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Selfies, Wahlklatsche, Nazi-Vergleich – so verlief die Premiere der AfD

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AfD-Abgeordneter Alexander Gauland (rechts) gratuliert dem neu gewählten Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (links).Bild: EPA/EPA

Selfies, Wahlklatsche, Nazi-Vergleich – so verlief die Premiere der AfD im Bundestag

Die 92 AfD-Abgeordneten betraten heute erstmals die grosse politische Bühne im deutschen Bundestag. Und bereits gab es Stunk.
24.10.2017, 18:4025.10.2017, 06:28
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Die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) wurde in den deutschen Bundestag gewählt. Zum Schock vieler. So waren bei der ersten Sitzung des Parlaments die meisten Augen auf die 92 Abgeordneten der AfD gerichtet. Ein Bericht über ihren ersten Tag im deutschen Bundestag.

Der Protest

epa06285519 A protester against the German populist right-wing 'Alternative for Germany'(AfD) party jons a rally in front of the German 'Bundestag' parliament, in Berlin, Germany,  ...
Bild: EPA/EPA

Am Sonntag gab es eine grosse Kundgebung gegen die AfD. Über 10'000 Menschen gingen in Berlin auf die Strasse. Das Motto: «Gegen Hass und Rassismus im Bundestag». Und auch am Dienstag war wieder ein kleines Grüppchen Protestierender vor Ort, die tapfer ihre «Stoppt die AfD»-Schilder in die Höhe streckten.

Die 92 Abgeordneten der umstrittenen Partei liessen sich von diesen Protesten nicht beeindrucken und nahmen zum ersten Mal Platz im deutschen Bundestag. Ganz rechts im Saal. Neben ihnen die Bundestagsrückkehrer der FDP. Diese hatten bis zuletzt zu erreichen versucht, dass sie nicht neben der AfD Platz nehmen müssen. Vergebens. Und so setzten sie sich naserümpfend neben ihre ungeliebten neuen «Gspändli».

Selfies

Alice Weidel, center right, parliamentary faction leader of the Alternative for Germany AfD, poses for a photo with a parliament colleague prior to the first meeting of the German parliament after the ...
Bild: AP/AP

Der erste Tag im Bundestag hat etwas vom ersten Tag in der Schule. Die Freude war den rechten Politikern anzusehen. Und klar ist – so ein erster Tag muss bildlich festgehalten werden. So verewigte sich auch AfD-Fraktionschefin Alice Weidel fleissig auf Selfies. 

Gescheiterter Antrag

German Chancellor Angela Merkel, bottom left, looks to the faction of the Alternative for Germany, AfD, who demand a change of the procedures during the first meeting of the German parliament after th ...
Einsame AfD-Hände.Bild: AP/AP

Danach galt es für die AfDler dann doch noch Ernst. Sie mussten arbeiten, Politik betreiben. Kurzerhand reichten sie ihren ersten Antrag ein. Sie forderten, dass die erste Sitzung des Parlaments nicht wie geplant von Hermann-Otto Solms (FDP) geführt werden sollte, sondern von Wilhelm von Gottberg (AfD).

Grund: Eigentlich wird die erste Sitzung des Bundestags immer vom ältesten Abgeordneten eröffnet. Dieses Mal aber vom Abgeordneten, der am längsten im Parlament sass. Die Regel wurde geändert, weil man die Eröffnungsrede nicht einem AfDler zugestehen wollte. Folge: Die AfD fühlte sich gemobbt.

Doch das Parlament schmetterte den Antrag der neuen Bundestags-Fraktion ab, und Hermann-Otto Solms erinnerte in seiner Eröffnungsrede, dass sich das Machtgefüge im Parlament verändert habe. «Diese Entscheidung der Wähler haben wir zu akzeptieren.»

Erster Nazi-Vergleich

epa06285679 Bernd Baumann of the German right-wing populist 'Alternative fuer Deutschland' (AfD) party speaks during the constituent meeting of the German 'Bundestag' parliament, i ...
Bild: EPA/EPA

Beim ersten Tag der AfD im Bundestag darf selbstverständlich eines nicht fehlen. Genau, der erste Nazi-Vergleich. Für diesen war der Abgeordnete Bernd Baumann besorgt, als er sich darüber aufregte, dass die Sitzung nicht vom ältesten Abgeordneten eröffnet wurde. Dabei zog er einen fragwürdigen Vergleich.

«1933 hat Hermann Göring die Regel gebrochen, weil er politische Gegner ausgrenzen wollte – damals Clara Zetkin. Wollen Sie sich auf solch eine schiefe Bahn begeben? Kommen Sie zurück auf die Linie aller grossen deutschen Demokraten!»
AfD-Abgeordneter Bernd Baumann

Die Rede von Bernd Baumann

Die Kritik liess nicht auf sich warten. Jürgen Trittin, Abgeordneter der Grünen, sagte im Interview mit dem Sender «Phoenix»:

«Wir sind mit einer Fraktion konfrontiert, die sich heute nicht mal entblödet hat, sich in eine Reihe zu stellen mit den Opfern des Nationalsozialismus.»
Jürg Trittin, Abgeordneter Grüne

Und er ergänzte: Dies sei in einem Haus, das die Nazis mal niederbrennen liessen, ziemlich geschmacklos gewesen. 

Die Wahlklatsche

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Der verschmähte Albrecht Glaser mit stoischem Blick.Bild: EPA/EPA

Eine breite Mehrheit wählte Wolfgang Schäuble (CDU) zum neuen Bundestagspräsidenten, der somit die Nachfolge von Norbert Lammert antritt. 

