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Deutsche Fleischfabrik Tönnies muss wegen Corona 14 Tage schliessen

Über 1000 Corona-Fälle – grösster deutscher Schlachtbetrieb muss 14 Tage schliessen

20.06.2020, 16:5920.06.2020, 20:30
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Der Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies in Nordrhein-Westfalen droht ausser Kontrolle zu geraten. Am Samstag wurde der Betrieb für 14 Tage geschlossen, zu diesem Zeitpunkt waren 1029 Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet worden. Die Landesregierung will am Sonntag weitere Massnahmen beraten. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der vom bisher grössten Infektionsausbruch in NRW sprach, schliesst einen regionalen Lockdown nicht aus. Politik und Verbraucherschützer erhöhen derweil den Druck auf die Schlachtbranche, den Preiskampf bei Arbeitsbedingungen und Fleisch im Supermarkt zu unterbinden.

ARCHIV - Außenansicht des Firmengeländes vom Fleischwerk Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Beim Schlachtereibetrieb Tönnies in Rheda-Wiedenbrück sind seit Anfang der Woche 400 Mitarbeiter positiv auf das  ...
Aussenansicht des Firmengeländes vom Fleischwerk Tönnies in Rheda-Wiedenbrück.Bild: sda

Der Landrat des Kreises Gütersloh, Sven-Georg Adenauer, sagte am Samstagnachmittag, insgesamt lägen 3127 Corona-Befunde vor. Die Fabrik in Rheda-Wiedenbrück ist Deutschlands grösster Fleischbetrieb, der nun für zwei Wochen geschlossen werde, sagte der Leiter des Krisenstabes, Thomas Kuhlbusch. Die Behörden hatten grosse Probleme, an die Adressen der Mitarbeiter zu kommen. Deshalb hätten sich der Kreis und der Arbeitsschutz Zugriff auf die Personalakten der Firma Tönnies verschafft. «Das Unternehmen hatte es nicht geschafft, uns alle Adressen zu liefern», sagte Landrat Adenauer. «Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich Null», so Kuhlbusch.

Clemens Tönnies sagte dazu: «Wir haben datenschutzrechtliche Probleme.» Laut Werkvertragsrecht dürfe das Unternehmen die Adressen der betreffenden Arbeiter nicht speichern. Co-Konzernchef Andreas Ruff fügte hinzu: «Wir haben alle Daten, die wir hatten, sofort an die Behörden weiter gegeben.» Tönnies wies zudem Rücktritts-Spekulationen zurück. «Ich werde dieses Unternehmen aus dieser Krise führen», sagte der 64-Jährige.

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Clemens Tönnies.Bild: AP

6500 Personen in Quarantäne

Die Corona-Reihenuntersuchungen auf dem Gelände der Fabrik gingen am Samstag weiter. Zu den bereits 25 Bundeswehrsoldaten vor Ort wurden 40 weitere hinzugeholt. «20 davon helfen bei der Dokumentation und 20 helfen bei der Kontaktpersonennachverfolgung», sagte Bundeswehrsprecher Uwe Kort. Die Kräfte fahren demnach gemeinsam mit medizinischem Personal und Mitarbeitern des Kreises Unterkünfte ab und testen dort Menschen. Laut Kort sprechen die Soldaten osteuropäische Sprachen, um sich mit den Arbeitern verständigen zu können.

Der Kreis hatte am Freitag verfügt, dass alle rund 6500 Tönnies-Mitarbeiter am Standort Rheda-Wiedenbrück mitsamt allen Haushaltsangehörigen in Quarantäne müssen. Der Ausbruch war am Mittwoch bekannt geworden. Das Land will die Quarantäne-Anordnung für die Mitarbeiter konsequent durchsetzen. «Wir müssen sicherstellen, dass in dieser Situation jeder sich an die Regeln hält», stellte Laschet am Freitagabend klar. Noch könne das Infektionsgeschehen lokalisiert werden. «Sollte sich dies ändern, kann auch ein flächendeckender Lockdown in der Region notwendig werden.»

Nach dem erneuten Corona-Ausbruch in der Schlachtbranche wächst der Druck, den massiven Preiskampf zu unterbinden. «Fleisch ist zu billig», sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Sie setzt sich für eine Tierwohl-Abgabe ein. Im Gespräch ist auch, Billigpreiswerbung für Fleisch einen Riegel vorzuschieben. Aus der SPD kommt der Ruf, höhere Löhne in Schlachtbetrieben durchzusetzen. «Auch für die Verbraucher wird sich etwas ändern müssen», sagte Klöckner mit Blick auf eine Tierwohl-Abgabe. «Dabei soll Fleisch kein Luxusprodukt für Reiche werden. Aber auch keine Alltagsramschware.»

epa08476520 Julia Klöckner during the German cabinet meeting of the government in Berlin, Germany, 10 June 2020. EPA/Mika Schmidt / POOL Pool Photo
Julia Klöckner.Bild: keystone

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte dem «Tagesspiegel» am Sonntag: «Es kann nicht sein, dass Menschen aus Mittel- und Osteuropa in Deutschland ausgebeutet werden, damit skrupellose Firmen milliardenschwere Gewinne einfahren.» Heil will im Sommer einen Gesetzentwurf vorlegen, um von 2021 an Werkverträge in der Branche weitgehend zu verbieten - also dass die komplette Ausführung von Schlachtarbeiten bei Sub-Unternehmern eingekauft wird.

Unionsfraktionsvize Georg Nüsslein (CSU) forderte ein Ende der Preiswerbung für Fleisch. «Wenn die Branche nicht zügig zu einer Selbstverpflichtung kommt, brauchen wir eine gesetzliche Vorgabe.» Verbraucherschützer kritisierten ebenfalls den Preisdruck. «Beim Fleischkauf sollte man generell darauf achten, dass nicht das Billigste auch das Beste ist», sagte Lebensmittelexperte Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen der dpa. (sda/dpa)

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76 Kommentare
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AFK
20.06.2020 17:25registriert Juni 2020
Schon ziemlich bedenklich, in einem solchen Betrieb geht man ja von einer sehr hohen Hygiene aus.
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Erwin
20.06.2020 17:51registriert August 2018
Kein Wunder, die importieren nicht nur billiges Fleisch aus verbotenen Tierzucht, sie holen auch billig Arbeiter/Innen aus dem fernen Ausland, von mir aus müsstenndiese Betriebe grundsätzlich für immer geschlossen werden, innDE ist das Fleisch eindeutig viel zu billig, wie alle Lebensmittel und den Produzenten wird die gerechte entschädigung aus Geldgier vermieden, verkehrte Welt
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Terraner
20.06.2020 17:31registriert April 2020
Da sieht man gut wie schnell sich das Virus unter den richtigen Bedingungen ausbreitet. Hoffentlich wurde es noch nicht zu stark in der Bevölkerung verbreitet.
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