Der amerikanische Präsident gibt heute Samstag offiziell bekannt, dass die konservative Berufungsrichterin Amy Coney Barrett die verstorbene linke Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg am Supreme Court ersetzen soll. Dies meldeten am Freitag amerikanische Medien. Auch Maryalice Newborn aus Export in Pennsylvania wird dieser Ankündigung aufmerksam zuhören. Denn sie misst der Personalie grosse Bedeutung bei.
Nach ihrer politischen Philosophie gefragt, sagt die 63-Jährige: «Die Ehrfurcht vor dem Leben muss das Fundament jeder Regierung bilden», wobei ungesagt bleibt, dass ihres Erachtens ein Menschenleben bereits mit der Befruchtung im Mutterleib beginnt. Newborn, die sich als «Super-Wählerin» bezeichnet, unterstützt deshalb nur Politikerinnen und Politiker, die sich für eine Verschärfung der Abtreibungsrechte stark machen.
Im Gespräch vor einer protestantischen Freikirche in einem Vorort von Pittsburgh (Pennsylvania) lässt Newborn keine Zweifel darüber aufkommen, dass Donald Trump diesen persönlichen Test bestanden habe. «Unser Präsident hat mehr für die Bewegung zum Schutz des Lebens getan als jeder andere Präsident in der Geschichte Amerikas», sagt die Republikanerin in sehr bestimmtem Tonfall.
Zu den Verdiensten Trumps gehört zum Beispiel die Ernennung von Bundesrichtern, die in der Rechtsprechung am Fundament des wegweisenden Urteils «Roe v. Wade» rütteln, mit dem der Supreme Court im Jahr 1973 Schwangerschaftsabbrüche generell legalisierte.
Und weil Trump sich derart entschieden für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetze, verzeiht ihm Newborn auch, dass er sein ganzes Leben lang regelmässig gegen die Zehn Gebote verstossen hat. So stört sie sich nicht daran, dass der Präsident häufig auf frevelhafte Worte zurückgreift: Würde ein Familienmitglied derart häufig wie Trump fluchen, dann bäte sie ihn, dies zu unterlassen, sagt Newborn. Aber im Gegensatz zu diesem imaginären Familienmitglied stehe Trump «an der Spitze der Welt». Er darf also fluchen wie ein Rohrspatz.
Newborn ist nicht die einzige fromme Amerikanerin, die gegenüber dem Präsidenten Toleranz übt. 70 bis 80 Prozent der selbsternannten Evangelikalen unterstützen Trump. Wer mit weissen Protestanten spricht, die sich als tiefreligiös bezeichnen, der vernimmt deshalb wahre Lobeshymnen auf den Präsidenten. Einige begründen dies mit seinem Vorgänger Barack Obama, der gerade unter Evangelikalen verhasst ist.
«Es ist gut, dass wir endlich einen Präsidenten haben, der ein Christ ist», sagt Melody Apthorpe, 38, aus Mars. Auf die Nachfrage, welcher Religion der Demokrat ihres Erachtens nach zugehöre, sagt Apthorpe: «Ich bin mir nicht sicher, aber er war definitiv kein Christ. Er sympathisierte mit dem Mittleren Osten.» Wahr ist: Obama bezeichnet sich als Protestanten. Und in den ersten dreieinhalb Jahren seiner Präsidentschaft ging der Demokrat häufiger zur Kirche als der Republikaner.
Andere Gläubige sagen, Trump möge vielleicht nicht bibelfest sein, aber «Taten sprechen mehr als Worte», wie es Patricia Penich (67) aus Carmichaels formuliert. Ihre 43-jährige Tochter Sarah Penich fügt entnervt an: Sie messe Politiker nicht an ihrer Bibelfestigkeit. Im Neuen Testament sei schliesslich nachzulesen, dass der Teufel mit der Heiligen Schrift vertraut sei.
John Fea ist über solche Aussagen nicht weiter überrascht. Der Geschichtsprofessor an der Messiah University in Mechanicsburg (Pennsylvania) sagt: Religiöse Protestanten weisser Hautfarbe gehörten zu den treusten Anhängern Trumps – auch weil sie im Republikanern eine Art Werkzeug Gottes sehen, der gerade in der emotional geführten Abtreibungsdebatte ihren Willen umsetzt.
Angesichts der politischen Blockade in Washington liegt der Fokus der Fundamentalisten vor allem auf den Gerichten. Trump hat, mit Zustimmung des republikanisch dominierten Senats, seit Amtsbeginn rund 200 konservative Bundesrichter ernannt, darunter die beiden Supreme Court-Mitglieder Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh. Damit stellt er sicher, dass die Justiz auf Bundesebene eine rechte Schlagseite hat. Und diese wird anhalten, selbst wenn Trump bloss eine Amtsperiode im Weissen Haus bleiben sollte – sind die Bundesrichter doch auf Lebenszeit berufen.
Fea sieht in der Supreme Court-Personalie deshalb eine Chance für Trump, seine Verbundenheit mit frömmelnden Protestanten unter Beweis zu stellen - dem Präsidenten sei es nicht entgangen, dass auch Joe Biden um dieses Wählersegment werbe, sagt der Religionshistoriker. Der Katholiken Biden kommt dabei zugute, dass regelmässig zur Messe geht und sich persönlich gegen Abtreibungen ausspricht, auch wenn er sich politisch dafür einsetzt, dass Schwangerschaftsabbrüche legal bleiben. Und weil das Resultat der Wahl gerade in politisch umkämpften Staaten wie Pennsylvania oder Wisconsin äusserst knapp ausfallen könnte, zählt buchstäblich jede Stimme, sagt Fea, selbst wenn der Demokrat den Vorsprung des Republikaners im religiösen Lager nur «ganz wenig» verringern könne. (aargauerzeitung.ch)
Aber Trump ist halt ein weisser, reicher Mann. Der darf sich bei den leicht- bis mittelstark rassistisch orientierten Wählern so ziemlich alles erlauben.