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Der Anschlag von Halle: Was wir wissen

Anschlag von Halle: Seehofer: «Bedrohung durch Rechtsextreme sehr hoch»

10.10.2019, 19:4811.10.2019, 06:00
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Was ist passiert? Der schnelle Überblick:

  • Bei Angriffen in Halle (Sachsen-Anhalt) hat ein schwerbewaffneter Täter vor einer Synagoge und in einem Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen und mindestens zwei weitere verletzt.
  • Der mutmassliche Rechtsextremist Stephan B. aus Sachsen-Anhalt wurde am Mittwochnachmittag festgenommen. Er hatte gegen Mittag zunächst versucht, die Synagoge in Halle mit Waffengewalt zu stürmen.
  • Den Schilderungen zufolge legte der Mann auch selbstgebastelte Sprengsätze vor der Synagoge ab. Dem Täter gelang es jedoch nicht, in das Gotteshaus einzudringen. Daraufhin feuerte er mehrere Schüsse auf die Tür des Gebäudes ab.
  • Anschliessend tötete er vor der Synagoge und in einem nahegelegenen Döner-Imbiss zwei Menschen, über deren Identität bislang keine gesicherten Informationen vorliegen.
  • Defekte an mindestens einer Waffe des Täters haben allem Anschein nach eine höhere Opferzahl verhindert. In dem offensichtlich vom Attentäter aufgenommenen Tatvideo ist zu sehen, wie in mindestens zwei Fällen Ladehemmungen Menschen das Leben retten. Der Täter setzte eine vermutlich im Selbstbau hergestellte Langwaffe, eine Pistole und Sprengsätze ein.
  • Der Angreifer soll die Taten gefilmt und per Helmkamera live ins Internet übertragen haben, bevor er vom Tatort floh. Der Generalbundesanwalt zog die Ermittlungen an sich – wegen Mordes von besonderer Bedeutung. Ein Grosseinsatz im von Halle etwa 15 Kilometer entfernten Landsberg bleibt rätselhaft.
  • Der Zentralrat der Juden kritisierte, dass die Synagoge an dem jüdischen Feiertag nicht durch die Polizei bewacht gewesen war. Auch der Vorstand der betroffenen Gemeinde äusserte sich kritisch.
  • Die Wohnung des 27-jährigen Tatverdächtigen wurde mittlerweile von der Polizei durchsucht. Dabei wurden diverse Beweise sichergestellt. Die deutsche Bundesanwaltschaft will derweil noch heute beim Bundesgerichtshof einen Haftbefehl gegen den mutmasslichen Attentäter beantragen.
  • Der Vater des Täters bezeichnete ihn als Einzelgänger, der keine Freunde hatte und seine Freizeit fast ausschliesslich online verbrachte.

Die Reaktionen

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Bild: EPA

An der Pressekonferenz zur Tat in Halle sagt Innenminister Horst Seehofer: «Die Tat ist eine Schande für das ganze Land». Die Bedrohungslage durch Antisemitismus und rechten Terror sei sehr hoch in Deutschland. Darauf müsse jetzt reagiert werden. «Wir müssen auf die zunehmende rechte Gewalt reagieren.»

Seehofer möchte nach der Tat vermehrt gegen Hassparolen im Netz vorgehen, um derartige Angriffe wie in Halle zu verhindern. «Wir müssen das angehen, was im Internet abgeht», erklärt Seehofer. Weiter sagt Seehofer: «Die Bedrohung durch Rechtsextremismus ist sehr hoch.»

Der deutsche Innenminister auch dauerhaft besseren Schutz für jüdische Einrichtungen im ganzen Land angekündigt. Jüdische Einrichtungen müssten besser geschützt werden - dies werde ab sofort, nachhaltig und dauerhaft geschehen, sagte Seehofer am Donnerstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Halle/Saale unter anderem mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff.

«Dieses brutale Verbrechen gestern ist eine Schande für unser ganzes Land. Bei unserer Geschichte darf so etwas in Deutschland eigentlich nicht passieren» so Seehofer.

Das sagt die AfD

Die AfD hat sich gegen Vorwürfe gewehrt, eine Mitverantwortung an dem Anschlag in Halle zu haben. «Wer dieses entsetzliche Verbrechen missbraucht, um die politische Konkurrenz mit haltlosen Diffamierungen zu verleumden, der spaltet die Gesellschaft und schwächt das demokratische Fundament, auf dem wir stehen», erklärte die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel am Donnerstag.

