Alles war bereit für das Schlussbouquet: Am Samstag sollte das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump im US-Senat abgeschlossen werden. Ein Freispruch war absehbar. Es fehlten die für eine Zweidrittelmehrheit nötigen Stimmen der Republikaner, um den Ex-Präsidenten für seine Rolle beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar zu verurteilen.
Die demokratischen Ankläger aus dem Repräsentantenhaus waren frustriert. Sie hatten ihre Argumente für einen Schuldspruch mit teilweise erschütternden Videos aus dem Kapitol belegt. Sie zeigten, dass Parlamentarier und deren Mitarbeiter durch den blindwütigen Mob an Leib und Leben bedroht waren. Auch Vizepräsident Mike Pence entkam nur knapp.
Die Republikaner konnte dem nichts entgegensetzen. Anders als beim ersten Impeachment zur Ukraine-Affäre war kaum ein Senator oder eine Senatorin bereit, Trump zu verteidigen. Die Argumente seiner Anwälte waren fadenscheinig. Und trotzdem fehlte den Republikanern der Mut, den Ex-Präsident für die Aufhetzung des Mobs zur Rechenschaft zu ziehen.
Weshalb unter den Anklägern eine eigentlich verworfene Idee Auftrieb erhielt: Sie erwogen in der Nacht auf Samstag, in einer Last-Minute-Übung doch noch Zeugen aufzurufen, berichtet die «Washington Post». Ermutigt wurden sie durch zwei Entwicklungen vom Freitag, die ihrer an sich verlorenen Sache vermeintlich Schub verliehen.
Zum einen ging es darum, dass Donald Trump auf Twitter gegen seinen Vize Mike Pence hetzte, als dieser durch den Mob unmittelbar bedroht wurde. Trump-kritische Republikaner wie Mitt Romney und Susan Collins wollten wissen, ob der Ex-Präsident darüber Bescheid wusste, doch sein Anwalt Michael van der Veen drückte sich um eine klare Antwort herum.
Noch explosiver wirkte ein Statement von Jaime Herrera Beutler, einer Republikanerin aus dem Bundesstaat Washington. Sie hatte als eine von nur zehn Abgeordneten ihrer Partei im Repräsentantenhaus für Trumps Amtsenthebung gestimmt und war am 6. Januar offenbar Ohrenzeugin eines hitzigen Telefongesprächs von Fraktionschef Kevin McCarthy mit Trump.
Das angeblich mit Obszönitäten gespickte Telefonat war keine neue Enthüllung. Man wusste, dass McCarthy den Präsidenten eindringlich aufgefordert haben soll, seine Anhänger zurückpfeifen. Nicht bekannt war jedoch die von Herrera Beutler kolportierte Antwort Trumps: «Nun Kevin, ich denke, diese Leute sind wütender über die Wahl als du.»
Für kurze Zeit glaubte das Team um Chefankläger Jamie Raskin, einen Hebel für Trumps Verurteilung zu besitzen. Zwar war Herrera Beutler bereit, als Zeugin auszusagen. Doch der Kontaktversuch mit einer Person aus dem Orbit von Pence verlief laut «Washington Post» wenig ermutigend. Potenzielle Zeugen hätten zudem gegen ihre Vorladung klagen können.
Dies hätte den Impeachment-Prozess schier endlos in die Länge gezogen. Manche Demokraten im Senat glaubten zudem, dass ein Schuldspruch unerreichbar war. «Wenn weitere Zeugen nur einen Republikaner zum Umdenken bringen würden, wäre ich dafür. Doch ich denke nicht, dass dies geschieht», erklärte Senatorin Mazie Hirono aus Hawaii.
Für das Anklageteam aber war die Aussicht zu verlockend, mit der Aussage von Jaime Herrera Beutler im Senat einen symbolischen Treffer zu landen. Zu Beginn der Sitzung am Samstag beantragte Jamie Raskin ihre Einvernahme. Der Senat stimmte mit 55 zu 45 Stimmen dafür und sorgte für überraschte Reaktionen und einige Aufregung.
Doch die Ernüchterung folgte auf den Fuss. Trump-Anwalt van der Veen kündigte an, seinerseits mehr als 100 Zeugen aufrufen zu wollen. Es war eine leere Drohung. Über die Anhörung von Zeugen entscheidet der Senat, nicht Anklage oder Verteidigung. Doch die Botschaft war klar: Mit Zeugen drohte eine Ausdehnung des Verfahrens um Tage oder Wochen.
In einer chaotischen Beratung kamen die Demokraten laut «Washington Post» zum Schluss, dass das gesamte Prozedere für die Anhörung von Zeugen neu ausgehandelt werden musste und eine Verzögerung damit programmiert war. Am Ende begnügten sie sich mit der schriftlichen Stellungnahme von Herrera Beutler. Ein Auftritt war vom Tisch.
Und so kam es, wie es kommen musste. Sieben Republikaner stimmten für Trumps Verurteilung, doch 17 wären notwendig gewesen. Man wäre auch mit 500 Zeugen nicht gegen das Argument angekommen, ein Prozess gegen einen ehemaligen Präsidenten sei verfassungswidrig, sagte Chefankläger Raskin nach dem Freispruch.
Noch wichtiger war für manche Demokraten ein weiterer Aspekt. Sie wollten den Prozess abschliessen, um zur Tagesordnung zurückzukehren und sich der Politik ihres Präsidenten Joe Biden zu widmen. Noch sind einige Minister nicht bestätigt, und um dringliche Vorhaben wie die Pandemie-Hilfen von 1,9 Billionen Dollar ist ein hartes Ringen im Gang.
Biden selbst hat sich aus dem Impeachment-Prozess herausgehalten. Er will nun laut der «New York Times» vorwärts machen. Er weiss, dass er für einige seiner ambitionierten Pläne die Unterstützung von mindestens zehn Republikanern im Senat braucht. Jenen Republikanern, die zum Bruch mit Donald Trump weder willens noch fähig waren.
"Nein, eine demokratische Idee unterstütze ich nicht."
Amerika wo schliderst du hin?