Die politische Karriere von Giuseppe Conte ist schwindelerregend steil. Kometenhaft steigt er vom unbekannten Rechtsprofessor zum Premierminister von Italien auf. Von der farblosen Marionette avanciert er zum populärsten Politiker Italiens. Zweieinhalb Jahre nach Amtsantritt steht Conte nun vor seiner dritten Regierungsbildung. Wird er ein weiteres Mal an der Spitze einer zerrütteten Koalition stehen? Ein Überblick über die Regierungskrise in Italien.
Nachdem die Fünf-Sterne-Partei und die Lega nach den Wahlen 2018 eine Koalition eingingen, machten sie sich auf die Suche nach einem Premierminister ohne Profil. Die zwei Parteichefs Luigi di Maio und Matteo Salvini hatten wenig gemeinsame Anknüpfpunkte. Also brauchten sie einen Mann, der weder dem einen noch dem anderen zu sehr in die Quere kommen würde. Einer wie Giuseppe Conte, ein politischer Nobody, ein Rechtsprofessor und Anwalt aus Apulien, von dem kaum je jemand gehört hatte, schien ihnen der perfekte Kandidat.
Nach zähen Verhandlungen wurde das Kabinett von Conte 89 Tage nach der Wahl vereidigt. Di Maio übernahm das Amt des Arbeitsministers, Salvini wurde Innenminister. Conte sagte damals, er wolle der Anwalt des italienischen Volkes sein. So blass wie sich diese Parole anhörte, so blass regierte der Premier dann auch. Er machte viele Versprechen und wurde als Marionette der zwei Regierungsparteien gesehen. Conte versprach, während der gesamten fünfjährigen Legislaturperiode Italien anführen zu wollen. Doch schon nach einem knappen Jahr zerbrach die Regierung.
Am 8. August 2019 verkündete der rechtsextreme Lega-Politiker Matteo Salvini den Bruch der Koalition und brachte einen Misstrauensantrag gegen die Regierung Conte im Parlament ein. Was war passiert?
Als formeller Grund für die Krise gab Salvini einen Streit über die Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke zwischen Turin und Lyon (TAV) an, über das in Italien seit Jahrzehnten debattiert wird. Im Senat stimmte seine Lega für, die Fünf-Sterne-Bewegung gegen das Projekt. Diese Spaltung sei der Tiefpunkt der Koalition, sagte Salvini. «Etwas ist kaputt gegangen.» In Wahrheit aber hatte der Lega-Mann seit der Regierungsbildung kaum eine Gelegenheit ausgelassen, den Koalitionspartner zu provozieren. Täglich warf man sich Unverschämtheiten um die Ohren, über alles wurde mit dem Regierungspartner gestritten.
Nach dem Koalitionsbruch gab Conte seinen Rücktritt und das Ende der Regierung Fünf-Sterne und Lega bekannt. Salvini hoffte indessen auf Neuwahlen und darauf, diese gewinnen zu können. Doch der Staatspräsident Sergio Mattarella verzichtete darauf, abermals Wahlen anzusetzen, sondern bat Conte, eine andere Lösung zu finden.
Und die fand er. Die Fünf-Sterne-Bewegung einigte sich, mit der Demokratischen Partei eine neue Koalition einzugehen – an deren Spitze weiterhin Conte stehen sollte. Abermals gingen zwei Parteien, die wenig verband, ein Bündnis ein. Und abermals benötigten sie einen Premierministers, dessen Politik charakterlos genug war, um diese bunte Koalition zusammenzuhalten.
Wie schon die erste, war auch die zweite Regierung von Conte instabil und von Grabenkämpfen zwischen den Demokraten und den Fünf-Sterne-Bewegung geprägt. Ein gemeinsames Programm fehlte, die Streitereien gingen weiter. Doch als sich im Frühling 2020 das Coronavirus in Italien stark zu verbreiten begann, änderte sich etwas. Conte wandelte sich zum begabten Krisenmanager und verhängte im März als erster Regierungschef in Europa einen Shutdown über das Land.
