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Kaum ist US-Richterin Ginsburg tot, beginnt der Kampf um ihre Nachfolge

Kaum ist US-Richterin Ginsburg tot, beginnt der Kampf um ihre Nachfolge

19.09.2020, 07:3219.09.2020, 07:56
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epa08679872 (FILE) - United States Chief Justice John G. Roberts (F-C), along with Supreme Court Associate Justices Stephen Breyer (F-L), Clarence Thomas (F-2-L), Ruth Bader Ginsburg (F-2-R), Samuel A ...
Der oberste Gerichtshof der USA - Ginsburg (unten 2.v.r.)Bild: keystone

Nach dem Tod der legendären Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg zeichnet sich ein erbitterter politischer Kampf um die Nachbesetzung eines Schlüsselpostens im US-Justizsystem ab. Die linksliberale Juristin starb am Freitag im Alter von 87 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung, wie das Oberste Gericht mitteilte.

Sollten die Republikaner von US-Präsident Donald Trump den freigewordenen Posten neu besetzen, könnte das die konservative Mehrheit im Supreme Court zementieren - und das Land auf Jahrzehnte prägen. Das Oberste Gericht hat in den USA oft das letzte Wort bei umstrittenen Grundsatzfragen zu Streitthemen wie Abtreibung, Einwanderung, Waffenrecht und Diskriminierung.

Trump würdigte Ginsburg als «Titanin des Rechts», die «alle Amerikaner und Generationen grossartiger juristischer Denker inspiriert» habe. Er äusserte sich zunächst nicht dazu, ob er noch in seiner aktuellen Amtszeit, die bis zum 20. Januar läuft, oder gar vor der Präsidentschaftswahl am 3. November dem Senat einen Nachfolgekandidaten vorschlagen werde. Im August hatte er in einem Radiointerview gesagt, er werde «ganz sicher» die Gelegenheit dazu ergreifen, falls sie sich ihm bietet.

Von den neun Richtern des Supreme Courts, der oft mit knapper Mehrheit entlang ideologischer Linien entscheidet, werden nun noch drei klar dem liberalen Lager zugerechnet. Ginsburg galt als prominenteste Vertreterin des liberalen Flügels. Sie war in diesem Jahr mehrfach kurzzeitig im Krankenhaus behandelt worden.

epa08679849 (FILE) US President Barack Obama (L) hugs US Supreme Court Justice Ruth Bader Ginsburg (R) before giving his State of the Union address before a joint session of Congress, on Capitol Hill  ...
Ginsburg mit Obama.Bild: keystone

Mit ihrem jahrzehntelangen Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen, für Minderheiten und gegen Diskriminierung avancierte Ginsburg zu einer Justiz-Ikone der Vereinigten Staaten und einem Idol der Bürgerrechtsbewegung. Nach Bekanntwerden ihres Todes versammelten sich vor dem Gericht in Washington hunderte Trauernde. Trump ordnete an, dass Flaggen auf dem Weissen Haus und staatlichen Gebäuden für einen Tag auf halbmast gesetzt werden.

Ungeachtet der Zurückhaltung des Präsidenten erklärten sich die Republikaner im Senat umgehend bereit, über einen Nachfolgekandidaten zu entscheiden. «Der von Präsident Trump nominierte Kandidat wird eine Abstimmung im Senat der Vereinigten Staaten bekommen», teilte Mehrheitsführer Mitch McConnell wenige Stunden nach Ginsburgs Tod mit. Die Republikaner halten im Senat eine Mehrheit von 53 der 100 Sitze. Einige republikanische Senatoren wie Mitt Romney und Lisa Murkowski gelten dabei als mögliche Abweichler.

Die Demokraten forderten mit Nachdruck, die Nachfolge Ginsburgs erst in der nächsten Präsidenten-Amtszeit zu regeln. «Ohne Zweifel sollten die Wähler den Präsidenten aussuchen, und der Präsident sollte den Richter dem Senat vorschlagen», sagte Trumps Herausforderer Joe Biden. Die Präsidentenwahl ist am 3. November, die Vereidigung des Siegers am 20. Januar 2021.

Obama: Ginsburg-Nachfolge in nächster Präsidenten-Amtszeit regeln

Der frühere US-Präsident Barack Obama hat sich Forderungen angeschlossen, die Position der verstorbenen Justizlegende Ruth Bader Ginsburg im Obersten Gericht der USA nicht in der aktuellen Amtszeit seines Nachfolgers Donald Trump nachzubesetzen. Im Wahljahr 2016 hätten die Republikaner «das Prinzip erfunden, dass der Senat eine Vakanz im Supreme Court nicht füllen sollte, bevor ein neuer Präsident vereidigt wird», erklärte Obama in der Nacht zum Samstag. Ein Grundsatz von Recht und Fairness sei, dass Regeln einheitlich angewendet werden, und nicht abhängig davon, was gerade vorteilhaft sei.

Obama betonte, Entscheidungen des Gerichts würden in den kommenden Jahren bestimmen, «ob unsere Wirtschaft fair und unsere Gesellschaft gerecht ist, ob Frauen gleichberechtigt behandelt werden, ob unser Planet überlebt und unsere Demokratie bestehen bleibt». Deshalb müsse das Verfahren bei der Nachfolgeregelung tadellos sein. Obama würdigte Ginsburg als «eine Kriegerin für die Gleichberechtigung der Geschlechter». Sie habe daran geglaubt, dass Gleichheit vor dem Gesetzt für jeden Amerikaner gelten müsse.