11.09.2019, Berlin: Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, spricht bei der Generaldebatte im Deutschen Bundestag. Hauptthema der 111. Sitzung der 19. Legislaturperiode ist der Gesetzentwurf der B ...
Alice Weidel.Bild: dpa

Namentlich nannte die Politikerin den bayerischen Innenminister Joachim Hermann (CSU) und den SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach.

Hermann hatte im Bayerischen Rundfunk von geistigen Brandstiftern gesprochen. In letzter Zeit seien da auch einige Vertreter der AfD (Alternative für Deutschland) in unverschämter Weise aufgefallen, so der CSU-Politiker.

Karl Lauterbach hatte auf Twitter geschrieben: «Es ist die Hetze der AfD, die dem Rechtsextremismus eine politische Stimme gab.» Er warf der Partei eine Mitschuld vor.

Zudem verurteilte die AfD den Anschlag auf die Synagoge. «Wir sind erschüttert über dieses monströse Verbrechen. Wir trauern mit den Angehörigen um die Ermordeten und wünschen den Verletzten rasche und vollständige Genesung», hiess es von Fraktionschef Alexander Gauland. Und weiter: «Antisemitischer Terror und extremistische Gewalt müssen konsequent bekämpft und hart bestraft werden, egal aus welcher Richtung und Gesinnung sie kommen.»

Das Manifest

Halle: Rechtsextremist wollte Massaker in Synagoge anrichten

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Halle: Rechtsextremist wollte Massaker in Synagoge anrichten
In Deutschland hat ein schwerbewaffneter Täter versucht, in einer Synagoge in Halle/Saale ein Blutbad unter rund 80 Gläubigen anzurichten. Ein Augenzeuge hat ihn gefilmt, wie er mit seiner Pistole auf der Strasse auf Menschen schiesst. (Bild: Screenshot)
quelle: screenshot twitter
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Im Internet ist ein Manifest aufgetaucht, das dem Angreifer von Halle zugeordnet wird. Gemäss der Leiterin der auf die Beobachtung von Extremisten spezialisierten Site Intelligence Group, Rita Katz, soll das PDF-Dokument Bilder von Waffen zeigen und einen Verweis auf das Live-Video enthalten. Das Dokument sei am 1. Oktober hochgeladen worden. In dem Text werde das Ziel genannt, «so viele Anti-Weisse zu töten wie möglich, vorzugsweise Juden». Ob es tatsächlich von dem mutmasslichen Täter stammt, ist noch nicht geklärt.

Der Anschlag

In Deutschland hat ein schwerbewaffneter Täter versucht, in einer Synagoge in Halle/Saale ein Blutbad unter rund 80 Gläubigen anzurichten. Der Täter wollte nach Angaben des Zentralrats der Juden mit Waffengewalt in die Synagoge eindringen.

Danach soll der Mann vor der Synagoge und in einem nahen Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen haben. Er floh vom Tatort und wurde am Nachmittag festgenommen. Er hatte seine Tat gefilmt und das Video ins Internet gestellt. Erst nach langen Stunden des Wartens wurde klar, dass es sich um einen Einzeltäter handelte.

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Besucher der Synagoge verlassen den Tatort.Bild: EPA

Mindestens eine Waffe des Täters hat allem Anschein nach eine höhere Opferzahl verhindert, da sie in mindestens zwei Fällen Ladehemmungen hatte und somit Menschen das Leben rettete. Der Täter setzte eine vermutlich im Selbstbau hergestellte Langwaffe, eine Pistole und Sprengsätze ein.

Das Motiv

Innenminister Horst Seehofer sprach am Abend von einem antisemitischen Motiv. Der Generalbundesanwalt, der die Ermittlungen rasch an sich gezogen hatte, habe zudem «ausreichend Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund».

Seehofer sagte weiter: «Der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur ist heute ein schwarzer Tag. Ein schwer bewaffneter Täter hat versucht, in eine Synagoge einzudringen, in der sich rund 80 Menschen aufhielten.»

Der Täter

Bei dem mutmasslichen Täter handelt es sich nach «Spiegel»-Informationen um einen 27-jährigen Deutschen aus Sachsen-Anhalt. Die Polizei bestätigte am Abend, dass es sich bei dem kurz nach der Tat festgenommenen Mann um den mutmasslichen Schützen handele. Er wurde demnach verletzt und medizinisch versorgt.

