Es gehen noch immer Tausende auf die Strasse, aber Millionen bleiben Zuhause: Die Angst vor dem umstrittenen Sicherheitsgesetz aus Peking ist gross in Hongkong. Bild: sda
Trotz weltweiter Kritik ist das chinesische Sicherheitsgesetz in Hongkong in Kraft getreten. Es ist der bisher tiefste Eingriff in die Autonomie der Sonderverwaltungsregion – und er ist bereits auf den Strassen sichtbar.
Während Chinas Einfluss wächst, spielen sich einerseits grobe Szenen auf der Strasse zwischen Polizisten und Demonstrierenden ab, andererseits drohen Staaten wie Grossbritannien und die USA der Volksrepublik mit vereinfachter Einbürgerung bzw. Asyl für die Hongkonger Bevölkerung. Ein Lagebericht in vier Punkten:
Ungeachtet massiver, internationaler Kritik hat China das umstrittene «Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit» in Hongkong erlassen. Der Ständige Ausschuss des Volkskongresses in Peking verabschiedete das Gesetz am Dienstag einstimmig. Es gibt China ab dem 1. Juli 2020 weitreichende Vollmachten in der bis anhin autonomen Sonderverwaltungsregion.
Der chinesische Volkskongress ist mit 3000 Delegierten das grösste Parlament der Welt. 162 Abgeordneten sind Teil des Ständigen Ausschusses. Bild: EPA/EPA
Das neue Sicherheitsgesetz ist noch schärfer ausgefallen, als erwartet: In Hongkong ist seit Mittwoch vieles verboten, was vorher durch das Recht auf freie Meinungsäusserung gedeckt war. Das Gesetz richtet sich gegen Aktivitäten, die von Peking als chinafeindlich, separatistisch oder terroristisch angesehen werden. Auch soll es «heimliche Absprachen» von Aktivisten mit Kräften im Ausland bestrafen.
Joshua Wong, Hongkonger Aktivist
Als Höchststrafe ist die lebenslange Haft vorgesehen. Obwohl den Hongkongern bei dem Souveränitätswechsel 1997 Freiheitsrechte und Autonomie garantiert worden waren, können chinesische Stellen in Hongkong seit Mittwoch eigenmächtig Ermittlungen ausführen und Rechtshoheit ausüben.
Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam versicherte in einer Videobotschaft vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf, dass das Gesetz nicht rückwirkend gelten werde, wie befürchtet worden war. Der Gesetzestext war zunächst geheim gehalten worden, was das Misstrauen gegenüber Peking verstärkte. Lam beteuerte, das Gesetz werde Hongkongs «hohes Mass an Autonomie» nicht aushöhlen.
Kritik zum Einfluss Chinas in Hongkong wird auch in den Sozialen Medien geübt: «Das ist nicht mein Hongkong», schreibt ein Twitter-User zur Polizeipräsenz am Mittwoch. twitter@poohthewinniev
Kritiker sehen das anders: Sie fürchten ein Ende des Prinzips «ein Land, zwei Systeme», nach dem Hongkong heute als Sonderverwaltungsregion regiert wird. «Es markiert das Ende von Hongkong, wie die Welt es kannte», meinte der bekannte Hongkonger Aktivist Joshua Wong.
Tausende gingen am Mittwoch auf die Strassen, um gegen den Einfluss Pekings in Hongkong zu protestieren. Dutzende Demonstrierende wurde dabei festgenommen. Der Einfluss des neuen Gesetzes zeigte bereits am ersten Tag Wirkung: So nahmen – aus Angst vor Verfolgung – deutlich weniger Menschen teil als bei früheren Protesten, an denen Millionen zusammenkamen.
Bereitschaftspolizisten verhaften eine Demonstrantin in Hongkong am Mittwoch: Seit über einem Jahr kommt Hongkong nicht zur Ruhe. Bild: sda
Die Polizei ging mit Tränengas, Wasserwerfern und Pfefferspray gegen die protestierenden Menschen vor. Die erste Festnahme nach dem neuen Gesetz galt am Mittwoch einem jungen Mann, der eine Flagge mit dem Ruf nach einer Unabhängigkeit Hongkongs gezeigt hatte.
Die Stimmung in Hongkong hat sich durch das neue Sicherheitsgesetz weiter verschärft: Ein Polizist zieht seine Waffe und richtet sie gegen Demonstrierende. twitter@abc
Die Demonstrierenden fordern mehr Demokratie, wie es ihnen bei der Rückgabe 1997 in Aussicht gestellt worden war. Stattdessen reagierte die Führung in Peking mit dem Sicherheitsgesetz, das nicht nur das Parlament Hongkongs, sondern auch dessen Justiz und ihre Schutzmechanismen umgeht.
Der einzige Hongkonger Abgeordnete in dem Ausschuss, Tam Yiu-Chung, bestätigte die Befürchtungen, dass künftig auch eine Auslieferung von Verdächtigen «in seltenen Situationen» nach Festlandchina möglich wird. Nichts anderes hätte schon das kontroverse Auslieferungsgesetz zum Ziel gehabt, das Hongkongs Regierung nach Massenprotesten im vergangenen Jahr aufgeben musste.
