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«Bin wie eine alte Frau»: 22-Jährige kämpft mit Corona-Spätfolgen

Luisa
Bild: instagram/luisa_abajur / privat

«Bin wie eine alte Frau»: 22-Jährige kämpft mit Corona-Spätfolgen

13.09.2020, 19:0014.09.2020, 15:25
Julia Dombrowsky / watson.de
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Corona – ein Thema, das viele Menschen in Deutschland zunehmend leid zu sein scheinen. Doch das Virus kann verheerend sein, sogar für junge Leute, die sich eigentlich nicht in Gefahr wägen. Das zeigt etwa Luisa.

Die Düsseldorferin erkrankte dieses Frühjahr im Alter von 21 Jahren an Covid-19, war sogar im Koma. Das ist nun schon Monate her, doch mit den Spätfolgen hat sie immer noch zu kämpfen. Wenn sie Bilder von feiernden Menschen oder Anti-Corona-Demos sieht, hat sie Sorge, dass es anderen bald ähnlich ergehen könnte. Gerade deswegen möchte sie ihre Geschichte bei watson teilen.

«Ich bin jetzt wie eine alte Frau, muss immer schauen, wo der nächste Stuhl steht, wenn ich mit dem Rollator unterwegs bin.»
Luisa zu watson

Wie Luisa an Corona erkrankte

Noch Anfang des Jahres lebt Luisa in Sevilla, um ein Praktikum bei einer Designerin zu machen. Dort wohnt sie in einer WG, hat einen Freund, ist ausgelassen, plant, länger zu bleiben. «Corona war zu dem Zeitpunkt in Europa noch gar kein Thema. Jeder hatte ein bisschen von diesem Virus aus China gehört, aber keiner wusste, dass er bereits in Spanien angekommen war», erzählt Luisa.

Luisa vor Corona beim Capoeira

Am 15. März hat Luisa plötzlich starke Halsschmerzen, dann hohes Fieber. «Schnell und heftig», hätten die ersten Symptome zugeschlagen, sagt sie. Einen Tag später tritt die Ausgangssperre in Spanien in Kraft, Luisa alarmiert den Corona-Notruf, auch weil sie zur Risikogruppe gehört, Asthmatikerin ist. Doch die drei Sanitäter, die zu ihr nach Hause kommen, machen keinen Covid-19-Test, sondern diagnostizieren nur eine Mandelentzündung. Doch Luisa geht es schon bald schlimmer. Am 22. März muss ein Krankenwagen kommen, um sie abzuholen. Auf der Intensivstation wird sie sofort ins künstliche Koma versetzt, weil ihre Sauerstoffversorgung lebensbedrohlich schlecht ist und ihr Husten wohl sonst die letzten Atemzüge gewesen wären.

Mit Anfang Zwanzig im Koma

Fünf Wochen lang liegt Luisa in Spanien im Koma – für sie ist diese Zeit immer noch völlig unwirklich. «Ich hatte Glück, dass mein Freund da war und meiner Mutter über Instagram Bescheid geben konnte, dass ich im Krankenhaus bin. Ich selbst war dazu nicht mehr in der Lage. Es konnte niemand zu mir, weil ich lange infektiös war und Auslandsreisen sowieso verboten wurden. Meine Mutter hat sehr darunter gelitten, sie musste alle wichtigen Entscheidungen am Telefon treffen und hatte natürlich grosse Angst um mich. Vieles war da ja noch völlig unbekannt.»

Ende März wird sie an eine spezielle Lungenmaschine (ECMO) angeschlossen, weil ihr Zustand immer kritischer wird. Diese Maschine gehört nicht zum Standard in Kliniken, doch für Menschen wie Luisa ist sie überlebenswichtig. Sie soll ihr Blut mit Sauerstoff versetzen, damit die Organe nicht weiter geschädigt werden, doch erst nach anderthalb Wochen schlägt die Behandlung an. «Bis die Ärzte sahen, dass sie funktionierte, hiess es immer, mein Zustand sei extrem kritisch», sagt Luisa. Heute weiss sie, was für ein Glück sie hatte, dass in der Klinik überhaupt so eine Maschine zur Verfügung stand. «Ohne die hätte ich nicht überlebt. Mit der Maschine hatte ich zumindest eine Überlebenschance von 65 Prozent.»

«An alle Zweifler: Corona ist echt! Ich bin der lebende Beweis, dass Menschen – auch junge – krank werden können und es zum Teil gerade so überleben.»
Luisa zu watson

Luisa erlebt das Koma wie eine Parallelwelt. «Ich hatte schlimme Komaträume, in denen meine Familie und Freunde krank wurden und starben. Für mich waren alle diese Erlebnisse so real und bis heute erinnere ich mich an sie wie an Momente, die wirklich geschahen. Vieles in der Klinik habe ich auch gespürt und in diese Träume eingebaut, zum Beispiel den Schnitt an meiner Luftröhre.» Doch auch gute Dinge dringen zu ihr durch. Ihr Freund schreibt ihr ein Lied, das die Schwestern ihr vorspielen. «Das war das Schönste», sagt sie heute. «Als ich wieder aufwachte, konnte ich den Song bereits auswendig.»

Der Song von Luisas Freund

Luisas Abschied auf der IntensivstationVideo: YouTube/Luisa Abajur

Luisa kämpft mit den Spätfolgen

Sie überlebt. Doch nach dem Aufwachen plagen sie Halluzinationen und schon bald erkennt sie, dass ihr Leben, wie sie es kannte, vorbei ist. Erst nach drei negativen Corona-Tests darf Luisa Anfang Mai mit einem intensivmedizinischen Flug nach Deutschland in die Uniklinik fliegen, dort geht die Arbeit an ihrem geschädigten Körper weiter. «Das erste Mal, dass mich die Physiotherapeuten auf dem Bett hinsetzen wollten, bin ich einfach wieder umgefallen. Ich hatte überhaupt keine Kraft mehr.» Bis heute fällt es ihr schwer, das zu realisieren.

