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«Die Politiker sind zu verurteilen, nicht die Soldaten»

epa06702522 A handout video grab released 30 April 2018 taken from a video published online by 'Falter' weekly, shows gunmen preparing an ambush at a Syrian police unit. Austria's Defen ...
Bei einem Hinterhalt auf den Golanhöhen wurden 2012 neun syrische Polizisten getötet. Österreichische Polizisten wussten von dem Hinterhalt, warnten die Syrer aber nicht.Bild: EPA/FALTER
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«Politiker sind zu verurteilen, nicht die Soldaten» – Militärexperte zum Golan-Massaker 

30.04.2018, 19:3201.05.2018, 07:12
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Die österreichische Wochenzeitung «Falter» veröffentlichte am Freitag das Video eines Vorfalls auf den Golanhöhen aus dem Jahr 2012. Darin ist zu sehen, wie neun syrische Geheimpolizisten in einen Hinterhalt von Schmugglern geraten und dabei erschossen werden.

Die Aufnahmen gemacht haben Soldaten des österreichischen UNO-Blauhelm-Kontingents, das seit 1974 die entmilitarisierte Pufferzone zwischen Syrien und Israel bewacht. Die Blauhelm-Soldaten, die von dem Hinterhalt wussten, unterliessen es, die syrischen Polizisten zu warnen – und sahen mit an, wie die neun Männer in den Tod fuhren.

Das österreichische Verteidigungsministerium hat angekündigt, den Vorfall zu untersuchen, Völkerrechtsexperten fordern eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord.

Für Militärexperte Albert A. Stahel sind die Verantwortlichen in den Amtsstuben in Wien und New York zu suchen, und nicht an der Front, wie er im Interview erklärt.

Das Massaker am Golan

Herr Stahel, wenn man sich das Video anschaut, kommt einem unweigerlich der Gedanke: die Soldaten haben bewusst neun syrische Polizisten in den Tod geschickt.
Albert Stahel: Es ist unerheblich, wenn man die Soldaten im konkreten Fall für verantwortlich hält. Die Blauhelme hatten Weisungen aus Wien und haben diese befolgt. Ins Zentrum der Diskussion muss die politische Führung gestellt werden.

Bild
Bild: screenshot/keystone

Was war denn die Weisung aus Wien?
Wien gab die Weisung durch, dass sich die österreichischen Soldaten neutral verhalten und nicht intervenieren sollten, das ist zumindest meine Vermutung.

Zur Person
Albert Stahel (74) wirkte während über 26 Jahren als hauptamtlicher Dozent für Strategische Studien an der Militärakademie der ETH Zürich. Aktuell leitet er das Institut für Strategische Studien in Wädenswil. Stahel ist Mitglied des International Institute for Strategic Studies in London und der Clausewitz-Gesellschaft in Hamburg.

UNO-Blauhelme sind doch ohnehin immer zur Neutralität verpflichtet.
Nicht unbedingt, es gibt ja auch Beispiele von UNO-Truppen, die aktiv am Geschehen beteiligt waren, zum Beispiel in der Kongo-Krise in den 60er-Jahren, als sich die Provinz Katanga abspalten wollte.

Die UNO-Soldaten waren offenbar nur leicht bewaffnet und hatten keine schusssicheren Westen, und seien deshalb kaum geeignet gewesen für eine mögliche Auseinandersetzung, sagte ein anonymer Ex-Blauhelm in den Salzburger Nachrichten
Ja, UNO-Truppen sind selten für einen Kampfeinsatz ausgerüstet. Man müsste vor jedem Einsatz die Frage klären, ob die Blauhelme als Beobachter in einem Frontbereich zwischen zwei Feinden stehen oder ob sie eine aktive Rolle spielen sollen.

