International
US-Wahlen 2020

Wahlen USA: Die Mehrheit der Republikaner im Senat wackelt

Democratic U.S. Senate candidate Jaime Harrison speaks to reporters after a drive-in campaign rally on Saturday, Oct. 17, 2020, in North Charleston, S.C. (AP Photo/Meg Kinnard)
Jaime Harrison
Jaime Harrison vor seinem Auftritt in North Charleston (South Carolina): Der Demokrat greift den Sitz von Lindsey Graham an.Bild: keystone

Wendehals Graham muss zittern: Die Mehrheit der Republikaner im Senat wackelt

Neben dem Präsidenten wird in den USA ein grosser Teil des Parlaments neu gewählt. Die Demokraten haben gute Chancen, die Mehrheit im Senat zu erobern. Eng wird es für die Republikaner zum Beispiel in South Carolina.
02.11.2020, 14:5402.11.2020, 15:49
johann aeschlimann, charleston
Mehr «International»

Wie ein aus der Halterung gerissener Feuerwerkskreisel furzt die gesamte Familie Trump durch die Staaten, maskenlos. Auch Joe Biden hat sich in diesen letzten Tagen vor der Wahl zur Kampagnentour aufgemacht, den Anhang im Auto zum drive-in rally versammelt, eingeführt von alt-Präsident Barack Obama als Vorredner, und mit Stevie Wonder als Attraktion.

Unterhalb der präsidialen Schaumkronen wogt der Wellengang der Parlamentswahl. Am Dienstag werden auch das gesamte Repräsentantenhaus (435 Mitglieder, Amtszeit zwei Jahre) und ein Drittel des Senats (100 Mitglieder, Amtszeit sechs Jahre) neu gewählt. Im «House» haben derzeit Bidens Demokraten die Mehrheit, im Senat die Republikaner. Das macht das Regieren schwierig: Wie in der Schweiz braucht es in den USA die Zustimmung beider Parlamentskammern, um ein Gesetz zu erlassen (anders als in der Schweiz kann die Exekutive – der Präsident – ein Gesetz mit dem Veto verhindern, welches der Kongress wiederum mit Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern aufheben kann).

President Donald Trump and Amy Coney Barrett stand on the Blue Room Balcony after Supreme Court Justice Clarence Thomas administered the Constitutional Oath to her on the South Lawn of the White House ...
Die im Eiltempo durchgezogene Bestätigung von Amy Coney Barrett zeigt die Bedeutung des Senats.Bild: keystone

Wie wichtig diese Mehrheiten sind, ist dieser Tage an zwei Beispielen sichtbar: Das erste heisst Amy Coney Barrett. Die ungemein konservative Juristin wurde vom Senat im Eiltempo als Oberste Bundesrichterin bestätigt, nachdem Trump sie zur Nachfolgerin der verstorbenen Ruth Bader Ginsburg vorgeschlagen hatte. Konservativ heisst in diesem Zusammenhang vor allem «gegen Abtreibung» und «gegen Obamacare», beide in hängigen Fällen vor dem Obersten Gericht, aber auch «Wahlrecht»: Es ist gut möglich, dass der Wahlausgang in Gerichtsstreitigkeiten vor dem Supreme Court landen wird, und Frau Coney Barretts Stimme macht die konservative Mehrheit wasserdicht.

«Weiche» Mehrheit der Republikaner

Das andere Beispiel ist die zweite Auflage eines Corona-Hilfspakets. Der Senat weigert sich, vor den Wahlen überhaupt darauf einzutreten. Das Repräsentantenhaus hat ein umfassendes Programm von 2,2 Billionen (richtig: 2’200’000’000’000) Dollar verabschiedet, aber Mitch McConnell, der majority leader des Senats, hat die Türe verriegelt.

Dass die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus halten oder ausbauen, gilt als sicher. Die Mehrheit der Republikaner im Senat dagegen ist nicht nur die knappere, sondern auch die weichere. Sie müssen mehr Sitze verteidigen als die Demokraten, und die Umfragen bewerten mehr republikanische Sitze als «wankend» oder «gleichauf» als demokratische. Die Republikaner halten derzeit 53 von 100 Sitzen. 35 stehen am Dienstag zur Wahl, 23 sind derzeit von Republikanern besetzt, 12 von Demokraten.

