Wütende Demonstranten gegen Polizisten: In Barcelona hat der Protest gegen die Verhaftung des ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont zu Strassenschlachten geführt. Der Konflikt zwischen der spanischen Zentralregierung und der Region Katalonien ist damit erneut aufgeflammt.
Die spanische Verfassung von 1978 hat ein föderales Modell eingeführt, das mit dem brachialen Zentralismus des Franco-Regimes aufräumte. Seither ist der spanische Staat stärker dezentralisiert als mancher dem Namen nach föderale Staat. Die 17 Comunidades Autónomas (Autonome Gemeinschaften), die der Funktion nach ungefähr Bundesstaaten entsprechen, verfügen zum Teil über erhebliche politische, administrative und finanzielle Befugnisse.
Dennoch gibt es in mehreren Regionen separatistische Bestrebungen – nicht nur in Katalonien und im Baskenland, wo sie am stärksten sind. Eine Übersicht:
In der wirtschaftsstärksten Region Spaniens wird rund ein Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftet – dies trotz eines riesigen Schuldenbergs von mehr als 41 Milliarden Euro und einer Arbeitslosenquote von über 15 Prozent. Die Unzufriedenheit in Katalonien hat damit zu tun, dass viele Katalanen der Meinung sind, Barcelona müsse zu hohe Zahlungen an die Zentralregierung abführen, ohne dafür einen vergleichbaren Gegenwert zu erhalten. Im Gegensatz zum Baskenland, das finanzpolitisch weitgehend autonom ist, muss sich Katalonien überdies ständig mit der Zentralregierung abstimmen.
Nach dem Unabhängigkeitsreferendum und der einseitigen Unabhängigkeitserklärung vom Oktober 2017 eskalierte der Konflikt mit Madrid, das mit der Absetzung der katalanischen Regionalregierung reagierte. Mittlerweile ist der katalanische Separatismus der virulenteste in Spanien und auch innerhalb der EU. In den beiden grössten Städten, Barcelona und Tarragona, sind die Separatisten allerdings deutlich weniger stark als auf dem Land.
Die drei baskischen Provinzen Gipuzkoa, Biskaya und Álava im Nordosten Spaniens bilden seit 1979 eine Autonome Gemeinschaft. Die Region ist wirtschaftlich stärker als der spanische Durchschnitt; sie trägt etwa sechs Prozent zum nationalen BIP bei. Lange Zeit war der Separatismus im Baskenland am stärksten; rund 50 Jahre lang kämpfte die Terrororganisation ETA mit Anschlägen für die Unabhängigkeit. Erst 2011 stellte sie den bewaffneten Kampf ein. 2017 gab sie ihre Waffen ab.
Von allen Regionen Spaniens geniesst das Baskenland die weitestgehende Autonomie. Basken leben jedoch nicht nur in den drei Provinzen, sondern als Minderheit auch im spanischen Navarra sowie im französischen Baskenland jenseits der Grenze. Die meisten Basken in diesen Gebieten lehnen eine Unabhängigkeit eher ab.
Das durch Berge vom restlichen Spanien isolierte Galicien definiert sich ähnlich wie Katalonien und das Baskenland über eine eigene Kultur und Sprache – das Galego ist dem Portugiesischen näher verwandt als dem Spanischen. Es gibt daher separatistische Strömungen, die einen Anschluss an Portugal befürworten. Für die Unabhängigkeit von Spanien tritt seit den 80er-Jahren der Bloque Nacionalista Galego (BNG) ein. Die Partei holte bei den galicischen Regionalwahlen von 1997 knapp ein Viertel der Stimmen und wurde damit zweitstärkste Partei. Seither ist ihr Anteil jedoch stark zurückgegangen.
Die schwache Wirtschaft Galiciens ist dem Separatismus nicht eben zuträglich. Die Region wählt in der Mehrheit ohnehin eher nationalistische Politiker – sowohl Diktator Franco wie der konservative spanische Premierminister Rajoy stammen aus Galicien. Die Unabhängigkeitsbewegung ist dennoch nicht tot: Beim Referendum in Katalonien gingen hier viele aus Solidarität auf die Strasse.
Die Region im Süden des Landes, die aus acht Provinzen besteht, stand am längsten unter der Herrschaft der muslimischen Eroberer aus Nordafrika. Die lange Fremdherrschaft hat sich in der kulturellen DNA Andalusiens niedergeschlagen. Möglicherweise sind deswegen Bewegungen, die für mehr Selbstbestimmung eintreten, hier relativ früh aufgetreten: Schon im 19. Jahrhundert forderten Nationalisten ein autonomes Andalusien innerhalb eines föderalen Spaniens. Nach der Franco-Diktatur setzten sich mehrere Parteien für eine grössere Autonomie der Region ein, doch nur Splittergruppen forderten die Loslösung von Spanien.
2007 stimmte eine grosse Mehrheit der Einwohner für mehr Befugnisse im Bereich Steuern und eine Stärkung der nationalen Identität. Insgesamt sind die separatistischen Tendenzen in Andalusien jedoch gering; der Partido Andalucista, der zeitweise in einigen Städten in Westandalusien das Bürgermeisteramt erobern konnte, in den regionalen Wahlen 2015 aber nur auf 1,5 Prozent kam, löste sich im selben Jahr auf.
Rund 70 Prozent der Einwohner der Balearen sprechen einen katalanischen Dialekt. Die Inselgruppe gehört zu den sogenannten Països Catalans (Katalanische Länder), in denen katalanisch gesprochen wird. Nach der franquistischen Diktatur fand auch auf diesen Mittelmeerinseln eine Rückbesinnung auf die regionale Identität statt, die sich vornehmlich an der Sprache orientierte.
Bei den Regionalwahlen 2015 erhielt ein Bündnis der nationalistischen Parteien Més per Mallorca und Més per Menorca 15 Prozent der Stimmen; die Partei Proposta per les Illes, die mehr Autonomie fordert, kam auf 8 Prozent. Dennoch ist die Mehrheit der Inselbewohner gegen eine Abspaltung von Spanien.
Die Einwohner der Inselgruppe im Atlantik sprechen einen spanischen Dialekt und identifizieren sich gemäss Umfragen stark mit ihrer Region. Ende der 70er-Jahre kam es zu gewalttätigen Aktionen von Separatisten, die vom Festland zugewanderte Spanier mit dem Schlachtruf fuera godos («Goten raus!») zu vertreiben versuchten. Danach erlahmte der separatistische Eifer; die Partei MPAIAC, die für die Unabhängigkeit von Spanien eintrat, löste sich 1982 auf.
Heute sind separatistische Parteien wie die Frente Popular de las Islas Canarias lediglich Splittergruppen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Madrid lässt die Unabhängigkeit von Spanien nicht als attraktive Option erscheinen. Die konservative Coalición Canaria, die 2015 auf 16 Prozent kam, hat sich daher nur die Selbstbestimmung der Kanaren aufs Banner geschrieben.