New York ist zurzeit kein Ort, an den man als Tourist hingeht. Offiziell herrscht hier immer noch eine strikte Einreisesperre, die auch ausländischen Journalistinnen und Journalisten die Arbeit schwer macht. Einreisen darf nur, wer etwa einen US-Pass, eine Green Card hat oder Diplomatin ist. Ausnahmen gibt es nur, wer eine Bittibätti-Anfrage bei der US-Botschaft macht und sich als «Ausnahme im nationalen Interesse» anerkennen lässt.
Seit zwei Wochen bin ich also nun eine solche Ausnahme. Eine Ausnahme im Ausnahme-Bundesstaat. Corona ist hier überall sichtbar. In beliebten Restaurants, wie etwa dem jüdischen «Katz», sitzen an Abenden kaum mehr als ein Dutzend Gäste. «Die Bestellungen kommen jetzt via Uber Eats», sagt der Fleisch-Schneider, der mein Pastrami-Sandwich zubereitet.
Mobilisierungs-Standaktionen findet man kaum. Interview-Anfragen an die städtischen Republikaner und Demokraten bleiben unbeantwortet. Zu sehen gäbe es angesichts dem sicheren Biden-Sieg auch wenig. Und reden wollen auch die wenigsten. «Die Leute haben hier grossen Respekt vor der Pandemie. Sie erinnern sich gut an die Bilder der Kühllaster, die im Frühling Leichen abtransportieren mussten», erklärt der maskentragende 32-jährige Nicolas bei einem Spaziergang dem maskentragenden watson-Reporter.
Nicolas verliess vor zwei Jahren die Schweiz und lebt seither in Manhattan. Er verfolge mehrmals in der Woche die Berichte über die Corona-Entwicklung in seinem Heimatland. «Es ist frustrierend. Die Schweiz hat es im Frühlung gut gemeistert, und jetzt bremst man und sieht überall die Covid-Idioten (…) wie kommt man dazu, so einen Scheiss zu glauben? Wieso sieht man eine Maske als Freiheitseinschränkung an?», fragt er rhetorisch. New York sei anders. Hier gebe es viele komische Menschen, aber im Grossen und Ganzen habe man die Pandemie-Gefahr erkannt. Hier tragen draussen und drinnen fast alle eine Maske.
Auch dort, wo sich New York lebendiger, rauer und echter präsentiert. In Brooklyn trägt auch der Strassenverkäufer im Afro-Look eine Maske. Viele lassen sich aber das Lebendige nicht nehmen. Schon der psychischen Gesundheit wegen nicht. «Wir brauchen das», sagt einer, der mit Maske bei kühlen acht Grad Celsius da mittanzt.
Corona scheint hier wirklich omnipräsent zu sein. Politik ist hier – im Vergleich zu den Swingstates, wo Trump und Biden bis zum letzten Tag vor der Wahl Auftritte abhalten – zweitrangig. Nur wenige tragen in Brooklyn, Harlem und Bronx einen «I voted»-Kleber auf der Jacke. Hier wählt man Biden, auch wenn man nicht ganz auf seiner Linie ist. Hervorzuheben braucht man das hier nicht.
Der 72-jährige John Garberg aus Brooklyn ist einer von ihnen. 2016 wählte er die Grüne Jill Stein. «Das war rückblickend betrachtet ein Fehler. Heute würde ich lieber Durchfall haben statt Trump wählen», sagt er im Videogespräch mit watson. Er sei ein stolzer Anti-Trump. «Er ist Abschaum, ein charakterliches Miststück. Seine politischen Erfolge zählt man in verlorenen Menschenleben», poltert er.
Der Trump-Gegner will sich nicht als Sozialisten bezeichnen. «Ich kenne den Kapitalismus gut und ein paar sozialistische Korrekturen etwa beim Krankenkassen-System würde uns gut tun», erklärt er. Dafür brauche es aber einen Zentristen wie Biden und nicht einen Trump, den er als New Yorker seit Jahren kennt: «Er tut alles nur des Geldes wegen.»
Sein Rat an all jene, die sich noch nicht für einen Kandidaten entscheiden konnten? «Wählt jetzt für Biden, damit der Lügner aus dem Weissen Haus verschwindet.»