Je einer dürfte die politische Farbe wechseln, in Colorado von rot (republikanisch) zu blau (demokratisch), in Alabama umgekehrt. Neun Sitze werden von den Umfrageanalytikern von realclearpolitics.com als tossups bewertet – unvorhersehbar knapp. Sieben sind von Republikanern besetzt, zwei von Demokraten. «Ich denke, die Republikaner werden den Senat verlieren», sagt der Kampagnen-Profi Randy Steinman aus Kansas City.

epa08776495 Campaign volunteers for Democratic South Carolina US Senate candidate Jamie Harrison, handout campaign literature during a a drive-in, get-out-the-vote concert at the Charlie W. Johnson St ...
Ein drive-in rally von Jaime Harrison, hier letzte Woche in Columbia. Bild: keystone

Samstag, 17. Oktober, The Bend Park in North Charleston, South Carolina. Niemandsland, weitab von der Stadt. Eine Meile entfernt ist der County-Knast, daneben eine Polizeikaserne und ein Strauss bond-Büros, die Sofortkredit für die Kautionen gewähren. Hier hatte Jaime Harrison, Kandidat der Demokraten für den US-Senat, zum drive-in rally geladen. So nennen sich die coronadichten Wahlkampfveranstaltungen im Auto. Du fährst mit dem Wagen an einen genau zugewiesenen Platz und darfst die Darbietung durch die Windschutzscheibe an einem Bildschirm verfolgen. Harrisons Leute, alles Junge, waren strikt. Ich musste versichern, dass ich lediglich zum Pinkeln aussteigen würde, und dann mit Maske.

Zwei schwarze Senatoren?

Der Andrang war weniger überwältigend als die Vorsicht, der Kandidat weniger mitreissend als seine Umfragewerte. Harrison, ein Mittvierziger, Jurist, Kongressmitarbeiter, Lobbyist, hohe Parteicharge bei den Demokraten, serviert politische Hausmannskost: «Meine Geschichte» von arm zu Mittelstand, Es-geht-nicht-um-mich-es-geht-um-Euch, die Krankenkasse, Bildung, Spitäler, ein Plan gegen das Virus, auch ein leichter Hieb in die Rassenkerbe: South Carolina would be the first state with two black senators. Der andere Senator, Tim Scott, Republikaner, ist schwarz. Harrison ebenfalls.

Das allein wäre eine politische Sensation. Ausgerechnet South Carolina, der Sklavenhalterstaat par Excellence, in dem der amerikanische Bürgerkrieg begonnen hatte, würde mit Harrisons Wahl zwei schwarze Senatoren stellen. Jaime Harrison hielte denselben Senatssitz wie einst John Calhoun, der mächtigste Vertreter der Sklaverei im amerikanischen Parlament. Nicht das jedoch macht Harrisons Wahlkampf zum nationalen Phänomen. Es ist sein Gegner Lindsey Graham. Der, ein Republikaner, war 2016 als scharfer Kritiker von Donald Trump aufgetreten (Zitate: downright dangerous, batshit crazy), hatte sich jedoch nach der Wahl zu einem der widerlichsten Arschkriecher hinter dem Präsidenten gemausert.

Referendum über den Trumpismus

Als Vorsitzender des Justizausschusses war in Graham in vorderster Linie für die rasche Einsetzung der Richterin Coney Barrett verantwortlich – auch dies ein politischer Salto Mortale: 2016, als Präsident Obama im Wahljahr einen Richter für das Oberste Gericht nominierte, um eine Vakanz zu füllen, hatten die Republikaner sich geweigert, den Mann auch nur anzuhören. Graham versprach damals hoch und heilig, das werde fortan immer so gehalten. In diesem Jahr flatterte seine Windfahne aber in der umgekehrten Richtung und Frau Coney Barrett wurde unter Grahams Führerschaft durchgewunken.