Im Jahr 2016 hatten die Republikaner unter McConnells Führung einen vom damaligen demokratischen Präsidenten Barack Obama nominierten Supreme-Court-Kandidaten im Senat blockiert - auch unter Hinweis auf die anstehende Präsidentenwahl. Mit Blick darauf rief nun der demokratische Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer, die Republikaner auf, erst unter dem nächsten Präsidenten über die Nachbesetzung zu entscheiden. Er wiederholte dabei exakt McConnells Worte von 2016. McConnell argumentierte, anders als damals gehörten der Präsident und die Mehrheit der Senatoren diesmal einer Partei an.

Auch Ginsburg, die sich - für eine Richterin ungewöhnlich - deutlich als Kritikerin Trumps zu erkennen gab, wollte offenbar keine rasche Entscheidung in der zu Ende gehenden Amtszeit des Republikaners. «Mein inbrünstigster Wunsch ist, dass ich nicht ersetzt werde, bis ein neuer Präsident im Amt ist», habe Ginsburg wenige Tage vor ihrem Tod gesagt, berichtete der Rundfunksender NPR unter Berufung auf ihre Enkelin Clara Spera.

FILE - In this Aug. 10, 1993, file photo, Supreme Court Justice Ruth Bader Ginsburg takes the court oath from Chief Justice William Rehnquist, right, during a ceremony in the East Room of the White Ho ...
Ginsburg bei ihrer Vereidigung.Bild: keystone

Ginsburg war 1993 vom damaligen demokratischen Präsidenten Bill Clinton für den Supreme Court nominiert worden - und wurde in der Folge zum wohl bekanntesten Gesicht der neunköpfigen Richterriege. Die damals 60-Jährige war die zweite Frau überhaupt an dem Gericht. Auch in ihrer Studienzeit war sie eine der wenigen Frauen in einer Männerdomäne.

Einen Namen machte sich Ginsburg nicht zuletzt mit ihrer scharfen Argumentationsweise. Ihr Leben und Wirken ist Gegenstand mehrerer Filme und Bücher. Gerade viele Liberale feiern sie als Ikone. Ihr Gesicht findet sich auf Souvenirs und als Graffiti an Hausfassaden.

Ginsburg hatte sich im August 2019 wegen eines bösartigen Tumors in der Bauchspeicheldrüse einer Strahlentherapie unterziehen müssen. Bereits im Jahr davor war sie an der Lunge operiert worden, nachdem Ärzte zwei bösartige Knoten gefunden hatten. Nach mehreren Krankenhausaufenthalten teilte sie im Juli 2020 mit, dass sie erneut an Krebs erkrankt sei und sich einer Chemotherapie unterziehe.

epa08679871 (FILE) - US Supreme Court Justice Ruth Bader Ginsburg gestures to the attendees of her presentation at the National Book Festival presented by the Library of Congress at the Walter E. Wash ...
Bild: keystone

Ihren Posten am Supreme Court wollte sie deshalb nicht aufgeben: «Ich habe oft gesagt, dass ich Mitglied des Gerichts bleiben werde, solange ich die Arbeit mit voller Kraft erledigen kann», hatte sie bei Bekanntgabe der Erkrankung erklärt.

Die Besetzung eines Richterpostens am Supreme Court ist stets ein grosses Politikum. Mit der Ernennung kann der Präsident die Linie des obersten Gerichts auf viele Jahre hinaus beeinflussen, denn die Richter werden auf Lebenszeit gewählt. Schon jetzt hat das oberste Gericht ein konservatives Übergewicht. Mit dem Tod Ginsburgs könnte sich dieses womöglich für lange Zeit festigen.

Trump ernannte während seiner Amtszeit bislang die konservativen Verfassungsrichter Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh. Insbesondere die Berufung Kavanaughs war wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe in den 1980er Jahren heftig umstritten. (aeg/sda/dpa)

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38 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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In vino veritas
19.09.2020 07:51registriert August 2018
Eine Frau, vor der ein Jeder mit Anstand und Sinn für Gerechtigkeit Ehrfurcht verspüren sollte. Ganz im Gegenteil zu Trump. Das McConnell nicht die Integrität besitzt um nicht mit zweierlei Mass zu politisieren überrascht mich nicht. Ist den Republikaner nichts mehr heilig?
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p3kko
19.09.2020 08:40registriert November 2019
Natürlich wird Trump in den nächsten Tagen einen möglichst jungen, männlichen, weissen Kandidaten nominieren und der Senat wird ihn noch vor dem 2. November durchpeitschen.
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LURCH
19.09.2020 09:18registriert November 2019
Pietätloses Pack.
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Kennedy-Familie unterstützt Biden im Wahlkampf – und nicht parteilosen Robert F. Kennedy

Die Familie des einstigen US-Präsidenten John F. Kennedy stellt sich im US-Wahlkampf mehrheitlich hinter den Demokraten Joe Biden. «Wir wollen klar und deutlich machen, dass der beste Weg für Amerika darin besteht, Joe Biden und Kamala Harris für vier weitere Jahre wiederzuwählen», sagte Kerry Kennedy, Nichte des demokratischen Ex-Präsidenten, am Donnerstag bei einer Wahlkampfveranstaltung Bidens in Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania. Der öffentliche Beistand ist nicht selbstverständlich: Kerry Kennedys Bruder, Robert F. Kennedy Jr., ist als parteiloser Kandidat ebenfalls als Präsidentschaftsbewerber im Rennen.

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