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Historische Impfangst: Sechs von zehn Franzosen wollen keine Impfung

Non merci! Sechs von zehn Franzosen wollen keine Impfung. Der Grund: historische Impfangst

Sechs von zehn Franzosen wollen die Covid-19-Impfung verweigern. Der Präsidentenpalast ist alarmiert – und handelt.
04.01.2021, 09:17
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Eine Welle des Sarkasmus ergiesst sich über die Staatsführung in Paris. Das findige Webportal «Contrepoint» hat ausgerechnet, dass die Franzosen bei dem eingeschlagenen Rhythmus erst im Jahr 3855 alle geimpft sein würden.

Das «Journal international de Médecine» spricht von einem Fiasko: «Während Grossbritannien und Israel ungefähr 800000 Geimpfte aufweisen und Deutschland deren 80000, stagniert Frankreich bei 332.»

epa08901151 Passengers from London arrive at the Eurostar terminal in Gare du Nord train station in Paris, France, 23 December 2020. French government suspended the ban on air and rail travel from the ...
Sechs von zehn Franzosen sind skeptisch, was die Coronaimpfung angeht.Bild: keystone

Lieferengpässe können als Ausrede nicht herhalten: Die EU-Länder werden im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl mit Impfdosen versorgt. Der Pariser Arzt William Dab macht die französische Bürokratie verantwortlich: «Dasselbe hatten wir schon bei dem Manko der Schutzmasken im letzten Frühling.» Ganz so klar ist die Lage indes nicht. Liest man die jüngsten Regierungserklärungen, drängt sich der Verdacht auf, dass der Impfrückstand in Paris zum Teil gewollt ist. Gesundheitsminister Olivier Véran erklärte jedenfalls, er stehe zu dem langsamen Impfstart:

Wir nehmen uns Zeit für das Erklären. Ich denke, dass das ein Vertrauensbeweis ist.
Olivier Véran

Frankreichs Impfangst hat historische Gründe

Seine Worte richten sich an die 59 Prozent der Franzosen, die sich laut Umfragen nicht impfen lassen wollen. Dieser europäische Rekordwert wirkt erstaunlich für das Land der Aufklärung. Er hat historische Gründe. Schon 1885 gab es heftige Widerstände, als der Forscher Louis Pasteur einen Impfstoff gegen die Tollwut entdeckte.

Louis Pasteur photographié par Nadar en 1886.
Tirage ancien numérisé retouché d'une photo représentant Louis Pasteur (1822-1895 ) faite par Nadar, en 1886
Auch Louis Pasteur sah sich schon mit Widerständen konfrontiert.Bild: PD

Hundert Jahre später flog in Paris ein HIV-Skandal auf, nachdem bereits Tausende mit behördlicher Billigung infizierte Blutkonserven erhalten hatten. Seitdem ein britischer Arzt 1998 die erwiesene Falschmeldung in die Welt gesetzt hat, die klassische MMR-Impfung führe zu Autismus, weigern sich viele Franzosen, ihre Kinder vor Masern, Mumpf und Röteln zu schützen.

Auch jetzt geht das allgemeine Misstrauen gegenüber den Gesundheitsbehörden in Frankreich weit über den Kreis der Verschwörungstheoretiker hinaus. Die Regierung habe entsprechend Angst, dass eine entschlossene Impfkampagne eine breite Abwehrfront bewirken könne, glaubt der Arzt Axel Kahn. In einem Beitrag hält er sich über das «Desaster» der gedrosselten Impfkampagne auf. Dabei wäre es ihm zufolge wichtig, mit Elan zu agieren: «Wenn wir langsam zur Sache gehen, werden die Impfskeptiker nur noch eher glauben, dass eine Gefahr besteht.»

Die breite Kritik zeitigt nun erste Wirkung. Gestern stellte Regierungssprecher Gabriel Attal eine «Beschleunigung» der Impfkampagne in Aussicht. Jede Woche würden 500'000 Dosen in den Einsatz kommen, versprach er. Stunden zuvor hatte Präsident Emmanuel Macron gegenüber Pariser Journalisten seinem Unmut Luft gemacht:

French President Emmanuel Macron attends a EU-China video-conference along with Chinese President Xi Jinping, German Chancellor Angela Merkel, European Commission President Ursula von der Leyen and Pr ...
Will einen Gang hochschalten: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.Bild: keystone
Wir bewegen uns im Tempo eines Familienspaziergangs. Das muss sich schnell und umfassend ändern.
Emmanuel Macron

Dass er als Leiter der wöchentlichen Covid-Krisensitzungen selber das Impftempo bestimmt, erwähnte der Staatschef dabei nicht.

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51 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Randen
04.01.2021 10:23registriert März 2014
Dann soll das BAG die 60% nicht benötigten Impfdosen in Frankreich holen. Wir kaufen dafür den Rafale
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Nordkantonler
04.01.2021 12:04registriert September 2020
Was sind denn nun die historischen Gründe für die Impf-Resistenz in Frankreich? Im Artikel wird geschildert, dass schon Pasteur auf Widerstand stiess - das begründet vielleicht eine Tradition, aber keinen Grund. Und das Problem HIV-positiver Blutkonserven ist nun wahrlich kein französisches Problem - Anfang/Mitte der 80er Jahre war das Problem verbreitet, auch heute hat man noch kein 100%iges Mittel dagegen gefunden - die Erythrozythen halten leider nicht lange genug, um eine Quarantäne durchzustehen, andere Blutbestandteile werden hingegen länger zurückgehalten.
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Locutus70
04.01.2021 14:53registriert September 2018
Diese ganze Diskussion um Impfbefürworter oder Impfgegner ist aktuell irrelevant. Es gibt ja augenscheinlich in den meisten Ländern Europas noch nicht mal genug Impfstoff um die Risikopatienten und Pflegepersonal in den nächsten drei Monaten zu impfen.
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