Ein Nachbar der Familie des mutmasslichen Täters beschreibt ihn als ruhig. Ausserdem soll er viel Zeit zu Hause verbracht haben, wie der «Stern» berichtet.

Die «Bild»-Zeitung hat den Vater des Täters besucht. Dieser erzählte, dass sein Sohn zwei Semester Chemie studierte, bevor er wegen einer Magen-Operation aufhören musste. Er sei ein Einzelgänger gewesen und habe nie wirklich Freunde gehabt. Auch habe er einen Grossteil seiner Freizeit online verbracht.

Der Täter auf einem Augenzeugen-Video.
Der Täter auf einem Augenzeugen-Video.Bild: screenshot twitter

Hier beschreibt ein Zeuge den Tathergang und den Täter:

Die Opfer

Getötet wurden nach Angaben einer Polizeisprecherin ein Mann und eine Frau. Der Mann sei gegen Mittag in einem Dönerimbiss erschossen worden, die Frau in der Humboldtstrasse, in der sich auch die Synagoge befindet.

Die beiden durch Schüsse Verletzten – ebenfalls ein Mann und eine Frau – wurden nach Angaben des Universitätsklinikum Halle «schwerstverletzt». Beide seien erfolgreich operiert worden, «es besteht derzeit keine akute Lebensgefahr».

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte am Abend: «Die Brutalität des Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock.»

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Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort – im Hintergrund ist eine abgedeckte Leiche zu sehen.Bild: EPA

Das Bekennervideo

In den sozialen Netzwerken soll er ein 35-minütiges Bekennervideo hochgeladen haben. Darin ist ein junger Mann in Kampfanzug mit weissem Halstuch in einem Auto zu sehen. Der Mann gibt in vermutlich nicht muttersprachlichem Englisch extrem antisemitische Äusserungen von sich.

In dem Video sind auch mehrere Schiessszenen zu sehen. Unter anderem zeigt das Video, wie in einem Döner-Imbiss mehrfach auf einen Mann geschossen wird, der hinter einem Kühlschrank liegt. Das Video liegt DPA vor.

Der mutmassliche Täter der Angriffe in Halle/Saale wollte nach Experteneinschätzung eine internationale rechte Internet-Subkultur erreichen. Zu diesem Ergebnis kommt der Extremismusforscher Matthias Quent mit Blick auf ein am Mittwoch verbreitetes Video, das die Tat zeigen soll.

«Er spricht Englisch und er greift Verschwörungstheorien auf, zum Beispiel über die angeblich zerstörerische Macht des Judentums. Er äussert sich auch abwertend über Feminismus», sagte Quent der Deutschen Presse-Agentur. «Das sind Motive der weltweiten radikalen und populistischen Rechten.»

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Schiesserei in Halle
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Schiesserei in Halle
09.10.2019, Sachsen-Anhalt, Halle: Eine abgedeckte Leiche liegt in einer Straße. Bei Schüssen sind nach ersten Erkenntnissen zwei Menschen getötet worden. Foto: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
quelle: dpa-zentralbild / sebastian willnow
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91 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Frogface
10.10.2019 07:59registriert Mai 2019
Das sind keine Einzeltäter, nur weil sie keine geheimen Treffen in konspirativen Wohnungen abhalten. Oder wie Welke in der Heute Show einmal sagte: früher gab es in jedem Dorf einen Trottel - heute schliessen sie sich alle im Internet zusammen.

Unsere Politiker sind irgendwie zu alt, um das zu begreifen.
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solani
10.10.2019 09:28registriert Mai 2016
Es wird im Text nicht von Terror gesprochen. Aber das ist nach Definition Terrorismus oder?
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Heinzbond
10.10.2019 06:17registriert Dezember 2018
internationale rechte Internet-Subkultur, ich bin mir nicht sicher ob man derart primitives denken und handeln damit adeln sollte und es eine Kultur nennen sollte. Oder Subkultur. Solche Leute lehnen doch alles ab was unsere Welt seit Erfindung der Sprache ausmacht und dennoch profitieren sie von rechtsstaatlichkeit, Gesundheitsversorgung, Bildung. Gut letzteres ist öffentlich Perlen vor die Säue...
Weshalb ist es zu akzeptieren das nur weil sie eine Agenda haben ihr in teilen der Bevölkerung gebilligt wird, nicht in jedem Satz in jeder Geste in jeder tat sofort eingeschrieben wird?
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