinder. Und Nummern haben wir auch nicht getauscht.
In meiner Welt ist Roli mit der heissen Strip-Bar-Russin durchgebrannt und heiratet sie jetzt gerade in Las Vegas.
Recht so, Roli. Na Sdrowlje!
Vielleicht hat er sich aber auch einfach an der nächsten Ecke übergeben und ist dann zurück auf den Bauernhof. Roli, falls du das liest, ich hoffe, es geht dir gut!
Adieu,
Dann schick sie per Mail an Emma: emma.amour@watson.ch