U.S. Sen. Lindsey Graham speaks at a get-out-the vote rally on Saturday, Oct. 17, 2020, in Columbia, S.C. (AP Photo/Meg Kinnard)
Lindsey Graham
Lindsey Graham muss hart um seine Wiederwahl kämpfen.Bild: keystone

Harrisons TV-Werbung hat es leicht. Sie stellt die alten und die neuen Zitate nebeneinander und spielt auf den Mann: «Lindsey Graham geht es nur um eines – Lindsey Graham.» Für die Galerie ist die Senatswahl in South Carolina ein Referendum über den Opportunismus und die Immoralität des Trumpismus. Einen Sieg hat Harrison in diesem Wettbewerb bereits errungen. Noch nie hat ein US-Senatskandidat mehr Geld eingebettelt als er. Im dritten Berichtsquartal (US-Politiker müssen ihre Gelder – anders als in der Schweiz – von Gesetzes wegen offenlegen) brachte er es auf sagenhafte 57 Millionen Dollar – 90 Prozent davon aus Spenden von ausserhalb des Staats.

42 Dollar pro Einwohner

Graham liegt finanziell im Hintertreffen. Die Wahlfinanzierungsanalytiker von opensecrets.org schätzen, dass der Senatswahlkampf in South Carolina 164 Millionen Dollar verschlingen wird. Insgesamt werden für die US-Wahlkämpfe laut derselben Quelle 14 Milliarden Dollar aufgewendet. Das sind rund 42 Dollar pro Einwohner. Zum Vergleich: Wenn in der Schweiz mit gleicher Kelle angerichtet würde, kostete ein Nationalratswahl oder ein Abstimmungskampf 360 Millionen Franken.

South Carolina ist nur eine der Senatswahlen, deren Ausgang als «knapp» oder «gleichauf» bewertet wird. Der Reihe nach:

Arizona: Hier geht es um den Sitz des verstorbenen Republikaners John McCain. Die vom Gouverneur zur Nachfolgerin ernannte Martha McSally wird vom ehemaligen Astronauten Mark Kelly herausgefordert. Der Demokrat ist der Ehemann der früheren Kongressabgeordneten Gabby Giffords, die 2011 bei einem Attentat schwer verletzt wurde. Kelly liegt vorne.

Georgia: Hier finden – Sonderfall – gleich zwei Senatswahlen statt, die eine turnusgemäss und die andere als special election nach dem krankheitsbedingten Rücktritt des Amtsinhabers. Beide Sitze sind von Republikanern besetzt, in beiden Wahlen haben die Demokraten gute Chancen. An der special election ist das Besondere, dass nicht zwei, sondern mehrere Kandidaten zur Wahl stehen und die beiden Besten zur Stichwahl antreten werden. Interessant ist das Rennen bei den Republikanern. Die vom Gouverneur ernannte Amtsinhaberin Kelly Loeffler ist eine scharfe Trump-Anhängerin. Sie wird vom Gemässigteren Doug Collins bedrängt.

FILE - In this March 4, 2020 file photo, Theresa Greenfield, Democratic candidate for U.S. Senate, smiles at the Iowa State Capitol in Des Moines. Iowa. Greenfield will participate in a debate against ...
Theresa Greenfield will in Iowa den Sitz der Republikanerin Joni Ernst erobern.Bild: keystone

Iowa: Die Amtsinhaberin Joni Ernst, Republikanerin, hat sich unmöglich gemacht, weil sie bei einem TV-Auftritt den Preis der Sojabohne nicht wusste. Im Agrarstaat Iowa ist das schlimm. Herausforderin Theresa Greenfield liegt vorne.

Maine: Senatorin Susan Collins, eine Republikanerin, die sich öfters gegen Präsident Trump stellt (sie stimmte gegen die Abschaffung der Obamacare-Krankenkasse), wird von der Demokratin Sara Gideon hart gefordert.

Michigan: Demokrat Gary Peters wird vom schwarzen Republikaner John James, einem Kampfhelikopterpiloten aus dem Irak-Krieg, bedrängt.

Minnesota: Hier liegen die Amtsinhaberin Tina Smith, eine Demokratin, und der Republikaner Jason Lewis praktisch gleichauf.

Montana: Der amtierende Gouverneur Steve Bullock, Demokrat, jagt den amtierenden Senator Steve Daines, Republikaner.