Jede Fraktion darf Schäuble einen Vize zur Seite stellen, der aber vom Parlament genehmigt werden muss. Eigentlich eine Formalität, doch nicht wenn die Fraktion AfD heisst.

Die AfD stellte für die Wahl Albrecht Glaser auf, was als bewusste Provokation gegen das Parlament gewertet wurde. Denn Glaser fiel mit einer umstrittenen Aussage zur Religionsfreiheit auf, die er auch nicht zurückzog. So bekam er das Missfallen des Parlaments zu spüren. Nur 115 Abgeordnete gaben ihm im ersten Wahlgang die Stimme. 550 votierten gegen ihn. 

Die umstrittenen Worte von Glaser:

«Wir sind nicht gegen die Religionsfreiheit. Der Islam ist eine Konstruktion, die selbst die Religionsfreiheit nicht kennt und die sie nicht respektiert. Und die da, wo sie das Sagen hat, jede Art von Religionsfreiheit im Keim erstickt. Und wer so mit einem Grundrecht umgeht, dem muss man das Grundrecht entziehen.»

Auch im zweiten Wahlgang hielt die AfD an Glauser fest. Er scheiterte erneut. Die AfD blieb stur und schickte auch im dritten Wahlgang Glaser ins Rennen. Er scheiterte endgültig. Die Entscheidung wurde vertagt. Somit bleibt die AfD vorläufig ohne Vizepräsidenten.

Nachtreten auf Twitter

Claudia Roth, candidate of the Green Party for Vice President of the German parliament accepted after she was elected for the position, during the first meeting of the German parliament after the elec ...
Grosse Freude bei Claudia Roth. Die Politikerin der Grünen wurde zum zweiten Mal zur Vizepräsidentin gewählt.Bild: AP/AP

Nach der Nichtwahl ihres «hochqualifizierten» Kandidaten Glaser waren einige AfD-Abgeordnete hässig. Darunter Thomas Seitz. Auf Twitter machte er seinem Ärger Luft und trat gegen Grünen Politikerin Claudia Roth nach, die zum zweiten Mal zur Vizepräsidentin gewählt wurde. Er bezeichnete sie in einem Tweet als Deutschlandhasserin. 

Die AfD nimmt Roth häufig unter Beschuss. Dies, weil sie sich immer wieder positiv zu Themen wie Zuwanderung und Islam äussert.

Merkel ist Schuld

epa06286139 German Chancellor Angela Merkel (C) passes the co-chair of the parliamentary group of the right-wing Alternative for Germany (AfD) party, Alice Weidel (L), and the co-chair of the AfD parl ...
Bundeskanzlerin Angela Merkel läuft an der AfD-Fraktion vorbei.Bild: EPA/EPA

Wer ist eigentlich Schuld, dass der Bundestag sich jetzt mit der AfD herumschlagen muss? Für Carsten Schneider von der SPD ist die Antwort klar. In seiner Rede vor dem Bundestag sagte er: «Ihr Politikstil, Frau Merkel, ist ein Grund dafür, dass wir heute eine rechtspopulistische Partei hier im Bundestag haben.»

Merkel habe im Wahlkampf jeden politischen Streit und jede Debatte verweigert. «Diese Vernebelungsstrategie mag in den vergangenen beiden Wahlkämpfen funktioniert haben.» Doch dieses Mal habe die Strategie dazu geführt, dass die politischen Ränder stärker wurden denn je. 

Der Applaus von SPD-Chef Martin Schulz war ihm auf sicher.

Die besten Reaktionen zu Trumps Papierrollen-Wurf-Aktion

Video: watson

Deutsches Parlament sagt Ja zur Homo-Ehe

1 / 7
Deutsches Parlament sagt Ja zur Homo-Ehe
Nach jahrzehntelangem Ringen hat der deutsche Bundestag am 30. Juni 2017 Ja zur Ehe für alle gesagt.
quelle: dpa dpa / a9999/_winfried rothermel
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71 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Fulehung1950
24.10.2017 19:55registriert Juni 2014
Da haben die etablierten Parteien aber einen Bock geschossen! Sie haben eine Regel gebrochen, um die AfD zu brüskieren. Ich hätte die Regel nicht geändert u. den Gottdorf mal machen lassen. Der hätte nur 2 Optionen gehabt: entw. er hätte sich klar zum demokratischen Parlamentarismus bekannt od. er hätte AfD-Phrasen gedroschen. Im 1. Fall hätte man die AfD künftig auf dem Bekenntnis festnageln können, im 2. hätte er sich als Antidemokrat demaskiert.
Und jetzt hatte die AfD gleich noch eine Chance: denn abwegig ist Baumanns Vergleich nicht ganz: auch heute wollte man den pol. Gegner nicht!
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Ökonometriker
24.10.2017 19:26registriert Januar 2017
Wenn man unzufriedene Bürger im Land hat die extrem Parteien wählen weil sie sich nicht vertreten fühlen, ist es dann weise den Wut dieser Leute weiter zu schüren?
Statt mit Provokation auf die Provokationen der Polparteien zu reagieren wäre es wohl besser, diese mit allen Rechten und Pflichten ins politische Geschehen einzubinden. So können sie sich anpassen oder sie disqualifizieren sich selbst.
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Sauäschnörrli
24.10.2017 20:57registriert November 2015
Wenn man sich selber immer daran echauffiert, dass immer sofort die Nazikeule geschwungen wird, sollte man sie selber vielleicht auch stecken lassen. Aber das ist nur meine bescheidene Meinung.
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