Der Vorfall erinnert an das Massaker in Srebrenica, als die holländischen Blauhelme tatenlos zuschauten, wie bosnisch-serbische Truppen 8000 bosnische Muslime deportierten. Diese wurden später umgebracht.
Ja, das war im Prinzip dasselbe, wenn auch in einem viel krasserem Ausmass. Auch da war nicht geklärt, welche Rolle die Blauhelme eigentlich genau einnehmen sollten. Man kann sich auch fragen, ob Blauhelme wirklich in einen solchen Konflikt gehören. Je verworrener die politische Lage, desto schwieriger ist es UNO-Truppen einzusetzen.

Syrien
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Das österreichische Verteidigungsministerium hat angekündigt, den Vorfall untersuchen zu wollen. Beobachter sprechen von einer möglichen Anklage wegen Mord durch Unterlassung.
Die Politiker sind zu verurteilen, nicht die Soldaten. Diese hatten offenbar einen Befehl und den haben sie ausgeführt. Eine Verurteilung der Truppen vor Ort wäre ein Trauerspiel.

Die österreichischen Soldaten wissen, dass die Syrer in den sicheren Tod fahren. Und sie sprechen darüber in dem Video extrem abgebrüht und kaltblütig. Das ist doch nicht mehr mit Verweis auf Weisung von oben zu entschuldigen.
Die Soldaten dürften keinen Freiheitsgrad für Entscheidungen gehabt haben. Wenn keine Befehle befolgt werden, funktioniert das Militär nicht mehr.

Aber dass die UNO mit diesem Video ein miserables Bild abgeben bestreiten Sie nicht, oder?
Ja sicher, das ist ein Debakel. Für alle UNO-Truppen. Und es stellt die Rolle der UNO für Sicherheitseinsätze grundsätzlich in Frage.

Glauben Sie, der Abzug der österreichischen Blauhelme war auch eine Reaktion auf den Vorfall auf dem Hermon-Bergmassiv, wie nun verschiedentlich spekuliert wird?
Ja, zweifellos. Auch wenn das österreichische Verteidigungsministerium jetzt dementiert: Das kann kein Zufall sein.

Und welche Konsequenzen werden aus dem Vorfall gezogen?
Ich fürchte gar keine. Die UNO ist eigentlich eine gelähmte Organisation. Können sich die Vetomächte im Sicherheitsrat nicht einigen, so wird es erneut solche Vorfälle geben.

(wst)

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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Anded
30.04.2018 22:47registriert Oktober 2014
Hätten sie die Polizisten gewarnt, hätten diese die Schmuggler wohl mit Verstärkung gejagt und getötet. Allerdings hätten dann die Blauhelme aktiv der einen Konfliktpartei geholfen.
(Wäre ev. besser gewesen, aber sicher nicht mehr neutral. )
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Sapientia et Virtus
30.04.2018 20:05registriert April 2018
Es wäre eine Schande, wenn wegen der Taten von Terroristen und der Unfähigkeit der Vereinten Nationen jetzt österreichische Soldaten, die mit viel Idealismus in den freiwilligen Friedenseinsatz gezogen sind, büssen müssten. Dann müsste man sich nicht wundern, wenn die UNO nur noch schlecht ausgebildete Truppen aus Drittweltländern erhält, die vor allem durch sexuellen Missbrauch und Skandale auffallen.
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Drixselecta
30.04.2018 20:38registriert März 2016
Ich war zwei Mal auf dem Hermon skitouren 2009 und 2010. Die UN Basis liegt auf dem Gipfel, nicht weit entfernt von einem syrischen Stützpunkt. Obwohl, ich das nur vom Winter kenne, kann ich mich nicht vorstellen, dass die Syrer an die Österreicher vorbeigefahren sind. Ich würde eher davon ausgehen, das sie nur bis zum eigen Militärstützpunkt gefahren sind und wieder zurück. Man konnte sie also nicht warnen. Ausserdem liegt die Verantwortung der UN-Mission darin, den Waffenstillstand zwischen Israel und Syrien zu beobachten. Nicht inner-syrische polizeiliche Aufgaben zu unterstützen.
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