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Die Einschläge kommen näher: Nach dem 11. September 2001, mit dem der islamistische Terror sich endgültig in die Aufmerksamkeit der westlichen Welt bombte, kamen 2004 die Sprengsätze in den Madrider Vorortzügen, 2005 die Selbstmordattentate von London und schliesslich 2015 die Anschläge von Paris und jetzt in Brüssel. Zählt man die kleineren und die vereitelten Anschläge dazu, ergibt sich über die Jahre hinweg eine Art ansteigendes Grundrauschen des Terrors.
Terror ist allerdings nicht gleich Terror: Je näher es kracht, je ähnlicher uns die Opfer und je vertrauter uns die betroffenen Städte sind, desto grösser ist unser Interesse. Jene Mahner, die uns in den Kommentarspalten der Online-Medien Heuchelei oder zumindest ungleiche Massstäbe vorwerfen, weil die Toten in Ankara hier viel weniger Anteilnahme wecken, mögen moralisch im Recht sein; von menschlicher Psychologie verstehen sie nichts.
Das gilt auch für die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, hierzulande Opfer eines Terroranschlags zu werden. Statistisch gesehen ist diese Gefahr verschwindend klein; der Terrorismus fällt im Vergleich zu den wahren Killern wie Übergewicht, Rauchen und Bewegungsmangel in die Bedeutungslosigkeit. Aber er ist spektakulär. Und er löst – seinem Namen wie seiner Intention gemäss – Schrecken aus.
Es ist ein wenig wie bei der Flugangst: Obwohl die Fahrt zum Flughafen gefährlicher ist als der Flug selbst, machen sich bei manchen Menschen irrationale, aber tiefsitzende Ängste am Fliegen fest – und nicht so sehr am Fahren. Die Ängste scheinen stärker auf uns zu wirken, je weniger wir die Dinge im Griff haben; je weniger wir glauben, sie beeinflussen zu können.
Dies ist bei dieser Art von Terror wie jetzt in Brüssel ausgesprochen der Fall, wo blinder Zufall über Leben und Tod der wahllos attackierten Zivilisten entscheidet. Anders als bei den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo und den jüdischen Koscher-Markt, die jeweils eine spezifische und kleine Zielgruppe trafen, erzeugen Bombenanschläge auf belebte Orte ein Gefühl der Machtlosigkeit. Jeder weiss es, jeder denkt es: Das hätte mich treffen können. Diese – rational gesehen – übertriebene Angst machen sich die Terroristen seit jeher zunutze.
Begreift man Terror in Anlehnung an den preussischen Generalmajor und Militärwissenschaftler Carl von Clausewitz als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, kommt man nicht darum herum, den Terroristen ein rationales Vorgehen zu attestieren – so wahnhaft ihre Ziele auch sein mögen. Je furchterregender, spektakulärer der Anschlag, desto grösser die Aufmerksamkeit – die entscheidende Währung im Medienzeitalter.
Darin, in der Eskalation, liegt die innere Logik des Terrors. Exemplarisch führt dies der «Islamische Staat» vor, der mit seinen sorgfältig in Szene gesetzten Enthauptungen neue Massstäbe des Gräuels gesetzt hat.
Die Logik der Eskalation gilt nicht nur für den Terror: Öffentliche Selbstverbrennungen als drastischstes Mittel des politischen Protests versuchen ebenfalls, aus Aufmerksamkeit politisches Kapital zu schlagen.
Nicht immer mit Erfolg: Wurde 1963 das Bild der Selbstverbrennung des buddhistischen Mönchs noch zum Pressefoto des Jahres gewählt und diente später der Band Thich Quang Duc in SaigonRage Against The Machine als Album-Cover, erregen die mittlerweile weit über hundert Tibeter, die sich aus Protest gegen die chinesische Besetzung verbrannt haben, kaum noch Aufsehen.
Dieser Effekt der Gewöhnung wird sich bei den islamistischen Anschlägen in unserer Lebenswelt indes nicht einstellen. Die Selbstverbrennung ist ausser durch eher unwahrscheinliche Kollektivaktionen nicht steigerbar. Die Terroristen aber können den Schrecken in neue, bisher ungekannte Höhen treiben, etwa mit einer «schmutzigen Bombe» oder besonders verwundbaren Zielen wie Schulen oder Kindergärten.
Heute scheint es so, als müsste Europa sich wie in den Jahren des Nordirland- und des Baskenland-Konflikts oder der RAF erneut mit einem Zustand des quasi-permanenten Terrors auseinandersetzen. Mit dem Unterschied, dass wir als Opfer komplett zufällig getroffen werden – und das in einem Konflikt, der mit unserer Lebenswelt nicht das Geringste zu tun hat.
Deshalb bleibt das Überraschungsmoment immer. Egal, wie oft die «IS»-Schergen zuschlagen. Man kann sich nicht daran gewöhnen.