Ein politisch motivierter Akt der Zensur, erst noch vorgenommen durch TV-Sender, die mit öffentlichen Geldern subventioniert sind? Oder die berechtigte Weigerung, dem Publikum ein handwerklich mangelhaftes, tendenziöses Machwerk vorzusetzen? Seit der deutsch-französische Kultursender Arte und der WDR entschieden haben, den bestellten Dokumentarfilm «Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf die Juden in Europa» nicht auszustrahlen, ist Feuer im Dach.
Nun konnte sich die interessierte Öffentlichkeit endlich selber ein Bild machen – dank «Bild». Das deutsche Boulevardblatt aus dem Hause Springer zeigte den anderthalbstündigen Film von Sophie Hafner und Joachim Schröder für eine begrenzte Zeit auf seiner Online-Plattform. Über 200'000-mal sei der Link angeklickt worden, schreibt Bild.de. Mittlerweile ist der Film auch auf Youtube zu sehen.
Dies vorweg: Die Doku weist tatsächlich Mängel auf. Der Hauptvorwurf hingegen – der Film fokussiere zu stark auf die Situation im Nahen Osten – ist höchstens teilweise berechtigt.
Klar ist: Der Film gibt sich nicht die Mühe, ausgewogen zu sein. Das gibt Regisseur Schröder selbst zu: «Wie kann man einen Film über europäischen Antisemitismus machen, der nicht vom Verstand, von der Haltung und vom Herzen her projüdisch ist?», sagte er laut Zeit.de. Dies mag zutreffen, doch sobald es um den Nahost-Konflikt geht, wird dieser Ansatz problematisch.
Dass der Konflikt in der Dokumentation einen relativ breiten Raum einnimmt, ist durchaus sinnvoll und sogar notwendig, wie Martin Ebel in seiner Analyse auf tagesanzeiger.ch schreibt. In der Tat befeuert der Nahost-Konflikt den neuen Antisemitismus, der heute fast immer unter der falschen Flagge des Antizionismus segelt. Doch der Film blickt nahezu ausschliesslich aus israelischer Warte auf den Konflikt – während er beispielsweise das heikle Thema der Siedlungen kaum berührt.
Das ist schade, denn die Doku hat sehr wohl ihre Stärken. Sie zeigt schonungslos, dass der Antisemitismus eben nicht nur von rechts kommt, wo man ihn traditionell verortet, sondern heute ebenso auf der linken Seite des politischen Spektrums floriert. Dort, wo das gute Gewissen herrscht, das sich aus der Überzeugung nährt, Linke könnten gar nicht antisemitisch sein.
Die Milieus, in denen der Antisemitismus gedeiht, sind durchaus verschieden. Neben linken und rechten Antisemiten zeigt der Film Verschwörungstheoretiker, evangelische Friedensaktivistinnen und muslimische Rapper. Der Vorwurf von Arte-Programmdirektor Alain Le Diberder, dem Film fehle die Multiperspektivität, ist daher haltlos, wie der Historiker Götz Aly richtig bemerkt.
Interessant auch das Licht, das die Dokumentation auf die blühende NGO-Szene wirft, die sich mit dem jüdischen Staat abmüht. Woher rührt dieser Eifer, mit dem Organisationen wie «Brot für die Welt» Israel dämonisieren, fragt man sich unwillkürlich. Gerade hier haben sich die Filmemacher aber einen handwerklichen Schnitzer geleistet: Sie haben einfach darauf verzichtet, die NGOs mit den Vorwürfen zu konfrontieren.
Es gibt weitere Mängel. So ist es zwar löblich, wenn üble antisemitische Aussagen des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas gezeigt werden, die er 2016 in seiner Rede vor dem EU-Parlament machte. Diese Passagen schneidet der Film aber mit dem Applaus der Abgeordneten am Schluss der Rede gegen, sodass der Eindruck entsteht, diese hätten direkt Abbas' Hetze beklatscht. Abbas sprach sich allerdings auch für die Zweistaatenlösung aus; der Beifall dürfte eher diesem Teil gegolten haben.
Alles in allem bleibt die Dokumentation trotz ihrer Mängel sehenswert. Wer sie gesehen hat, dem ist klar, warum so viele Juden wie nie zuvor aus Frankreich nach Israel auswandern. Dass der tief verwurzelte Judenhass in bedeutenden Teilen der muslimischen Gemeinschaft dafür verantwortlich ist, verschweigt der Film nicht.
Dass eben diese Benennung des muslimischen Antisemitismus der wahre Grund für die Ablehnung durch die französische Arte-Spitze ist, wie Aly unterstellt, ist freilich eine Behauptung, die erst noch belegt werden müsste. Auf jeden Fall hätte dem Film aber gut getan, wenn sich die Filmemacher mehr an die bekannte Maxime des Journalisten Hanns-Joachim Friedrichs gehalten hätten: Sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch mit einer guten nicht.