North Carolina: Senator Thom Tillis, Republikaner, liegt gemäss Umfragen hinter dem demokratischen Herausforderer Cal Cunningham. Der Senatswahlkampf in North Carolina ist gemäss opensecrets.com der teuerste aller Zeiten. Die Kandidaten und selbständig operierende politische Gruppen haben über 260 Millionen Dollar hineingesteckt.

Überraschungen sind zu erwarten. Die als tossups definierten Senatswahlen sind nicht die einzigen, auf die es sich zu schauen lohnt. Kansas zum Beispiel, wo der Bisherige nicht mehr antritt. Seit 1932 war der Sitz immer von Republikanern besetzt, aber die Demokratin Barbara Bollier hat eine Aussenseiterchance. Oder Texas, wo der republikanische Amtsinhaber John Cornyn gegen die Demokratin MJ Hegar, Militärpilotin (Afghanistan, Medevac-Missionen, verwundet) und Mutter, um seine Wiederwahl kämpfen muss.

Auch Nebraska ist einen Blick wert. Der amtierende Senator Ben Sasse, ein Republikaner, wird wiedergewählt, aber die Frage ist, wie gut. Sasse ist verbal der schärfste Kritiker von Präsident Trump in seiner Partei, doch wenn es darauf ankam, zum Beispiel im Impeachment-Verfahren, hielt er dem Präsidenten die Stange. Wenn Trump verliert, könnte Sasses Stimme in der Grand Old Party mehr Gewicht erhalten. Auch Mitch McConnell, als majority leader der massgebende Architekt der Trump-Gesetzgebungsverfahren, steht zur Wahl. In Kentucky. Seine Gegnerin ist Amy McGrath von den Demokraten, F/A18-Kampfpilotin in Afghanistan, Oberstleutnant, Mutter von drei Kindern.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das sind die «Swing-States»
1 / 17
Das sind die «Swing-States»
Wer der nächste US-Präsident wird, entscheidet sich in wenigen US-Bundesstaaten. In vielen der 50 Staaten gewinnt immer dieselbe Partei, aber etwa ein Dutzend sind hart umkämpft.
quelle: www.imago-images.de / giorgio viera
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Joe Biden verabschiedet sich von John McCain
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
7 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Fairness
02.11.2020 15:52registriert Dezember 2018
Schön, wenn die Republikaner die Quittung für ihre Schleimerei bekommen.
18012
Melden
Zum Kommentar
avatar
raues Endoplasmatisches Retikulum
02.11.2020 15:22registriert Juli 2017
Das ist wohl auch zu hoffen, sonst endet Bidens schon am ersten Tag als lame Duck. Dann würde wieder mit executive orders durchregiert werden und die Legislative verkommt noch mehr zur Makulatur. Mindestens 2 Jahre sollte Biden schon frei regieren können, dann gibts nochmal Senatswahlen und dann kann die Bevölkerung über diese 2 Jahre befinden.
16310
Melden
Zum Kommentar
avatar
DieFeuerlilie
02.11.2020 16:04registriert März 2017
Der rückgratlose Opportunist Lindsay Graham hätte seine Abwahl mehr als verdient!
Wes Brot ich ess‘, des A**** ich leck‘, oder wie..?

Derart speicheltriefender
Windfähnchen-Kadavergehorsam ist des Senats einfach unwürdig.
Das gilt allerdings für praktisch alle Republikaner im Senat..
1599
Melden
Zum Kommentar
7
«Unser Europa könnte sterben»: Macron fordert mehr Verteidigung
Seine letzte Grundsatzrede an der Sorbonne hatte viel Aufmerksamkeit in Europa erregt: Jetzt hat Macron daran angeknüpft und den Aufbau einer europäischen Verteidigungsindustrie gefordert.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat Europa mit drastischen Worten zu einer verstärkten Verteidigung aufgerufen. «Es besteht die Gefahr, dass unser Europa sterben könnte», warnte der Staatschef am Donnerstag in einer Grundsatzrede an der Pariser Sorbonne-Universität. Europa stehe an einem Wendepunkt und müsse mehr tun, um mit rasch wieder aufrüstenden globalen Rivalen konkurrieren zu können.

Zur Story