Früher tanzte sie in ihrer Freizeit, machte Capoeira. «Heute brauche ich zwei Anläufe, um aus dem Sitz aufzustehen», sagt sie. Sie hat Taubheitsgefühle in den Armen und Beinen und keine Ausdauer mehr. «Ich bin jetzt wie eine alte Frau, muss immer schauen, wo der nächste Stuhl steht, wenn ich mit dem Rollator unterwegs bin. Für alles brauche ich Hilfe, manchmal selbst beim Anziehen.»

«Keiner kann mir sagen, wie mein Leben in Zukunft aussieht.»
Luisa zu watson

Morgens fehle ihr der Atem, abends die Kraft, sagt sie. Deshalb ist sie inzwischen zum zweiten Mal in der Reha. Insgesamt sind es nun schon neun Wochen, die sie zusammen mit Logopäden, Physiotherapeuten und Elektrotherapie an ihrem Körper arbeitet, in der Hoffnung, dass sie in ihr altes Leben zurückfindet. «Die Reha ist für mich inzwischen Normalität», sagt sie. «Aber wenn ich zu Hause bin, fällt mir erst auf, wie wenig ich kann von all den Dingen, die ich früher gewöhnt war. Das Singen fehlt mir auch. Früher habe ich das so gerne getan, aber mein Atem reicht nicht mehr und selbst die Muskeln an meinen Stimmbändern haben sich zurückgebildet.»

Wird sie je wieder wie vorher leben?

Wie lange das so weitergeht und ob sie jemals wieder zu alter Form finden kann, ist ungewiss: «Schliesslich ist das alles nicht erforscht», sagt Luisa. «Keiner kann mir sagen, wie mein Leben in Zukunft aussieht.» Gerade für einen Menschen, der am Anfang seines Berufslebens steht, sei das belastend. Die nötigen Therapien werden nicht alle von der Kasse übernommen, weswegen Luisas Familie nun auch Spenden sammelt. Doch dass sie überhaupt noch lebt, macht sie auch stolz. »Es hätte anders ausgehen können«, sagt sie. »Aber ich habe es geschafft, auch wenn noch ein weiter Weg vor mir liegt."

Dass es Leute gibt, die Corona nicht für schlimm halten, entsetzt sie. «Wenn ich diese Demos sehe, fehlen mir echt die Worte. An alle Zweifler: Corona ist echt! Ich bin der lebende Beweis, dass Menschen – auch junge Menschen – krank werden können und es zum Teil gerade so überleben.»

Um den Leuten das vor Augen zu führen, hat die Modedesignerin T-Shirts für Covid-19-Überlebende und Menschen, die für die Krankheit sensibilisieren wollen, entworfen. »Ich will damit auf das Thema Corona aufmerksam machen. Es gibt mir Kraft und macht mir Mut, wenn die Leute mich wegen meines Rollators und der Narben am Hinterkopf anstarren, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen ihre Haltung ändern, wenn sie mir gegenüberstehen und meine Geschichte hören«, sagt sie. »Dann nimmt man es ernst. Und gerade jetzt ist es wichtig, dass alle aufeinander achtgeben."

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117 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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roger_dodger
13.09.2020 19:17registriert Februar 2016
Danke für die Story. Leider werden es die Corona-Leugner wohl auch wieder unter "Vorerkrankung" abbuchen. Das viele Leute die schwer erkranken oder sterben aber wahrscheinlich eine Vorerkrankung wie erhöhten Blutdruck, Diabetes, wie in diesem Fall Asthma oder eine andere Vorerkrankung haben die unter normalen Umständen sehr gut kontrollierbar ist wird dann einfach ignoriert und so getan als ob alle quasi an einer terminalten Erkrankung leiden würden. Das nur aus purer Ignoranz weil man sich nicht einschränken lassen will. Hoffe das beste für die Zukunft der jungen Frau.
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7Gänseblümchen
13.09.2020 19:32registriert August 2020
Danke Watson! Ich auch kämpfe mit Spätfolgen, obwohl ich jung bin und zuvor keine Vorerkrankungen hatte. Aber neben dieser Frau kann ich einfach nur froh sein, dass ich vergleichsweise glimpflich davon gekommen bin.
Dennoch habe ich täglich Schmerzen im Brustkorb. Teilweise Druck und Atemnot wie im März. Es macht mich einfach nur wütend wenn Leute meinen es sei vorbei oder mit Verschwörungsmythen aufkreuzen! Ich trug die Maske im ÖV und in den Läden bereits vor der Pflicht, denn sowas möchte ich nicht nochmals erleben! Die Schmerzen und Atemnot sind mit absolut nichts zu vergleichen!
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Keller Baron
13.09.2020 22:26registriert Juni 2014
Ich muss ehrlich zugeben, ich gehöre selber zu der Gruppe die das Virus zwar nicht Leugnet, aber nicht so wirklich als Bedrohung für einen selber ansehen.
Nichts desto trotz, trage ich schon lange eine Maske und habe immer Desinfektionsmittel dabei. Aus dem Grund, wie ich das sehe oder darüber denke ist meine Sache, wenn ich aber damit fahrlässig umgehen und jemanden dadurch anstecke, ist es nicht mehr meine eigene Ansicht sondern hab Sie demjenigen aufgezwungen und das nur wegen meiner Leichtsinnigkeit! Deshalb gebe ich acht auf andere auch wenn ich es für mich nicht als so nötig empfinde.
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