Die Lage in Nahen Osten hat sich in den vergangenen Tagen dramatisch verschärft: Als Reaktion auf den Tod eines US-Zivilisten bei einem Raketenangriff auf einen Militärstützpunkt im Irak hatten die USA Ende Dezember Stellungen der Hisbollah-Brigaden aus der Luft bombardiert und 25 Kämpfer getötet. Am Dienstag dann griffen tausende pro-iranische Demonstranten die US-Botschaft in Bagdad an.
In der Nacht zum Freitag töteten die USA mit einem gezielten Drohnenangriff nahe des Flughafens von Bagdad den iranischen Top-General Soleimani, den irakischen Milizenführer Abu Mehdi al-Muhandis und acht weitere Menschen. Die Tötung Soleimanis war die bisher dramatischste Eskalation inmitten der zunehmenden Spannungen zwischen Washington und Teheran. Soleimani war der langjährige Anführer der für Auslandseinsätze zuständigen Al-Kuds-Brigaden, die zu den Revolutionsgarden gehören.
Tausende haben bei einem #Trauerzug für den iranischen General #Soleimani „Rache“ und den „Tod Amerikas“ gefordert. Aber: Wie weit könnte #Teheran tatsächlich gehen? Eine Einschätzung von ZDF-Korrespondent Jörg Brase in Teheran. pic.twitter.com/JpY8TFEawx
— ZDF heute (@ZDFheute) January 4, 2020
Der Iran drohte mit Vergeltung. Zum Schutz ihrer Diplomaten und Soldaten im Irak kündigten die USA die Entsendung von 3000 bis 3500 zusätzlichen Soldaten in die Golfregion an.
US-Präsident Donald Trump versicherte, die USA hätten gehandelt, «um einen Krieg zu stoppen», nicht um einen Krieg zu beginnen. Der iranische UN-Botschafter Madschid Tacht Rawantschi sprach dagegen von einer «Kriegshandlung» der USA.
Nach der Tötung des iranischen Top-Generals Kassem Soleimani durch die USA im Irak erhöhen pro-iranische Gruppen den Druck auf US-Einrichtungen in dem Land. Es gab Zeichen einer ersten möglichen Vergeltung.
Demnach schlugen am Samstagabend zahlreiche Geschosse nahe der US-Botschaft in Bagdad sowie auf einem irakischen Stützpunkt ein, auf dem US-Soldaten stationiert sind.
Sicherheitskreise teilten der Nachrichtenagentur AFP am Samstagabend mit, zwei Mörsergranaten seien nahe der US-Botschaft in Bagdad eingeschlagen. Beinahe zeitgleich detonierten auf dem Stützpunkt Al-Balad nördlich von Bagdad zwei Katjuscha-Raketen, wie lokale Sicherheitskreise mitteilten. Die irakische Armee bestätigte beide Angriffe und erklärte, es habe keine Opfer gegeben.
Zwar bekannte sich zunächst niemand zu den Angriffen, kurz darauf forderten die pro-iranischen Hisbollah-Brigaden im Irak die irakischen Truppen und Sicherheitskräfte jedoch auf, sich von US-Soldaten auf Stützpunkten im Irak zu entfernen. Dies solle ab Sonntag um 17.00 Uhr (15.00 Uhr MEZ) gelten, die Entfernung solle «mindestens 1000 Meter von US-Stützpunkten» betragen.
Die Frist würde mit einer Sitzung des irakischen Parlaments am Sonntag zusammenfallen. Die Hasched-al-Schaabi-Milizen, zu der die Hisbollah-Brigaden gehören, fordern, dass das Parlament dann beschliesst, die US-Truppen des Landes zu verweisen.
Zehntausende Iraker forderten am Samstag ausserdem bei einem Trauerzug für Soleimani und al-Muhandis «Rache» und den «Tod Amerikas». Zu den Teilnehmern zählten auch führende irakische Politiker und Geistliche, darunter Regierungschef Adel Abdel Mahdi. In Teheran wurden bei Trauermärschen mit tausenden Teilnehmern Flaggen der USA und Israels angezündet.
