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4 Gründe, warum die SPD mit dieser Wahl auf volles Risiko geht

epa08035875 Newly elected co-leaders of the German Social Democratic Party (SPD), Norbert Walter-Borjans (L) and Saskia Esken (R) give short interviews to members of the media after after the announce ...
Bild: EPA

4 Gründe, warum die SPD mit dieser Wahl auf volles Risiko geht

Es ist nicht weniger als eine Sensation: Die SPD hat nach einem halben Jahr Suche eine neue Parteispitze gewählt und sich für die GroKo-Kritiker Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken entschieden. Sie setzten sich mit 53,06 Prozent der Stimmen durch. Eine Entscheidung mit Sprengkraft – und vielen Risiken.
01.12.2019, 12:5201.12.2019, 13:02
Joseph Hausner / watson.de
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Walter wer und Saskia wie? Vor einem halben Jahr hat der Grossteil der Bürger Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken noch nicht einmal gekannt. Das wird sich erst jetzt allmählich ändern, da das Duo plötzlich an der Spitze der ältesten Partei Deutschlands stehen wird.

Mit dieser Entscheidung geht die SPD ins volle Risiko. Aus mehreren Gründen.

Groko-Sprengkraft

Walter-Borjans und Esken sind bekennende Kritiker der grossen Koalition. Ihre Forderungen haben das Potenzial, die GroKo zu sprengen.

Das wollen Walter-Borjans und Esken
Walter-Borjans und Esken fordern zwar keinen überstürzten Ausstieg aus der grossen Koalition. Sie wollen aber den Koalitionsvertrag neu verhandeln. Es ist zu erwarten, dass sie den Delegierten auf dem Parteitag eine Reihe von Bedingungen vorschlagen, auf die CDU und CSU in neuen Verhandlungen eingehen sollen. Sie fordern weitere Milliardeninvestitionen in Klimaschutz und Infrastruktur sowie einen Mindestlohn von 12 Euro.

Doch dass die Union die neuen Forderungen einfach abnickt, ist höchst zweifelhaft. Schaltet die Konservativen auf stur, dann dürften Walter-Borjans und Esken die SPD wohl schnurstracks aus der GroKo führen.

Der Druck, es jetzt «anders» machen zu müssen

Eine andere Wahl als aus der GroKo auszusteigen, falls die Union zentralen Forderungen nicht nachkommt, haben Walter-Borjans und Esken nach diesem Votum kaum. Denn die SPD-Mitglieder wussten, was sie tun. Jeder, der die beiden wählte, stimmte auch bewusst gegen Klara Geywitz und vor allem gegen den nun massiv geschwächten Vizekanzler Olaf Scholz, der für ein «Weiter so» und für nüchterne Sacharbeit in der GroKo stand.

Umso höher ist nun der Druck auf Walter-Borjans und Esken, dass ihre Arbeit auf keinen Fall den Anschein eines solchen «Weiter so» erweckt. Sonst kämen sich gerade die am Entscheidungsabend so laut jubelnden Jusos mächtig veräppelt vor.

Klar ist: Die SPD, die sich seit Jahren im freien Umfrage-Fall befindet, hat nicht mehr viel Zeit, um das Ruder herumzureissen. Gut möglich, dass sich die SPD unter einem «Weiter so»-Duo noch weiter verzwergt hätte. Unter Scholz und Geywitz hätte sich wohl nicht allzu viel geändert. Ohne Risiko keine Veränderung zum Positiven.

Doch einen Umkehrschluss gibt es an dieser Stelle nicht: Nur weil die SPD nun ins Risiko geht und diejenigen an die Spitze wählt, die mutmasslich vieles anders machen, bedeutet das noch lange nicht, dass es automatisch wieder nach oben geht.

Mangelnde Bekanntheit ausserhalb und sogar innerhalb der SPD

Riskant ist die SPD-Entscheidung auch deshalb, weil nun zwei Politiker die Partei führen, die viele Menschen hierzulande bislang überhaupt nicht kannten. Norbert Walter-Borjans (NoWaBo) war laut Forsa bis vor kurzem nur 21 Prozent der SPD-Anhänger (!) bekannt, Saskia Esken sogar nur zwölf Prozent. In der Gesamtbevölkerung ist ihr Bekanntheitsgrad entsprechend noch geringer.

Schön und gut, dass Esken und Walter-Borjans nun von gut 100'000 SPD-Mitgliedern gewählt wurden. Aber die beiden müssen nun flott versuchen, viel Sympathie, Vertrauen und schlicht Bekanntheit bei den restlichen 80 Millionen Deutschen zu gewinnen.

Denn die SPD möchte wieder Wahlen gewinnen, und bei Wahlen war der Personenfaktor schon immer ein entscheidender oder sogar DER entscheidende Faktor.

Die niedrige Wahlbeteiligung von gerade einmal 54 Prozent dürfte den beiden nun übrigens stark geholfen haben. Denn gerade die GroKo-Kritiker und die Jusos sind stark im Mobilisieren, auch wenn sie innerhalb der SPD bislang nicht die Mehrheit darstellten.

Mangelnde Souveränität beim öffentlichen Auftreten

So plump das klingt: Im Vergleich mit erfahrenen Erste-Reihe-Politikern auf Bundesebene, wie es Konkurrent Scholz etwa ist, fehlt es Walter-Borjans und vor allem Esken bislang auch an rhetorischer Geschliffenheit, an Abgebrühtheit und Souveränität beim öffentlichen Auftreten.

Das war zuletzt beim Auftritt des Duos in der Sendung von Markus Lanz zu sehen. Ein paar Rückfragen des ZDF-Moderators reichten schon, um Esken derart aus der Fassung zu bringen, dass sie nicht nur unsicher und schlecht dabei aussah. Sie liess sich auch noch eine Aussage über Olaf Scholz entlocken, für die sie sich nach der Sendung öffentlich entschuldigte. Souverän war das nicht.

Jetzt sind Esken und Walter-Borjans designierte Parteichefs, und als solche stehen sie ab jetzt 24/7 unter permanenter, besonders kritischer Beobachtung. Das bedeutet nicht nur, dass Fehler ab jetzt schwerer verziehen werden. Sondern, dass die beiden stattdessen begeistern, euphorisieren, mitreissen müssen. Nicht nur die jetzigen SPD-Wähler, sondern auch frühere Anhänger, die zuletzt lieber Grüne, Union oder gar AfD wählten. Dafür müssen sich Walter-Borjans und Esken rhetorisch noch einiges draufschaufeln. Unmöglich ist das nicht. Aber viel Zeit bleibt ihnen nicht.

Fazit

Die SPD geht mit der Wahl von Walter-Borjans und Esken ein grosses Risiko ein. Alles oder nichts. Es kann mächtig schiefgehen. Aber wer nichts wagt, der gewinnt auch nichts. Die nächsten Monate jedenfalls dürften innenpolitisch spannend werden.

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7 Kommentare
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Merlin.s17
01.12.2019 13:20registriert Juni 2014
Anstatt sicherer Kopfschuss spielen sie russisches Roulette.
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Füdlifingerfritz
01.12.2019 15:26registriert März 2018
Und am Ende bleibt die GroKo dann doch bestehen, wetten? Politik bedeudet eben vor allem auch Pöstchen sammeln. Und da hat die SPD wohl wenig Interesse ebendiese lukrativen Posten abzugeben.
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