Rechte und verschwörungstheoretische Seiten bewerben die «Capitol Post», ein angebliches Enthüllungsmagazin, das einen Blick «hinter die Kulissen der Mächtigen» verspricht. Die Verkaufstaktik: Ängste schüren. Dahinter steckt ein ausgeklügeltes System voller Lügen.
Sie nennen sich «Journalistenwatch», «Freie-Presse.net», oder «Watergate.tv». Für viele, die im Internet und auf der Strasse gegen die angebliche «Lügenpresse» demonstrieren, sind sie bevorzugte Informationsquellen.
Ob ihre Artikel wirklich wahr sind? Oft Nebensache. Es geht viel mehr darum, wie gut sie ins Weltbild passen.
Das ist schnell umrissen: Wir werden bedroht. Von denen da oben und von denen da draussen. Von Politikern, Geheimbünden und Weltverschwörern. Von Muslimen und Geflüchteten. Überall lauern Gefahren. Und so viel ist klar: Eine grosse Katastrophe kommt auf uns zu.
Einige dieser Seiten mit einer offen rechten Ausrichtung sind in den vergangenen Jahren entstanden und gewachsen. Das «Pegida-Publikum» informiert sich auf ihnen über das Weltgeschehen, AfD-Politiker teilen ihre Artikel in den sozialen Medien.
Deutschsprachige «Alternativmedien» gibt es jedoch schon länger. YouTube-Kanäle und vermeintliche «Nachrichtenseiten» verbreiten Verschwörungstheorien, oft als Aufklärung und Enthüllung maskiert. Der wohl populärste Klassiker ist die Behauptung, der 9/11-Anschlag auf das World Trade Center sei von den amerikanischen Geheimdiensten inszeniert worden.
Sie alle verbindet die Annahme, dunkle Mächte würden die Geschicke der Welt aus dem Verborgenen steuern.
Auf einigen dieser «Alternativmedien» wird seit mehreren Monaten für die «Capital Post» geworben, Deutschlands angeblich ersten «digitalen Aufklärungsdienst».
Auf dem rechten Blog Journalistenwatch.com wird etwa erklärt, dass die «Capitol Post» zeige, dass das Finanzamt die deutschen Steuerzahler betrüge. Journalistenwatch gehört zu den wichtigsten Online-Medien der Neuen Rechten im deutschsprachigen Raum, Links zu den Artikeln des Blogs werden regelmässig von der AfD geteilt.
Auch auf der Seite freie-presse.net wird für die «Capital Post» geworben. Sie gehört ebenfalls zu den aktiveren Seiten im Geflecht der rechten «Alternativmedien», erreicht jedoch mutmasslich deutlich weniger Menschen. Unter einem Artikel mit der düsteren Überschrift «Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei!» wird dort die «Capital Post» beworben. Das Versprechen des exklusiven «Blicks hinter die Kulissen» ist hier zumindest als Anzeige gekennzeichnet.
Und auch auf der Seite Watergate.tv wird der «Aufklärungsdienst» angepriesen. Die Website hat sich auf angebliche «Enthüllungen» spezialisiert. Dahinter stecken jedoch vor allem bekannte Verschwörungstheorien (etwa rund um das World Trade Center) oder offen zugängliche Informationen, die als enthüllte Geheimnisse ausgegeben werden.
In einem aktuellen Fall werden etwa öffentliche Umfragewerte eines Meinungsforschungs-Instituts als «Aufdeckung» verkauft. In dem Artikel über SPD-Umfragewerte in Sachsen wird gleich dreimal auf die «Capitol Post» hingewiesen. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Watergate.tv 2017 bekannt, als der Fernsehmoderator Hans Meiser dort sein eigenes Videoformat bekam. Seinen Job für das «Neo Magazin Royale» verlor er daraufhin.
Wer auf die Werbe-Links klickt, gelangt nicht auf ein grosses Enthüllungsportal, sondern auf die Website eines Onlineshop-Betreibers. Dort wird die «Capitol Post» mit noch mehr und noch grösseren Worten angepriesen. Der Werbetext ist insgesamt mehrere Din-A4-Seiten lang.
