Es sei endlich «wieder Morgen» in Amerika, sagte Ronald Reagan in einem Werbespot für seine Wiederwahl als US-Präsident 1984. Die düstere Ära der staatlichen Einmischung sei überwunden. Als Hollywood-Beau hatte der Republikaner einst Banditen im Wilden Westen bekämpft. Als US-Präsident knöpfte er sich das «Big Government» vor, das er bereits bei seinem Amtsantritt 1981 als Quelle aller amerikanischen Probleme ausgemacht hatte. Um dem Verwaltungswucher Einhalt zu bieten, senkte Reagan die Einkommenssteuern radikal auf das Level der 1920er-Jahre zurück. Dafür wird er von vielen bis heute verehrt.
Joe Biden aber ist gar kein Reagan-Fan. Der 78-jährige Demokrat im Weissen Haus will insgesamt sechs Billionen Dollar für staatliche Investitionsprogramme ausgeben. Einen vergleichbaren Eingriff der Regierung in die amerikanische Volkswirtschaft gab es nur während des Zweiten Weltkriegs, als die USA ihre Einkommenssteuern auf bis zu 90 Prozent angehoben hatten, um das Land hochzurüsten.
Doch Biden will keinen Krieg, er will nur raus aus der Krise. Dass das ohne staatliche Einmischung nicht geht, ist für den Politveteranen sonnenklar: «Es gibt bestimmte Dinge, die nur die Regierung regeln kann», sagt er. Seine 1,9 Billionen für den «American Rescue Plan», mit dem etwa die Arbeitslosengelder erhöht werden sollen, hat das Parlament abgesegnet. Für den 2,3 Billionen teuren «American Jobs Plan» (u.a. 115 Milliarden für den Strassenbau und 111 Milliarden für neue Wasserleitungen) und die 1,8 Billionen für den «American Families Plan» (u.a. 225 Milliarden für Kitas) weibelt er derzeit bei Parteigenossen und republikanischen Abweichlern.
Finanzieren will Biden den gigantischen Staatsbatzen mit einer Erhöhung der Unternehmenssteuern von 21 auf 28 Prozent. Seiner Finanzministerin Janet Yellen schwebt gar die Durchsetzung einer globalen Mindestbesteuerung für Unternehmen vor, um steuerliche Schlupflöcher zu schliessen.
Ob das Weisse Haus damit durchkommt, ist fraglich. Selbst fiskalkonservative Demokraten zweifeln an Bidens klotzendem Ansatz. Schliesslich hatte selbst der demokratische Präsident Bill Clinton 1996 einst gesagt, die Ära des «Big Government» sei «ein für alle Mal vorbei».
Dessen ungeachtet kehrt Biden das Dogma um, dem die amerikanischen Regierungen seit den 1980ern (rote wie blaue) anhingen: Der Staat muss schlanker werden. Retten können sich die Amerikaner nur selber.
Biden rüttelt heftig an den Säulen dieses Selbstverständnisses. Das politische Pendel schwingt in den USA nach vier Jahren Donald Trump, der in den gröbsten Tönen über die Macht des Staates gewettert hatte, wieder in die andere Richtung. Über Reagans «Big Government»-losem Morgen ist die Dämmerung hereingebrochen.
Und womöglich sind die sechs Billionen Staatsinvestitionen nur der Anfang. Ein Beispiel: In der Rede, die Joe Biden anlässlich seiner 100 Tage im Amt vor dem US-Kongress gehalten hat, warnte er eindringlich vor China und dessen «Ambitionen, die überlegene Nation der Welt zu werden». China dürfte laut jüngsten Prognosen die USA 2028 als grösste Volkswirtschaft der Welt ablösen. Das will Biden verhindern.
Chinas Weg galt lange als gescheiterter Versuch, staatliche Intervention mit Marktwirtschaft zu verbinden. In der grössten Gesundheitskrise der Moderne wird das Modell des Staatskapitalismus jetzt aber offenbar selbst im Weissen Haus genauestens studiert.