Am 19. Juni gibt der bekannte Hongkonger Aktivist Joshua Wong bekannt, dass er bei den kommenden Wahlen für das Parlament teilnehmen wird. Bild: keystone
Aus Angst vor Verfolgung erklärten der bekannte Aktivist Joshua Wong sowie seine Mitstreiter Agnes Chow und Nathan Law den Rückzug aus ihrer Partei Demosisto. Diese wurde aufgelöst.
Mit dem neuen Gesetz müssten Anhänger der Demokratiebewegung um ihre Sicherheit fürchten, begründete Wong den Schritt.
Als Reaktion auf das umstrittene Sicherheitsgesetz für Hongkong hat der bekannte Demokratie-Kämpfer Nathan Law der chinesischen Sonderverwaltungsregion den Rücken gekehrt. «Ich habe mich von meiner Stadt verabschiedet. Als das Flugzeug von der Startbahn abhob, blickte ich ein letztes Mal auf die Skyline, die ich so sehr liebe», schrieb Law in der Nacht zum Freitag auf Twitter.
Er habe Hongkong bereits verlassen und werde seinen Einsatz auf internationaler Ebene fortsetzen, hiess es in einer separaten Mitteilung auf Facebook. Wegen des hohen Risikos wolle er nicht zu viel über seinen Aufenthaltsort verraten.
Joshua Wong (mitte) bleibt trotz seinem Rückzug in Hongkong. Bild: keystone
Der bekannte Hongkonger Aktivist Joshua Wong, der sich genau wie Law von Demosisto zurückgezogen hatte, aber angekündigte, in Hongkong bleiben zu wollen, bat die deutsche Bundesregierung um Unterstützung. «Ich demonstriere weiterhin in der vordersten Reihe mit, die Polizei setzt Wasserwerfer und Tränengas ein, Hunderte Demonstranten wurden verhaftet», sagte er der «Bild»-Zeitung (Freitag). «Ich bitte die deutsche Regierung: Schaut auf Hongkong, seht, was hier passiert und nennt das Unrecht beim Namen. Wir brauchen die Unterstützung Europas gerade jetzt, es darf keine Ausreden mehr geben.»
Mit dem neuen Sicherheitsgesetz greift China auf noch nie dagewesene Weise in die Autonomie Hongkongs ein. Damit damit umgeht Peking das Hongkonger Parlament, was ein Ende des Grundsatzes «ein Land, zwei Systeme» bedeuten würde. Das Vorgehen sorgt weltweit für heftige Kritik – besonders bei der früheren Kolonialmacht Grossbritannien.
Der britische Premierminister Boris Johnson sah einen «deutlichen und ernsten Bruch» der gemeinsamen Vereinbarung über die Rückgabe der ehemals britischen Kolonie Hongkong. Das Gesetz verletzte Hongkongs Autonomierechte und stehe im Widerspruch zum Grundgesetz der Sonderverwaltungszone, sagte Johnson.
London werde nun seine Drohung wahr machen, ehemaligen Untertanen in Hongkong einen Weg zur Staatsbürgerschaft zu ebnen, sagt Johnson. Bislang können sich Bürger Hongkongs bis zu sechs Monate ohne Visum in Grossbritannien aufhalten, wenn sie den Status eines British National Overseas haben. Derzeit sind rund 350'000 Hongkonger im Besitz eines solchen Ausweises – drei Millionen wäre dazu berechtigt.
Der britische Aussenminister Dominik Raab hat China in der Auseinandersetzung über das neue chinesische Sicherheitsgesetz für Hongkong scharf kritisiert. twitter@theodoraclarke
China hat Grossbritannien daraufhin am Donnerstag mit Gegenmassnahmen gedroht. Nach dem britischen Einbürgerungsangebot an die ehemaligen Untertanen in der einstigen Kronkolonie unterstrich Aussenamtssprecher Zhao Lijian die chinesische Position: Diese dürften kein Aufenthaltsrecht in Grossbritannien haben.
Auch auf dem amerikanischen Kontinent schlägt das neue Gesetz hohe politische Wellen: US-Aussenminister Mike Pompeo sprach von einem «drakonischen» Gesetz, mit dem China die Autonomie Hongkongs zerstöre. Die USA würden nicht tatenlos zusehen. Als Reaktion stoppten sie den Export von Rüstungsgütern und entsprechender Technologie nach Hongkong.
Wer aufgrund friedlicher Demonstrationen und Meinungsäusserungen verfolgt wird, soll zusammen mit seiner Familie in den USA leichter Asyl beantragen können, heisst es in einem Gesetzesentwurf.
«Die Menschen in Hongkong haben ihren Willen gezeigt, für die auf Freiheit basierenden amerikanischen Werte zu kämpfen, die uns lieb und teuer sind», erklärte der republikanische Abgeordnete John Curtis. Senator Marco Rubio erklärte, die USA müssten jenen helfen, die «unermüdlich» gegen die «Tyrannei» der kommunistischen Führung in Peking gekämpft hätten.
Der Senator aus Florida Marco Rubio fordert Hilfe für Hongkong. Bild: keystone
(adi/sda/dpa)