Ganz unten auf der Seite wird zum ersten Mal verraten, was diese «Premium-Aufklärung» kosten soll. Die ersten drei Monate gibt es das angebliche Monats-Magazin für «nur» 29.70 Euro, für weitere drei Monate werden anschliessend 59.40 Euro fällig. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann auch gleich zum Jahresabo für 197 Euro greifen. Das sind mehr als 16 Euro pro Ausgabe. Damit sich das lohnt, müssten die enthaltenen Informationen wirklich brisant sein. Doch wer steckt überhaupt dahinter?
Auf der Shop-Seite wird weder ein Verlag, noch werden Redakteure der «Capitol Post» genannt. «Aus Zensurgründen muss unser Redaktionsteam vorerst ‹geheim› bleiben», heisst es stattdessen.
Im Impressum lässt sich nur die«Digistore24 GmbH finden. Das ist jedoch bloss eine Firma, die ihren Kunden «automatisierte Vertriebslösungen» anbietet. Sprich: Der Verkauf der «Capitol Post» wird über ihre Server betrieben, Digistore24 kümmert sich um die Abwicklung, stellt auch die Abo-Kosten in Rechnung und leitet sie an die bis hierhin anonymen Betreiber weiter. Andere Unternehmer bieten etwa Seminare, Bücher, oder Esoterikprodukte über das Shopsystem von Digistore24 an.
Auf watson-Anfrage erklärte Digistore24 in einer E-Mail, jeder dürfe über das Shop-System des Unternehmens ein Produkt verkaufen, solange es den «inhaltlichen, technischen sowie den gesetzlichen Kriterien» entspreche. Dazu gehöre auch eine Impressumspflicht, gegen die der Verkäufer der «Capitol Post» verstossen habe. «Hierzu stehen wir mit dem Verkäufer bereits in Kontakt.» Auch mehr als eine Woche nach dieser E-Mail fehlt dieses Impressum jedoch weiterhin.
Um die «grossen Geheimnisse» zu erfahren, muss also ein Abo her, zumindest für drei Monate. Das Geld geht per Paypal raus, dafür schickt uns Digistore24 im Anschluss einen Link zu. Über den gibt es die «Capitol Post» endlich als Download – und ein exklusives «Enthüllungsbuch» über Angela Merkel als E-Book gratis dazu.
Der erste Blick in die «Capitol Post» ist enttäuschend: Sie besteht aus einem 13 Seiten dünnen PDF-Dokument. Obwohl der «Aufklärungsdienst» angeblich monatlich erscheint, wurde die Ausgabe, die im Dezember angeboten wird, bereits im September oder Oktober veröffentlicht. Die Mutmassungen, die darin über die Bayern-Wahl und die Nachfolge Angela Merkels als CDU-Vorsitzende angestellt werden, sind deshalb nicht nur falsch. Sie sind auch längst veraltet.
In den Texten werden wilde Spekulationen und Verschwörungstheorien mit bekannten Tatsachen vermischt und als brisante «Enthüllungen» verkauft. Der Informationsgehalt ist dürftig. Behauptungen bleiben unbelegt und überhaupt schaffen es nur Themen in die «Capitol Post», die in die Erzählung von der ewigen Bedrohung passen.
Dieses Bild bestätigt auch die Januar-Ausgabe des «Aufklärungsdienstes», die uns erst am 22.01. geschickt wird. Darin wird ein neuer Banken-Crash angekündigt, den Lesern die Investition in Gold empfohlen (für die Zeit nach dem grossen Zusammenbruch) und ausserdem «enthüllt»:
Hat das «Enthüllungsbuch» über Angela Merkel vielleicht mehr zu bieten? Auch das besteht vor allem aus einer Mischung aus öffentlich zugänglichen Informationen, Spekulationen und Verschwörungsgedanken.
