Im sonnigen Sotschi gibt sich der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko bei seiner Ankunft im kurzärmeligen Hemd ohne Krawatte noch betont leger. Doch schon wenig später sitzt er sichtlich angespannt im Anzug in der Schwarzmeer-Residenz von Kremlchef Wladimir Putin. Die Massenproteste gegen «Europas letzten Diktator», wie er auch genannt wird, gehen in die sechste Woche. Der Druck auf den 66-Jährigen ist nach 26 Jahren an der Macht gross.
Nun verlässt er zum ersten Mal seit der umstrittenen Präsidentenwahl vom 9. August das am Montag fast herbstlich graue Minsk. Doch in Sotschi ist das alles weit weg, Putin fängt den Kollegen in der Not auf.
#Belarus. #Lukashenko is trying to convince #Putin about a military threat from the West, but Putin is barely listening (playing on camera, obvsly). That was another humiliation Lukashenko has faced today. He was earlier welcomed by Krasnodar governor, not even a state official pic.twitter.com/xrXuVvojom
— Hanna Liubakova (@HannaLiubakova) September 14, 2020
Vor allem wirtschaftliche Probleme machen Lukaschenko zu schaffen. Einige Staatsbetriebe sind zeitweise von wütenden Arbeitern bestreikt worden. Sie legten die Arbeit nieder, weil sie sich um ihre Stimmen bei der Präsidentenwahl betrogen sehen. Viele halten die 38-jährige Swetlana Tichanowskaja für die wahre Siegerin. Doch Putin wischt das alles schon nach einem kurzen Treffen beiseite und hilft, wie er es gern tut - mit Geld. Ein Kredit von 1.5 Milliarden US-Dollar soll Lukaschenko aus der Klemme helfen.
Putin lobt zudem, dass Lukaschenko als Ausweg aus der schwersten politischen Krise in Belarus die Verfassung reformieren will. Die beiden sind ähnlich lange an der Macht, kennen sich gut, spielen in Sotschi - wo 2014 Olympische Winterspiele waren - auch immer gern zusammen Eishockey. Doch diesmal ist die Lage ernst wie nie. Deshalb ist auch ein Vier-Augen-Gespräch angesetzt.
Von dem Treffen erhofft sich Lukaschenko bei der Rückkehr nach Minsk jetzt vor allem Rückenwind für seine sechste Amtszeit. Die Zeit rennt, weil laut Verfassung die Amtseinführung innerhalb von zwei Monaten nach der Wahl anzusetzen ist - also bis 9. Oktober.
«Schon aus reinem Selbstschutz hilft Putin Lukaschenko, an der Macht zu bleiben. Mit Geld und notfalls auch mit Truppen, um die Proteste zu unterdrücken», sagt der Politologe Waleri Karbelewitsch der Nachrichtenagentur dpa in Minsk. «Putin hasst Revolutionen, wie wir sie in Belarus haben - und unternimmt alles, damit der Aufstand gegen das System erstens keinen Erfolg hat und zweitens nicht abfärben kann auf Russland.»
Schliesslich habe Putin selbst gerade erst bei seiner eigenen umstrittenen Verfassungsänderung vorgemacht, wie sich ein «Dauerherrscher» an der Macht halte, sagt Karbelewitsch. «Lukaschenko kennt auch Putin so genau, dass er weiss, welche Knöpfe er drücken muss bei ihm. Er sagt ihm einfach: Wenn ich falle, bist Du der nächste.»
Es ist aber viel mehr, was Lukaschenko Putin abringen muss, um weitermachen zu können wie bisher. Bis Ende September müsste Belarus 328 Millionen US-Dollar Schulden für Gaslieferungen begleichen. Schon jetzt steht Minsk tief in der Kreide bei Moskau. Und der Ende des Jahres auslaufende Gasvertrag muss neu ausgehandelt werden.
Lukaschenko hatte dem Russen zuletzt immer wieder Preiswucher bei den Energielieferungen vorgeworfen, weshalb er sogar bei den USA Öl einkaufte. Doch nun ist der zuletzt über Jahre gefahrene Kurs Lukaschenkos einer Wiederannäherung an den Westen - auch an die EU - mit Vollbremsung gestoppt. Die lange Aufbauarbeit, sagen westliche Diplomaten in Minsk, sei innerhalb weniger Tage zerstört worden.
Neue Sanktionen stehen im Raum. Der Westen hält das offizielle Wahlergebnis von 80.1 Prozent für Lukaschenko für grob gefälscht. Zum Abbruch der Kontakte führten aber vor allem auch die brutale Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten, die Tausenden Festnahmen und die vielen hundert Verletzten. Auch mehrere Tote gab es.
Für Putin, da sind sich Experten in Moskau und Minsk einig, läuft hingegen alles glatt, weil sich Lukaschenko nun selbst zurück in die Arme des slawischen Bruders getrieben habe. Aus Sicht des Kremls steht er vor allem als Garant weiter dafür, dass Belarus ein verlässlicher Pufferstaat gegen ein weiteres Vordringen der Nato bleibt. Putin lässt es sich nach Einschätzung von Karbelewitsch einiges kosten, um Lukaschenko zu halten, ohne eine direkte Gegenleistung zu verlangen.
«Lukaschenko ist geschwächt. Putin wäre dumm, da jetzt Öl ins Feuer zu giessen», meint der Experte. Eine immer wieder beschworene engere Anbindung von Belarus an Russland sei für Lukaschenko genauso gefährlich wie der Verkauf von Staatsbetrieben. Genannt wurden immer wieder der Kalihersteller Belaruskali oder das Minsker Werk MZKT, das Trägersysteme für Raketen herstellt. «Lukaschenko hat im Moment keinen Rückhalt, solche weitreichenden Dokumente zu unterzeichnen. Alles, was die Unabhängigkeit gefährdet, würde die Proteste in der explosiven Stimmung noch weiter anfachen.»
Lukaschenko sei zwar im Moment bereit, alles zu versprechen, um seine Haut zu retten. «Aber wenn er erst wieder fest im Sattel sitzt, wird er sich wie immer an kein Versprechen mehr erinnern», sagt Karbelewitsch. Er glaubt auch nicht an eine Verfassungsänderung für einen Wandel in Belarus.
Die Demokratiebewegung in Belarus hatte bis zuletzt gehofft, dass Putin dem Wunsch nach Veränderung und nach einem neuen Gesicht an der Spitze des Bruderlandes Rechnung tragen könnte. Doch die Hoffnung sehen viele enttäuscht. «Ich bedauere», sagte Tichanowskaja an die Adresse Putins, «dass Sie sich entschieden haben, den Dialog nicht mit dem Volk zu führen, sondern mit jemandem, der seine Macht missbraucht.» Sie kündigte an, dass der Widerstand weitergehe. (sda/dpa)
Die Russen haben sich leider mit Putin arrangiert. Das Land ist gross, Moskau zum Teil weit weg... und es gibt wohl jede Menge Nutzniesser. Auch haben die Russen nie Demokratie richtig erlebt. Das wird noch Jahre dauern bis sich etwas ändert, leider.