Für den Fall, dass der Iran etwa US-Bürger oder amerikanische Einrichtungen angreifen sollte, gebe es eine Liste mit 52 wichtigen iranischen Zielen, die dann angegriffen würden, schrieb Trump am Samstag (Ortszeit) auf Twitter. Die strategisch und kulturell für den Iran wichtigen Orte würden dann «sehr schnell und sehr hart angegriffen», schrieb Trump in Grossbuchstaben in dem Kurzbotschaftendienst. «Die USA wollen keine Drohungen mehr», erklärte der US-Präsident weiter.
Trump begründete die Zahl der 52 ausgewählten Zielorte mit einem Verweis auf «52 amerikanische Geiseln». Damit bezog er sich offenkundig auf ein geschichtliches Ereignis vor vier Jahrzehnten: Iranische Studenten hatten die US-Botschaft in Teheran am 4. November 1979 besetzt, um gegen die Aufnahme des gestürzten Schahs Reza Pahlavi in den USA zu demonstrieren.
....targeted 52 Iranian sites (representing the 52 American hostages taken by Iran many years ago), some at a very high level & important to Iran & the Iranian culture, and those targets, and Iran itself, WILL BE HIT VERY FAST AND VERY HARD. The USA wants no more threats!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) January 4, 2020
Sie nahmen 52 US-Botschaftsangehörige als Geiseln und forderten die Auslieferung des Schahs. Washington verhängte Sanktionen, die Geiselnahme endete nach 444 Tagen. Wegen der Botschaftsbesetzung brachen die USA damals die diplomatischen Beziehungen zum Iran ab. Die Botschaftsbesetzung wird von den Hardlinern im Iran immer noch als revolutionäre Heldentat und Sieg über den US-Imperialismus gefeiert.
In dutzenden US-Städten gingen am Samstag (Ortszeit) zahlreiche Personen auf die Strasse, um gegen die gezielte Tötung des iranischen Top-Generals Soleimani bei dem US-Angriff zu protestieren. Etwa 200 Menschen versammelten sich vor dem Weissen Haus in der Hauptstadt Washington und riefen: «Keine Gerechtigkeit, kein Frieden, USA raus aus der Golfregion». Zu den Protesten aufgerufen hatten linksgerichtete Organisationen.
«Wir werden nicht zulassen, dass unser Land in einen weiteren waghalsigen Krieg gesteuert wird», sagte ein Demonstrant vor dem Weissen Haus. Die Demonstranten zogen vom Sitz des Präsidenten weiter zum nahegelegenen Trump International Hotel. «Ablenkung gefällig? Fang einen Krieg an!», stand in Anspielung auf das Impeachment-Verfahren gegen Trump auf dem Plakat des 66-jährigen Demonstranten Sam Crook.
Den Veranstaltern zufolge fanden Protestaktionen in rund 70 US-Städten statt, darunter in New York, Los Angeles und Chicago. Auf dem berühmten Times Square in New York hielt ein Demonstrant ein Plakat mit der Aufschrift: «Krieg ist keine Strategie für eine Wiederwahl» in die Höhe. Im November findet in den USA die Präsidentschaftswahl statt.
Vor dem Hintergrund der angespannten Lage setzte etwa die deutsche Bundeswehr ihre Ausbildungsmission im Irak vorübergehend aus. An ihrem geplanten Kontingentwechsel hält die Bundeswehr aber fest. Auch die Nato setzte die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte vorübergehend aus. Die Nato-Mission werde jedoch fortgesetzt, erklärte ein Sprecher des Bündnisses am Samstag.
Die von den USA angeführte Anti-IS-Koalition entschied, die Sicherheitsmassnahmen für die im Irak stationierten internationalen Truppen zu verschärfen und ihre Einsätze «einzuschränken».
US-Aussenminister Mike Pompeo kritisierte derweil die Reaktion der Europäer auf die Tötung Soleimanis. Die Briten, Franzosen und Deutschen müssten verstehen, dass der US-Angriff «auch Leben in Europa gerettet hat».
Nach der Tötung Soleimanis hatten mehrere westliche Staats- und Regierungschefs vor einer Eskalation gewarnt. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell forderte in einem Telefonat mit Irans Aussenminister Mohammed Dschawad Sarif am Samstag eine Deeskalation. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte im Gespräch mit dem irakischen Staatschef Barham Saleh vor einer Verschärfung der Spannungen. (mim/sda/reu/dpa/afp)
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