Wer für die «Capitol Post» verantwortlich ist, wird vor dem Kauf zwar nirgendwo angegeben; im Impressum der zugesandten Ausgabe wird dann jedoch der Kölner Volker Hahn als Chefredakteur genannt. Ob es noch weitere «geheime» Autoren gibt oder ob das Ganze eine One-Man-Show ist? Das bleibt zunächst unklar.
Hahn zeichnet auch für das vermeintliche Merkel-Enthüllungsbuch und eine Reihe ähnlicher Publikationen verantwortlich. Unter verschiedenen Firmennamen betreibt er etwa die Website Watergate.tv, auf der auch die «Capitol Post» beworben wird, und die Seiten Neopresse.com, Politaia.org und Krisenfrei.de. Allein Watergate.tv hat mehr als 50'000 Follower auf Facebook, die Beiträge werden regelmässig mehrere hundert Mal geteilt.
Auf der Watergate-Website stellt sich Volker Hahn als gebürtiger Dresdner vor, der lange Zeit als «Redakteur für eine deutsche Tageszeitung» gearbeitet habe. Neben dem kurzen Steckbrief steht ein Foto, das Hahn zeigen soll. Auch in der ersten Ausgabe der «Capitol Post» steht ein Porträt des Mannes über dem Vorwort.
Die Sache hat allerdings einen Haken: Die Person auf dem Bild ist nicht Volker Hahn – falls es den überhaupt gibt.
Stattdessen handelt es sich um ein Stockfoto, das in verschiedenen Bilddatenbanken gekauft und runtergeladen werden kann. Bei Shutterstock findet man das Foto etwa unter dem Titel «Mann im mittleren Alter». (Dort gibt es den falschen Volker Hahn übrigens auch als Tourist, Richter und gealterten Fussballer. Er muss sehr beschäftigt sein.)
Neben Volker Hahn werden bei Watergate.TV noch sechs weitere Autoren genannt. Angeblich haben sie an namhaften Journalistenschulen studiert, in verantwortlichen Positionen für verschiedene Medien gearbeitet. Eine Online-Suche zu ihnen liefert jedoch keine Ergebnisse. Der Blick ins Absolventenregister einer der Journalistenschulen ebenso wenig.
Klar wird: Wer tatsächlich hinter den Artikeln steckt, soll verborgen bleiben.
Mindestens bis 2017 gehörte Watergate.tv noch zur YES Investmedia GmbH aus Bonn. Heute steht die zumindest nicht mehr im Impressum. Die Firma bezeichnet sich selbst als «Fachmedienagentur» und betreibt auch die Börsen-Nachrichtenseite Finanztrends.info. Dort gibt sich das Unternehmen seriös und bodenständig.
Auf der Finanztrends-Shopseite werden jedoch auch «Spezialreporte» aus der Feder des angeblichen Volker Hahn angeboten. Der Verkauf findet auch hier über den Dienstleister Digistore24 statt, die Verkaufsseiten verwenden dasselbe Design und dieselben Formulierungen wie die Seiten der «Capitol Post».
Im Impressum einer der Shopseiten, über die die «Capitol Post» zum Download angeboten wird, steht das Unternehmen ausserdem bis heute als Betreiber. watson hat die YES Investmedia GmbH gefragt, ob sie immer noch hinter Watergate.tv stecke. Das Unternehmen hat die Anfrage bislang nicht beantwortet.
Die Leser sollen durch die Angstmacherei der vermeintlichen «Nachrichtenseiten» nicht nur dazu gebracht werden, für weitere «Enthüllungen» in der «Capital Post» zu bezahlen. Vor allem werden ihnen in den zugehörigen Onlineshops «Spezialreporte» und «Krisenratgeber» verkauft – mit ebenso grossspurigen Worten:
In einem von Watergate.tv verlinkten Shop wird auch das Survival-Zubehör für die Zeit nach der Apokalypse direkt mit angeboten.
Das Geschäftsmodell dahinter ist es, Ängste zu schüren und die vermeintliche Rettung gleich mit zu verkaufen – dafür muss der Verkäufer nicht einmal echt sein.