Auf einer Parkbank in Johannesburg’s Kreativ-Quartier Newtown treffe ich Lindokuhle Sobekwa in der Mittagspause. Schnell macht er klar, dass er selbst nicht im Zentrum der Geschichte stehen will, und lenkt die Diskussion auf das Thema seiner Bilder: Die Droge Nyaope, die Süchtigen und die Township-Siedlung Thokoza.
Thokoza ist eine rund 10 Quadratkilometer grosse Siedlung mit offiziell 100‘000 Einwohnern. Die halbstündige Fahrt ins nordwestlich gelegene Zentrum von Johannesburg kostet 26 Rand (1.80 Franken).
Manche Townships, einst Inbegriff des in Architektur gegossenen Rassismus, haben sich zu recht beschaulichen Vorstädten entwickelt. Nach dem Ende der Apartheid hat die Südafrikanische Regierung viel Geld in sozialen Wohnungsbau, Strassen, Strom- und Wasseranschlüsse investiert.
Doch die sozialen Probleme sind geblieben, und während man in den besseren Strassen grosszügige Häuser und Luxusautos finden kann, wachsen an den Rändern die informellen «squatter camps» weiter. Thokoza gilt als ein vernachlässigtes Township, und die Hüttensiedlung von Phola Park, wo Sobekwa zu Hause ist, gehört zu den übelsten Quartieren von Thokoza.
Nyaope, das ist ein Drogencocktail auf Heroin-Basis (siehe Box), dessen verheerende Wirkung der Fotograf seit nun drei Jahren dokumentiert. «This thing is killing us», sagt er über die Substanz, und er bezieht sich absichtlich mit ein. Betroffen seien nicht nur die Süchtigen, sondern auch Freunde, Familienangehörige und die ganze Gemeinschaft.
Die Süchtigen – er will sie nicht «Nyaope-Jungs» nennen, «weil es Menschen sind wie du und ich» – sind eine lose Gruppe von Jugendlichen, die sich in einer Wellblechhütte treffen, um Nyaope zu rauchen oder zu spritzen. Er nennt sie «Freunde» oder «Brüder».
Bereits am Telefon hatte Sobekwa klar gemacht, dass es keine Interviews mit ihnen geben wird: Die intime Beziehung, die er über die Jahre aufgebaut hat, könnte gestört werden, wenn ein weisser Journalist mit ihm im Township aufkreuzt. Weisse erregen in Thokoza Aufsehen, Neid und Missgunst.
Sobekwa ist kein Kriegsfotograf, sondern ein diskreter Chronist des alltäglichen Überlebenskampfes vor seiner Haustür. Was ihn von seinen Sujets unterscheidet: Sie haben Nyaope, er eine Kamera. Zum Fotografieren animiert wurde er durch ein Projekt namens Of Soul and Joy an der lokalen High School. «Die Kamera gibt mir eine gewisse Distanz zu dem, was um mich herum geschieht», sagt er, «etwas, an dem ich mich festhalten kann.»
Die oft gefeierte und verklärte «born free»-Generation trägt ein schweres Erbe. Das Leben im Township ist geprägt von Gewalt, Kriminalität und Alkoholismus. Südafrika belegt international Spitzenpositionen in den Statistiken für gewaltsamen Tod und soziale Ungleichheit. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt offiziell knapp 50 Prozent.
Dazu kommt, dass viele ihre Eltern früh verloren haben, oft durch die Aidswelle, die in den ersten Jahren der «Freiheit» über das Land rollte. Mit beiden Elternteilen aufzuwachsen, ist die Ausnahme. Auch Sobekwas Vater ist früh gestorben – nicht an Aids, wie er betont. Seine Mutter ist zurück in ihr Heimatdorf gezogen. Er wohnt deshalb alleine in seiner Hütte.
Es fällt dem jungen Fotografen schwer, Worte zu finden für das, was in seiner Siedlung geschieht. Die Geschichten der Menschen in seinen Bildern bleiben bruchstückhaft. Auffällig findet er, dass es oft besonders talentierte Jugendliche seien. Solche, die an der Schule noch als gute Sportler, Autorinnen oder Rapper aufgefallen waren. Die ersten Fotos hatte er auf ihre Einladung hin gemacht. «Zu sehen, wie schlecht sie darauf aussehen, machte sie traurig – aber sie wollten es zeigen, als Warnung für andere.»
Unterdessen sind drei von ihnen gestorben. Einer wurde eines Morgens tot in einem Kirchenzelt gefunden, wo er sich den letzten Schuss gesetzt hatte. Sobekwa fotografierte seine Beerdigung. Ein anderer wurde von einem Mob zu Tode geprügelt, weil er etwas gestohlen haben soll.
Es ist kein Geheimnis, dass die Süchtigen die 25 bis 45 Rand (1.80 bis 3.20 Franken) für eine Dosis Nyaope nicht immer mit legalen Mitteln auftreiben. Ihr Haupterwerb ist der Verkauf von Altmetall, wobei manchmal auch Kabel und andere verwertbare Materialien abmontiert werden, die noch in Gebrauch sind.
Andererseits bieten die Süchtigen auch willkommene Sündenböcke für alle möglichen Diebstähle, die sie nie begangen haben. Weil die Polizei in Bagatellfällen nichts unternimmt, oder die Süchtigen nach ein paar Tagen Gefängnis wieder frei kommen, nehmen die Quartierbewohner das Recht in die eigene Hand. Die Hütte, in der viele von Sobekwa‘s Fotos entstanden, gibt es nicht mehr: Eines Nachts wurde sie vom Mob niedergebrannt.
Sobekwas Nähe zu den Nyaope-Süchtigen ist riskant. Er verbrachte drei Nächte im Gefängnis, weil die Polizei ihn bei einer Drogenrazzia für einen der Süchtigen hielt. Dann wurde seine Kamera gestohlen, vielleicht von Neidern in der Siedlung. Er will daraus kein Drama machen – was ihm passiert ist, sei schliesslich «nichts Spezielles».
Seine Arbeit hat ihm nicht nur Probleme, sondern auch Unterstützung und Anerkennung gebracht: Die Nyaope-Serie erschien im Mail&Guardian und im Vice Magazin, wurde in Belgien ausgestellt und als Fotobuch veröffentlicht.
Zurzeit fotografiert Sobekwa mit einer geliehenen Kamera und besucht Kurse am Market Photo Workshop, danach möchte er an einer Uni Fotografie studieren. Den Fokus seiner Arbeit hat er auf ganz Thokoza erweitert, doch das Schicksal der Nyaope-Süchtigen lässt ihn nicht los: «Wir müssen mehr wissen über diese Droge und wirksame Entzugstherapien finden für die Leute, die damit aufhören wollen.»
Was ihn antreibt ist der Glaube an die aufklärerische Wirkung von Bildern, die zum Hinsehen zwingen, wo man lieber wegschauen möchte.