Am Ende schlägt die Stunde der Schönredner. Da wird sich für die «offene Diskussion» bedankt, die «leidenschaftliche Debatte» gelobt, die «lebendige Volkspartei» gepriesen. So kann man das beschreiben, was sich am Mittwochabend in einer Kongresshalle im sächsischen Schkeuditz nahe Leipzig abgespielt hat.
Man kann aber auch sagen: Selten zuvor ist Angela Merkel an der CDU-Basis ein solch eiskalter Wind ins Gesicht geschlagen.
Es ist die dritte von insgesamt vier Zukunftskonferenzen, mit denen die Christdemokraten ihren Parteitag im Dezember vorbereiten. Eigentlich soll es um die programmatische Erneuerung und die Attraktivität der Partei gehen. Doch das verkommt zur Nebensache. Die Basis treibt die Flüchtlingskrise um. So war es in Wuppertal, so war es in Stade: Bei den ersten beiden Stationen lief es recht geschmeidig für Merkel. Hier im Osten ist das anders.
Dabei fängt alles friedlich an. Gut, ein Mann hält zum Auftakt ein Plakat hoch: «Flüchtlingschaos stoppen!», steht darauf. Und: «Merkel entthronen!» Es bleibt zunächst ein einsamer Protest. Die CDU-Vorsitzende wird freundlich begrüsst, die meisten der rund tausend Parteianhänger stehen auf zum Applaus.
Merkel geht in die Offensive, spricht vom christlichen Menschenbild, und von der unantastbaren Würde eines jeden. Dann erklärt sie die bekannten Bausteine ihrer Asylpolitik: schnellere Abschiebungen von Menschen ohne Bleibeperspektive, eine faire Flüchtlingsverteilung innerhalb Europas, die bessere Sicherung der EU-Aussengrenzen, die Bekämpfung der Fluchtursachen.
Merkel nennt das alles die «grösste Kraftanstrengung seit der deutschen Einheit». Für ihre Worte erntet sie erst einmal das Lob braver Funktionäre. Einer lobt Merkels «Menschlichkeit», ein anderer sagt voller Respekt: «Ihren Job möchte ich nicht haben.» Thüringens CDU-Landtagsfraktionschef Mike Mohring, der sonst gern mal querschiesst, ruft in die Halle: «Angela Merkel ist unsere Kanzlerin und soll es bleiben!»
Das aber sehen nicht alle hier so. Ein CDU-Mitglied erklärt am Saalmikrofon, man sei doch gekommen, um Klartext zu reden. Los geht's:
Merkel verfolgt die harschen Wortbeiträge zumeist regungslos vom Podium. Sie wird geahnt haben, dass das hier kein Spaziergang wird. Schliesslich sind die Vorbehalte gegen ihren Kurs in Ostdeutschland besonders gross.
Nicht nur gehen in Dresden oder Erfurt jede Woche Tausende auf die Strasse, um gegen den vermeintlich drohenden Untergang des Abendlandes anzubrüllen. Auch in den Ost-Landesverbänden der CDU grummelt es. Forsa hat für den «Stern» gerade ermittelt, dass die harten Töne von CSU-Chef Horst Seehofer hier viel besser ankommen als Merkels Politik des offenen Herzens. Auch die Umfragewerte der CDU sind in den ostdeutschen Ländern zuletzt stärker gesunken als im Westen.
Ein echter Aufstand steht Merkel dennoch nicht bevor. In Schkeuditz bekommen die Kritiker zwar immer wieder Applaus. Die Stimmung kippt aber nicht. Stattdessen erfährt Merkel nach den Attacken auch breite Solidarität. Der Bundestagsabgeordnete Kees de Vries etwa bekommt für seinen Appell deutlich mehr Zuspruch als die Schwarzseher: «Wir sind gut darin, uns schlecht zu reden, wir sind gut darin, uns zu zerstreiten. Habt ein bisschen Mut, packen wir das an, zusammen werden wir das schaffen!»
Die Kanzlerin wirkt ohnehin nicht so, als brauche sie Beistand. Unbeirrt hält sie an ihrem Kurs fest. "Abschotten, das hat schon in der DDR nicht sonderlich gut geklappt«, ruft sie jenen zu, die an diesem Abend eine Grenzschliessung fordern. Sie bittet darum, »nicht nach Antworten zu suchen, die morgen keine mehr sind. Denn dann sind Sie morgen noch enttäuschter". Sie wolle lieber da ansetzen, wo sie die grössten Erfolgschancen sehe, um die Flüchtlingszahlen zu reduzieren.
Die Flüchtlingskrise sei die bisher «schwierigste Situation in ihrer Kanzlerschaft», sagt Merkel noch. Das gilt sicher nicht nur für die politische Lösung des Problems, sondern auch für die Stimmung in ihrer Partei.
Sie können froh sein, dass sie überhaupt weg sind von dort wo Krieg war.