Nach der Geburt ihres dritten Kindes hat Leah Cambridge aus Leeds genug. Sie lässt sich einen Termin der Elite-Aftercare-Klinik im türkischen Izmir geben. Leah Cambridge will den perfekten Hintern. Den von Kim Kardashian, der seit Kims Shooting für das «Paper Magazine» 2014 dem sogenannten «Brazilian Butt Lift» (BBL) zu seinem Durchbruch verholfen hat.
Kim Kardashian, Inbegriff der erfolgreichen Self-Made-Businesswoman. Was auch immer das Business sein soll – ihr «Butt» ist jedenfalls Teil davon. Ein Unique Selling Point. Und weil sowas heute als «Gesamtpaket» gilt, ist sie insgesamt eben ein Vorbild. Was sie tut, was sie sich antut, ist vorbildlich. Ein Hintern wie ihrer muss automatisch zu Selbstermächtigung führen.
Die Klinik in Ismir existiert seit 2015. Ihr Chefarzt brüstet sich damit, die Hintern seiner Patientinnen «so gross wie möglich» zu machen. Was in Grossbritannien 8000 Pfund (rund 10'000 Franken) kosten würde, gibt's bei ihm für 3000 Pfund. Leah legt sich unters Messer. Und steht nie mehr auf.
Die junge Mutter stirbt an einem dreifachen Herzinfarkt, höchstwahrscheinlich so geschehen, weil das körpereigene Fett, dass ihr in den Hintern gespritzt wurde, auf eine Arterie traf, die zum Herzen führte. Ein Herzinfarkt aufgrund schockartiger Verfettung.
Jede 3000. BBL-Patientin stirbt daran, wie der «Guardian» berichtet. Bei 320'000 BBLs pro Jahr weltweit sind das nicht wenige. Die Britische Vereinigung der plastischen Chirurgen plädiert daher, wenn irgendwie möglich auf den Eingriff zu verzichten. Die entsprechende Pressekonferenz mussten sie mit den Worten einleiten: «Bitte, entschuldigen Sie die Verspätung, es gab gerade einen neuen Todesfall.»
Blöd nur, dass es sich dabei um den populärsten und am schnellsten wachsenden Trend der Beauty-OP-Szene handelt. Weit wichtiger als Brustvergrösserungen. Der Po ist der neue Busen.
Natürlich hat die Beauty-Industrie schon das nächste Mittel zur Domestizierung der Frau gefunden. Denn der BBL-Hintern soll ja nicht nur übertrieben rund sein, sondern aus einer proportional unverhältnismässig schmalen Taille heraus entspringen. Das schafft man nur mit wenig essen, einem Korsett oder am besten durch die Entfernung ein paar lästiger Rippen. Kann man in Amerika machen, hier nicht.
Es entsteht so eine groteske Verschiebung ursprünglicher Proportionen. Das Resultat sieht – na ja, eben nicht natürlich sexy aus wie Beyoncé oder La Lopez, die beide weder Hungerhaken noch aufgepumpt und auch keine weissen Frauen sind.
Egal, wie viele MeToo-Debatten geführt werden, wie viele Frauen in rosa Mützen demonstrieren und Body Positivity gepredigt wird – die grosse Masse ergötzt sich eben doch lieber am Porno-Ideal, wie es gerade im «Bachelor» wieder so schön vorgeführt wird. Und fragt sich nach fünf Wochen Detailsicht, ob rundum gemachte Körper wie jene von Mia und Sanja vielleicht nicht doch ihren Reiz haben.
Wieso kann man nicht zurück in die 70er, wo man einfach ein bisschen zu Jane-Fonda-Videos turnen musste und gut war's? Oder in die 90er, als Kate Moss heraufdämmerte? Oder ... Weil das nun mal alles gerade nicht als sexy gilt. Und Sexyness, so zementierten viele vom «Guardian» befragte junge Frauen, sei schliesslich das Non plus Ultra. Die Begehrbarkeit des Körpers, in dem man steckt.
Gut, das war noch nie gross anders. Und scheint bei Frauen ja ungefähr etwa eine Milliarde Mal schlimmer zu sein als bei Männern. Nur ist es jetzt eben viel einfacher als früher, den Körper in Richtung angestrebter Perfektion hin zu verändern. Und wenn ein Bild erstmal geschaffen ist, dann ist seine Übertreibung nicht mehr weit. Die Machbarkeit von allem ist Gesetz. Do it to yourself.
Und genau hier sind wir an einem schwierigen Punkt in der endlosen Debatte um die Schönheit, der bis zur Unkenntlichkeit nachgeholfen wird. Stellen wir uns auf die Seite derer, die sagen: Wie pervers ist das denn? Mein Körper gehört mir und mir allein und wenn ihn jemand nicht schön findet, ist das nicht mein Problem!
Ist von diesen beiden Haltungen vielleicht gar mehr als eine feministisch? Es ist ein verfluchtes Kontinuum von krautiger Naturbelassenheit hin hin zu totaler Verzerrung. Von dem, was gemeinhin als gesunder Menschenverstand bezeichnet wird, hin zu einer kompletten Geschmacksverirrung. Und doch ...
Nicht nur die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar, wie einst die Dichterin Ingeborg Bachmann schrieb, sondern auch die Freiheit. Und die ist heute, wo es möglicher scheint denn je, dass sich der Mensch auf eine cyborghafte Verschmelzung mit den Maschinen hin zubewegt, grösser denn je. Gerade auch die Freiheit des Körpers.
Nicht alle träumen von derart subtilen Eingriffen wie Jane Fonda, die heute noch gleich aussieht wie in den 80ern und trotzdem nicht entstellt wirkt. Einige lassen sich die Bindehaut in den Augen bunt tätowieren oder Hörner unter die Haut operieren. Andere tragen Herzschrittmacher und künstliche Hüftgelenke, kein Mensch käme auf die Idee, dies seltsam zu finden. Gesundheit, Identität, Ästhetik, alles lässt sich irgendwie einrichten.
Alles ist denkbar. Denn hinter diesen Fortschritt können wir nicht mehr zurück, das ist das höllische Paradies, in das wir uns selbst katapultiert haben.