Gewisse Leute sollen ernsthaft geglaubt haben, Donald Trump werde sich mässigen, sobald er sein Amt als US-Präsident angetreten hat. Nach nur einer Woche müsste die grosse Ernüchterung ausgebrochen sein. Kaum war er vereidigt, entfachte Trump einen bizarren Streit um die Zuschauerzahl bei seiner Amtseinführung. Er feuerte eine Salve an Dekreten ab, von denen die meisten nur symbolischen Charakter haben. Und beschloss kurzum eine Einreisesperre für Bürger aus sieben muslimischen Ländern.
Weder sein Wahlsieg noch die Amtsübernahme haben The Donald in irgend einer Form gezähmt. Er ist und bleibt ein Egomane, der allergisch auf die kleinste Form der Kritik reagiert und «alternative Fakten» der Realität vorzieht. Er MUSS die grösste Menschenmenge gehabt haben, die je eine Vereidigung eines US-Präsidenten bejubelte. Er MUSS mehr Stimmen gemacht haben als Hillary Clinton, folglich haben drei bis fünf Millionen Menschen «illegal» gewählt.
Mit seinen grossspurigen Ankündigungen, insbesondere dem Mauerbau an der Grenze zu Mexiko, erfüllt Trump die Erwartungen seiner Wähler. Der Erfolg seiner Präsidentschaft aber hängt nicht von dieser Massnahme ab, auch nicht von der Abwicklung von Obamacare oder der Neueröffnung von CIA-Geheimgefängnissen. Im Endeffekt geht es um Bill Clintons bekannte Formel «It's the economy, stupid!». Oder im Fall von Trump: «It's about jobs, baby!»
Der Immobilienbaron aus New York verdankt seinen Wahlsieg einigen Zehntausend Wählerinnen und Wählern in den vier Bundesstaaten Michigan, Ohio, Pennsylvania und Wisconsin im «Rust Belt», der einst blühenden, inzwischen aber ziemlich verblühten Industrieregion im Nordosten der USA. Es sind frustrierte Mittelständler, die den Abstieg ins Prekariat erlebt haben oder sich davor fürchten. Trump soll die soliden Industriejobs oder zumindest die Jobsicherheit zurückbringen.
Der neue Oberkommandierende ist sich dieser Herausforderung bewusst, der Erfolg seiner Präsidentschaft hängt davon ab. «Ich werde der grösste Arbeitsplatzbeschaffer sein, den Gott je erschaffen hat», posaunte er an seiner chaotischen Medienkonferenz Mitte Januar. Deshalb nimmt er jede Ankündigung eines Unternehmens, neue Stellen in den USA schaffen zu wollen, für sich in Anspruch, auch wenn die entsprechenden Pläne seit Monaten existieren.
Deshalb faselte er von «28'000 tollen Jobs für Bauarbeiter», als er den Bau der umstrittenen, von Umweltschützern bekämpften Ölpipeline Keystone XL anordnete. Abgesehen davon, dass diese Zahl wie fast immer bei Trump vermutlich masslos übertrieben ist, offenbart sie eine Schwachstelle seiner Politik. Trump konzentriere sich «zu sehr auf die Fabrikationsjobs des 20. Jahrhunderts und zu wenig auf die Jobs der Zukunft», kritisierte der Kolumnist Rick Newman.
Im konkreten Fall bedeutet dies, dass er die Förderung fossiler Brennstoffe vorantreiben will und damit die Schaffung zukunftsträchtiger Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien gefährdet. Ähnlich problematisch ist seine Fixierung auf die Industrie. In diesem Bereich haben die USA seit 2000 rund fünf Millionen Jobs verloren. Während der Amtszeit von Barack Obama wurden zwar rund elf Millionen Stellen geschaffen, fast alle jedoch im Dienstleistungssektor.
In vielen dieser Jobs verdient man kaum mehr als den Mindestlohn. Die Abstiegsängste des Mittelstands sind also nicht unbegründet. Auch die vermeintlich erfreuliche Arbeitslosenquote von etwas mehr als fünf Prozent täuscht. Ein besserer Indikator ist die Beschäftigungsquote. Sie beträgt in den USA nur knapp 63 Prozent. In der Schweiz gehen im Vergleich rund 80 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter einer bezahlten Arbeit nach.
Donald Trump könnte an der Arbeitsfront durchaus etwas bewegen. Aber kann er es wirklich besser machen als seine Vorgänger? Der Niedergang der US-Industrie hat vor rund 40 Jahren begonnen. Seit den 1990er Jahren stagnieren die Löhne des Mittelstands. Als Sündenbock Nummer Eins hat Präsident Trump den Freihandel ausgemacht, und insbesondere seine beiden Lieblingsfeinde China und Mexiko. Er droht mit Strafzöllen auf Importe aus diesen Ländern.
Treffen würde diese Massnahme in erster Linie die amerikanischen Konsumenten. Günstige Importprodukte haben es ihnen ermöglicht, einen gewissen Wohlstand zu halten. Der Angriff auf den freien Handel hat zudem Nebenwirkungen. So annullierte Trump mit einem Federstrich die transpazifische Partnerschaft TPP. Dabei handelt es sich um mehr als ein Freihandelsabkommen. Mit TPP sollte ein Gegengewicht zur Dominanz Chinas in Fernost geschaffen werden.