Die Italienerinnen und Italiener, wie auch EU-Politikerinnen und Politiker nahmen Contes Handeln während der Pandemie als gradlinig und vertrauenswürdig wahr. Er legte an Popularität zu und wandelte sich zum beliebtesten Regierungschef seit langem. Mit einem zweiten Lockdown gelang es Italien, die Infektions- und Opferzahlen einigermassen unter Kontrolle zu bringen. Bei den Impfzahlen gehört das Land zu den europäischen Spitzenreitern.
Dank diesem neuen Selbstbewusstsein gelang es Conte, die Regierungschefs in Brüssel zu überzeugen, Italien ein 200 Milliarden schweres Hilfspaket zu gewähren. Genug Geld, um das krisengeschüttelte Land wieder auf die Beine zu bringen und dringend nötige Reformen anzugehen. Doch wie das Geld ausgeben?
Bei dieser Frage stiess Conte zunehmend wieder an die Grenzen seiner politischen Fähigkeiten. Auch die Programmlosigkeit seiner Regierungskoalition war nicht von Vorteil. Er schuf eine Taskforce, die eigenmächtig über die Verwendung des EU-Geldes entscheiden soll – ganz zum Widerwillen seiner Minister und des Parlaments. Dem Sozialdemokrat und Koalitionspartner Matteo Renzi wurde das Ganze zu bunt. Der EU-Wiederaufbaufonds sei «keine Gratis-Schatzkiste, aus der sich alle mit vollen Händen bedienen können», ärgerte er sich.
Es folgte ein wochenlanger Wettstreit zwischen Conte und Renzi. Ersterer versprach, einen neuen Plan zur Verteilung des Geldes vorzulegen. Zweiter zweifelte zunehmend an der Glaubwürdigkeit des Premiers und warf ihm vor, keine Ahnung zu haben, wie er das Land wieder aufbauen sollte. Nachdem Conte seinen Entwurf für den Einsatz der 200 Milliarden verabschiedete, kam es zum Knall: Renzi kündigte den Rücktritt zweier von seiner Partei gestellten Ministerinnen an.
Damit verlor die Regierung von Conte die Mehrheit im Parlament. Um seine zerbröckelte Koalition wieder zu stärken, muss er sich einem Vertrauensvotum in beiden Kammern stellen. In der Abgeordnetenkammer gelang es Conte zwar noch eine Mehrheit zu finden, doch der Senat liess ihn auflaufen. Conte entschied sich zur Flucht nach vorne und kündigte Anfang diese Woche seinen Rücktritt an.
Conte steht wieder am selben Punkt wie im Sommer 2019. Staatspräsident Mattarella muss entscheiden, ob neue Mehrheiten gefunden werden können oder ob vorzeitige Neuwahlen angesetzt werden müssen. Gelingt ihm ersteres, so ist es gut möglich, dass es zu einer dritten Regierung unter Conte kommen könnte.
Für den Fall, dass es zu Neuwahlen kommt, haben sich die rechtsextreme Lega und die postfaschistischen Fratelli d'Italia bereits in Position gebracht. Gemeinsam könnten sie laut aktuellen Umfragen bei einer Wahl die Mehrheit erobern. Ein Szenario, an dem auch der ehemalige Premier Silvio Berlusconi Gefallen findet. Denn in die Hände der neuen Regierung wird die Neubesetzung des Staatspräsidentenamt fallen – ein Posten, mit dem der 84-jährige Berlusconi liebend gern seine Polit-Karriere abschliessen möchte. Lega-Chef Salvini hat bereits kund getan, dass er sich Berlusconi gut als Staatspräsident vorstellen könnte.
Am Mittwoch begann Mattarella die ersten Beratungsgespräche für eine neue Regierungsbildung. In den folgenden Tagen wird der Staatspräsident verschiedene Parlamentarier-Gruppen empfangen.
Sicher schon die 60. Regierung seit dem Krieg, vielleicht bekommt Italien die 100 noch zu meiner Lebzeit voll.
Ein Berlusconi als Staatspräsident, uiuiui.