Zwei Tage vor dem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei ist der Wahlkampf in den Endspurt gegangen. Präsident Recep Tayyip Erdogan zeigte sich in einem Interview am Donnerstagabend zuversichtlich, dass bei der Abstimmung am Sonntag das Ja-Votum siegt.
Da beide Lager in den vergangenen Tagen ihre Kampagnen intensiviert hätten, sei die Zahl der unentschiedenen Wähler zurückgegangen, sagte Erdogan dem Sender TRGT. Dies sei zu seinen Gunsten geschehen: «Das Ja ist deutlich gestiegen, während das Nein gesunken ist», sagte Erdogan, der bei jeder Gelegenheit für die umstrittene Verfassungsänderung wirbt, obwohl er als Präsident zur Neutralität verpflichtet ist.
Der Ausgang des Referendums scheint weiter offen: Eine neue Umfrage der Konda-Gruppe sieht das Ja bei 51.5 Prozent, während eine Umfrage der Sonar-Gruppe 51.2 Prozent für das Nein-Lager erwartet. Der Vorsitzende der oppositionellen CHP, Kemal Kilicdaroglu, rief erneut zum Nein auf, die Folgen des Präsidialsystems für die Türkei seien nicht absehbar.
Für Streit sorgten Äusserungen eines Erdogan-Beraters, der im Fall eines Ja-Votums ein föderales System in Aussicht stellte. Die Äusserung wurde von der ultrarechten MHP scharf kritisiert, auf deren Unterstützung Erdogan für die Verfassungsreform angewiesen ist.
Erdogan betonte bei einer Rede in Konya, er sei immer «der grösste Verteidiger» der Einheit des Landes gewesen. Eine föderale Struktur sei «nicht auf unserer Agenda und wird es nicht sein», sagte er. Ein föderales System mit mehr Rechten für die einzelnen Regionen wird seit langem von den Kurden angestrebt, ist jedoch ein rotes Tuch für die Nationalisten.
Eine Verlängerung des nach dem Putschversuch vom 15. Juli verhängten Ausnahmezustands schloss Erdogan nicht aus. «Wenn die Zeit ausläuft, verlängern wir ihn», sagte er.
Der Ausnahmezustand, der dem Präsidenten erlaubt, per Dekret zu regieren, wurde bereits zwei Mal verlängert und endet eigentlich kommende Woche. Die Opposition wirft Erdogan vor, den Ausnahmezustand zu missbrauchen, um das Parlament zu umgehen.
Die Abstimmung findet unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatte in der letzten Ausgabe ihrer Zeitschrift «Al-Naba» zu Angriffen auf Wahllokale aufgerufen. Die Polizei nahm am Freitag fünf mutmassliche IS-Anhänger in Istanbul fest, die einen «spektakulären Anschlag» am Referendumstag geplant haben sollen, wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete.
Erdogan griff in dem Interview am Donnerstagabend auch den inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel scharf an und schloss dessen Übergabe an Deutschland aus, so lange er im Amt sei. «Solange ich in diesem Amt bin, niemals», sagte er. Yücel sei ein «Agent-Terrorist».
Da Deutschland die Auslieferung gesuchter türkischer Staatsbürger verweigere, werde die Türkei Deutsche, die in «unsere Hände fallen», ebenfalls nicht ausliefern. (sda/afp)