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In der Ukraine steht ein weiteres politisches Erdbeben bevor

epa07722171 An election advertising of the 'Servant of people? political party of the President Volodymyr Zelensky in Kiev, Ukraine, 17 July 2019. Elections will be held on 21 July 2019 after Pre ...
Die neugegründeten «Diener des Volkes» führen in Umfragen.Bild: EPA

In der Ukraine steht ein weiteres politisches Erdbeben bevor

17.07.2019, 15:19
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Bei der Parlamentswahl am kommenden Sonntag steht der Ukraine ein weiteres politisches Erdbeben bevor. Schon bei der Präsidentenwahl im April hat die Bevölkerung die alte politische Kaste abserviert und den Ex-Komiker Wolodymyr Selenskyj mit haushoher Mehrheit ins Präsidentenamt gewählt.

Nun wird auch bei der Parlamentswahl kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Die alten Parteien haben sich zum Teil noch hektisch umbenannt, aber den grössten Stimmenanteil dürfte die von Selenskyj neu gegründete Partei Diener des Volkes verbuchen.

Den Parteinamen Diener des Volkes hat Selenskyj aus seinem früheren Leben mitgebracht – so hiess eine jener Unterhaltungssendungen, denen er seine landesweite Beliebtheit verdankt.

epa07636795 Ukrainian President Volodymyr Zelensky speaks during the congress of pro-presidential Servant of the People political party in Kiev, Ukraine, 09 June 2019. According to reports and recent  ...
Präsident Selenskyj war Komiker.Bild: EPA/EPA

Selenskyj, obwohl bereits seit Mai als Staatschef im Amt, setzt weiter darauf, sich vom Establishment abzusetzen. Er will nicht, dass in seiner Partei Kandidaten zum Zuge kommen, die bislang oder früher einmal im Parlament sassen. Stattdessen erging eine allgemeine Einladung an die Öffentlichkeit, sich für die Listenplätze zu bewerben.

Haushohe Führung

Eine Befragung der Rating Group ergab, dass unter den Wählerinnen und Wählern, die sich bereits festgelegt haben, 47 Prozent für die Diener des Volkes stimmen wollen. Vielleicht reicht es also nicht für die absolute Mehrheit, aber in jedem Falle dürfte Selenskyjs Partei den Anker der künftigen Regierungskoalition abgeben.

Und danach kommt lange nichts: An zweiter Stelle in der Wählergunst liegt mit bis zu 14 Prozent eine Russland-freundliche Partei mit dem Namen Oppositionsplattform - Für Leben. Von den 20 Parteien, die an den Start gehen, wird nur ein kleiner Teil ins Parlament einziehen.

Selenskyjs Partei schwimmt ganz in seinem Fahrwasser. «Die höchste Priorität liegt darauf, das Land von Korruption, Ausplünderung, Bestechung und Scheinheiligen zu befreien», heisst es auf der Homepage der Diener des Volkes.

Der Grossteil der Bevölkerung teilt die Ansicht, dass es unter Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko nicht gelungen ist, die Korruption einzudämmen, die Wirtschaft anzukurbeln und im Konflikt mit den pro-russischen Separatisten einen Sieg davonzutragen, die seit 2014 Teile des Staatsgebietes im Osten der Ukraine unter ihrer Kontrolle haben.

Neubeginn erhofft und gefürchtet

Die weit verbreitete Unzufriedenheit werde dazu führen, dass «absolut neue Leute» ins Parlament gewählt werden, sagt Irina Bekeschkina von der Democratic Initiatives Foundation voraus. Dies sei einerseits «genau der Neubeginn, auf den die Wähler hoffen». Andererseits sei es aber «gefährlich», denn den Neueinsteigern fehlten «die erforderlichen Fähigkeiten für politische Ämter».

Das scheint die Wähler wenig zu kümmern. 63 Prozent sagten in einer Umfrage, die künftigen Parlamentarier sollten «eine neue Generation von Politikern» bilden. Nur 24 Prozent der Befragten hielten es für wichtig, dass die Abgeordneten über Partei- und Regierungserfahrung verfügen.

Von den 424 Mandaten werden 225 über Parteilisten vergeben, der Rest der Volksvertreter zieht per Direktwahl ins Parlament in Kiew ein. Poroschenkos Partei, die sich in Europäische Solidarität umbenannt hat, liegt in der Wählergunst bei etwa neun Prozent, die Partei der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko bei lediglich sechs Prozent. Chancen auf einen Einzug ins Parlament hat auch die neu gegründete Partei Golos von Rockstar Swjatoslaw Wakarschuk.

Angesichts des erwarteten generellen Umbruchs hält Oleksandr Suschko, Leiter der International Renaissance Foundation, es für möglich, dass im künftigen Parlament ein gewisses «Chaos» ausbricht. Dann würde es «weder Reformen, noch qualitativ hochwertige Politik» geben - und das Parlament brächte sich selbst in Verruf. In letzter Konsequenz befürchtet Suschko in diesem Fall, dass Ukraines «Gesellschaft völlig die Hoffnung verliert». (sda/afp)

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