In Peking reibt man sich die Hände. Das Ende von TPP dürfte die asiatischen Länder in die Arme Chinas treiben, denen sie sich eigentlich entziehen wollten. Es ermöglichte Chinas Staatschef Xi Jinping zudem, sich am WEF in Davos als Vorkämpfer des freien Handels und Antithese zu Trumps Protektionismus zu inszenieren. «Niemand wird aus einem Handelskrieg als Sieger hervorgehen», mahnte Xi und wurde dafür mit Applaus bedacht.
Kaum war der Autokrat wieder in der Heimat, ordnete seine Regierung ein hartes Vorgehen gegen VPN-Verbindungen und damit die letzten Schlupflöcher in der Great Firewall an, mit der das Internet überwacht und zensiert wird. Was für eine bizarre, verkehrte Welt!
Ähnliches ist von «Kampftwitterer» Trump nicht zu erwarten. Ob seine Attacken auf den Freihandel jedoch zielführend sind, ist zu bezweifeln. Eine Studie der Ball State University in Indiana von 2015 hat ergeben, dass nur 13 Prozent der Stellenverluste in der US-Industrie auf Auslagerungen zurückzuführen sind. 87 Prozent fielen Automatisierungen und Rationalisierungen zum Opfer. Der amerikanische Arbeiter wurde nicht von Chinesen oder Mexikanern verdrängt, sondern von Robotern.
Donald Trump setzt auf eine massive Deregulierung und Steuersenkungen, um neue Arbeitsplätze in den USA zu schaffen. Experten halten wenig davon. «Ich bin grundsätzlich pessimistisch eingestellt, was Industriejobs in den Vereinigten Staaten angeht», sagte der Investor Steven Rattner im Interview mit der «Zeit». Es sei viel günstiger, in Mexiko zu produzieren. Trump könne vielleicht ein paar Arbeitsplätze schaffen, «aber es wird keine drastischen Veränderungen geben».
Rattner hat die Regierung Obama in Fragen zur Autoindustrie beraten. Sie ist traditionell ein Gradmesser für den Erfolg der amerikanischen Industrieproduktion. Trump bestellte in seiner hektischen ersten Woche auch die Chefs der drei grossen Autobauer General Motors (GM), Ford und Fiat Chrysler ins Weisse Haus und redete ihnen ins Gewissen: «Ich will, dass hier neue Fabriken gebaut werden für die Produktion von Autos, die hier verkauft werden.»
Diese Forderung komme zu einem schlechten Zeitpunkt, heisst es in einer Bloomberg-Analyse. Nachdem GM und Chrysler von der Regierung Obama 2009 mit 70 Milliarden Dollar vor dem Untergang gerettet wurden, ging es stetig aufwärts. 2016 wurden in den USA so viele Autos wie nie produziert. Dieser Zyklus gehe zu Ende, die Schaffung neuer Kapazitäten ergebe keinen Sinn, schreibt Bloomberg. GM-CEO Mary Barra meinte nach dem Treffen mit Trump, dieses sei «konstruktiv» verlaufen. Im Klartext: Man hat miteinander geredet, ist sich aber absolut nicht einig.
Die erwogenen Strafzölle werden den Autobauern auch nicht helfen. «Trump versteht nicht, wie vernetzt und globalisiert die Autoindustrie ist», sagte Steven Rattner im «Zeit»-Interview. Als Geschäftsmann sieht der neue Präsident in China oder Mexiko in erster Linie Konkurrenten. Ihm fehlt das Verständnis für volkswirtschaftliche und handelspolitische Mechanismen.
Es sind keine guten Voraussetzungen auch im Hinblick auf die bilateralen Handelsverträge, die der neue Präsident anstrebt. Diese sollten «fair» sein, doch Trump versteht darunter in erster Linie «America first». Die Perspektiven sind auch sonst wenig erfreulich. Die Digitalisierung lässt sich nicht aufhalten, sie wird weitere Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe vernichten. Ökonomen gehen davon aus, dass diese Entwicklung auch den Dienstleistungssektor erfassen wird.
Trump müsste ins amerikanische Bildungssystem investieren, nach dem Vorbild erfolgreicher Exportländer wie Deutschland und die Schweiz. Davon aber ist bislang keine Rede. Seine designierte Erziehungsministerin Betsy DeVos scheint mehr an religiösen Schulen interessiert zu sein als an der Förderung der MINT-Fächer, die für die Industrie 4.0 unerlässlich sind.
Wie Präsident Donald J. Trump unter diesen Umständen sein grosses Jobwunder vollbringen kann, ist schleierhaft. Der Druck, der auf ihm lastet, ist enorm, er muss liefern, sonst ist er geliefert. Falls es nicht klappt, wird er aber bestimmt jemandem finden, dem er die Schuld in die Schuhe schieben kann. Zum Beispiel die Medien.