Es war eine Provokation mit Ansage. Erst schickte Joe Biden seine Finanzministerin vor. Janet Yellen beschrieb im «Wall Street Journal» ihren Plan, der Amerika eine bessere Unternehmensteuer bringen werde. Da tauchte die Schweiz erstmals in unrühmlichem Kontext auf. Die USA wollten sich nicht länger im Steuerwettbewerb mit Bermuda messen lassen – oder mit der Schweiz.
Das war Anfang April, und die Schweiz konnte hoffen. Vielleicht hatten sich ja Yellens Schreiberlinge bloss vertan. Ein Versehen, das korrigiert würde. Doch wenige Wochen später liess es sich nicht mehr wegreden: Die Biden-Administration hält die Schweiz tatsächlich für ein Steuerparadies, das in einen Topf mit Bermuda gehört. In seiner Rede vor dem US-Kongress sagte Biden: «Viele Unternehmen hinterziehen auch Steuern durch Steueroasen in der Schweiz und auf den Bermudas und den Cayman Islands.»
Die Kritik von Biden sass. Die Reaktionen in Schweiz erinnerten an Bekundungen der Wut oder Verwunderung, die aus der Populärkultur bekannt sind. In Abwandlung des Ausspruchs, den die stets verdutzte Comicfigur Obelix auf Auslandsreisen immerzu wiederholt, klang es nach: «Die spinnen, die Amerikaner.»
Wenn sich Ärger in Wortmeldungen mischte, erinnerte es an die legendäre Wutrede des italienischen Fussballlehrers Giovanni Trapattoni, der auf Deutsch radebrechte. Dann gemahnte es an ein: «Was erlauben, Biden.» Typisch war der Berner Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz. Auf die Frage, welche Gemeinsamkeiten die Schweiz mit Bermuda habe, antwortete er der «NZZ am Sonntag», es gebe kaum noch welche.
Die Schweiz habe viel nachgeholt. Heute liege sie international im Durchschnitt, was Geldwäscherei und Transparenz angehe. Mindestens so streng wie jene der USA seien ihre Vorschriften, wenn nicht sogar strenger. Was Biden gesagt habe, sei ein Seitenhieb mit rückwärtsgerichtetem Blick gewesen. «Er betraf die Situation von vor 10 oder 15 Jahren und ist heute nicht mehr berechtigt.»
Bundesrat Ueli Maurer gab ebenfalls Kontra. «Die Schweiz hält diese Hervorhebung der Schweiz als Steueroase durch die USA für unangemessen und völlig überholt», liess der Finanzminister von einer Sprecherin ausrichten. Und dem Schweizer Fernsehen sagte er selbst, da hätten die Redenschreiber von Präsident Biden die aktuellen Fakten noch nicht gekannt.
Ist Biden in der Zeit stehen geblieben? Oder macht er es vielleicht wie Vorgänger Donald Trump, befreit sich von allen Fakten und fährt so politische Attacken? Wie eine Recherche ergibt, hat er das nicht getan. Im Anhang eines Senatspapiers findet sich die Erklärung für Bidens Attacke. Das Papier enthält eine Analyse jener Länder, in denen US-Multis am meisten Geschäfte machen. Der international anerkannte Steuerökonom Gabriel Zucman bescheinigt auf Anfrage eine «fundierte Analyse».
Das Senatspapier enthält eine Analyse zur internationalen US-Steuerpolitik. Erstellt wurde es am 19. März 2021 zuhanden des mächtigen Senatsausschusses für Finanzen. Im Anhang stehen Hintergrundfakten zu den wichtigsten Ländern, in denen US-Multis geschäften. Daraus ergibt sich ein klares Bild davon, wie die USA die schweizerische Steuerpolitik sehen. Diese ist für sie nahe am Lehrbuchbeispiel einer Steueroase.
In Steueroasen ist etwas aus den Fugen geraten. Die Gewinne oder Umsätze, die US-Multis dort verbuchen, sind der Grösse dieser Länder entrückt. Auf den Bermudas wird es lächerlich. Die Reingewinne von US-Multis betragen ein Vielfaches der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung. Diese Gewinne bringen dem Inselstaat erklecklich viel Steuergeld.
In der Schweiz ist es nicht derart krass, aber die Relationen sind auffällig. Die US-Multis verbuchen gemäss dem Senatspapier hierzulande einen Umsatz, der in derselben Grössenordnung liegt wie im bevölkerungsmässig zehn Mal grösseren Deutschland. Der Reingewinn ist in der Schweiz gar grösser. Dabei ist die Zahl der Mitarbeitenden sieben Mal kleiner als in Deutschland. Und deutlich grösser als in Deutschland ist auch der Umsatz mit nahestehenden Firmen. Dabei geht es um Leistungen, die etwa Mutter- und Tochterfirmen einander verrechnen (Siehe Grafik).
Er braucht Steuergelder für seine Ausgabenprogramme. An die 6 Billionen Dollar will Biden investieren. Aus seiner Sicht sind die Steueroasen darum ein Problem – und eines, das ständig grösser wird. Das lässt sich dem «Tax Plan» entnehmen. Darin taucht «Switzerland» ein einziges Mal auf, in einer Notiz zu einer Grafik. Diese Grafik zeigt den enormen Bedeutungsgewinn von «sieben Steueroasen». Dazu zählen Bermuda, die Cayman Islands – und die Schweiz.
In diesen «Oasen» versteuern US-Multis aktuell viel mehr Einkommen als vor zwanzig Jahren. Die Oasen haben den Anteil verdoppelt, den sie am Total aller Auslandeinkommen von US-Multis haben. In dieser Verschiebung spielt die Schweiz eine wichtige Rolle. Steuerökonom Zucman sagt: «Sie ist immer noch eine der wichtigsten Destinationen, in die US-Multis ihre Gewinne verschieben.»
Was mich aber übel stört, ist, dass die Kritik ausgerechnet aus Amerika kommt. Das Amerika, dass den internationalen Finanzausgleich zwar verlangt, selber aber keine Daten teilt. Noch dazu von einem Fuzzi, der aus einem Bundestaat mit deutlich mehr Briefkästen als Einwohnern kommt. Damit habe ich Mühe. Wenn die Deutschen motzen, kann ich das verstehen, die werden hart rangenommen von ihrem Staat, da kommt Schmarotztum schlecht an, aber Amerika soll ruhig sein...
Auch wenn uns als Herr und Frau Schweizer vielleicht nicht passt das zu hören. Macht es nicht weniger wahr.