Auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs drehte der Kultregisseur Stanley Kubrick seinen Klassiker «Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben». Ein US-General namens Jack D. Ripper (subtil ist der Humor dieses Films nicht) dreht durch und lässt eine mit Atombomben bestückte Flotte von B-52-Bombern auf die Sowjetunion los, um einen Atomkrieg anzuzetteln. Die meisten Flieger werden gestoppt, doch einer kommt durch, und das Inferno nimmt seinen Lauf.
Kubrick nahm mit der pechschwarzen Satire von 1964 nicht zuletzt eine kriegslüsterne Generalität aufs Korn. Er tat dies vor einem realen Hintergrund. Zwei Jahre zuvor stand die Welt während der Kubakrise tatsächlich am Rand eines Atomkriegs. Hohe US-Militärs plädierten für einen Angriff auf die Karibikinsel, auf der die Sowjetunion Atomraketen stationiert hatte. Umgekehrt forderte Kubas Revolutionsführer Fidel Castro von den Sowjets den Einsatz von Nuklearwaffen gegen die USA.
Der sowjetische Machhaber Nikita Chruschtschow behielt jedoch genauso einen kühlen Kopf wie US-Präsident John F. Kennedy. Beide wollten von einem atomaren «Nahkampf» nichts wissen, und nach 13 bangen Tagen im Oktober 1962 war die Kubakrise vorbei. Heute wünscht man sich, US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong Un wären zu ähnlich rationalem Handeln fähig. Doch statt wie kühle Denker, agieren sie wie Hitzköpfe.
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— Ed Hall (@halltoons) 15. April 2017
In den letzten Tagen eskalierte der Konflikt zwischen den beiden Ländern auf verbaler Ebene. Am Dienstag sagte Trump, er werde mit «Feuer und Wut» auf weitere Provokationen aus Nordkorea reagieren. Worauf das weitgehend isolierte Land mit einem Raketenangriff auf die US-Pazifikinsel Guam drohte. Ein General bezeichnete Trump als «Typen bar jeder Vernunft». Der schoss zurück und twitterte, militärische Lösungen seien «vollständig einsatzbereit».
Das Säbelrasseln zwischen den sehr ungleichen Rivalen – hier das isolierte, wirtschaftlich ausgepowerte Nordkorea, dort die kraftstrotzende Militärmacht USA – irritiert und weckt überwunden geglaubte Ängste: Ein Atomkrieg scheint wieder möglich. Wer wie der Autor dieser Zeilen den Kalten Krieg bewusst erlebt hat, kennt dieses Gefühl nur zu gut.
Die rund 40 Jahre währende Konfrontation zwischen Ost und West war geprägt von der Furcht vor dem nuklearen Inferno. In seiner frühen Phase, als die Folgen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki noch präsent waren, entstanden Lehrfilme wie «Duck and Cover», mit denen das Verhalten bei der Explosion einer Atombombe erklärt wurde. Heute wirken sie unfreiwillig komisch.
Später ging man rationaler mit der Bedrohung um, die Angst aber liess sich nicht verdrängen. Noch in den 80er Jahren sorgten Filme wie «The Day After», der die Folgen eines Atomkriegs schilderte, für Gesprächsstoff. Mit ihren Atomwaffen-Arsenalen praktizierten die beiden Blöcke eine Politik der Abschreckung: Ein Krieg würde unweigerlich zur Vernichtung der Menschheit führen.
Es war eine rundum perverse Logik, doch sie funktionierte. Nach dem Ende des Kalten Kriegs schwand die Angst, obwohl die atomare Abrüstung nur teilweise vollzogen wurde. Mit Indien und Pakistan tauchten gar neue Länder im Klub der Nuklearmächte auf. Iran hat sein Atomprogramm «auf Eis» gelegt, seine Ambitionen in diesem Bereich aber keinesfalls begraben.
Ein Atomkrieg schien trotzdem wenig wahrscheinlich. US-Präsident Barack Obama entwarf 2009 in seiner Prager Rede die Vision einer atomwaffenfreien Welt. Mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew unterzeichnete er ein neues Abrüstungsabkommen. Von diesen Bestrebungen ist wenig geblieben, seit die globalen Spannungen zugenommen haben.
In erster Linie ist es Nordkorea, das an der Eskalationsschraube dreht. Seit den 90er Jahren treibt das asiatische Land sein Atomwaffen- und Raketenprogramm zielstrebig voran. Unklar ist, wie real die Bedrohung ist. Die Experten sind sich uneinig. Verfügt Nordkorea über Interkontinentalraketen, die sich zielgenau lenken lassen? Können sie mit Atomsprengköpfen bestückt werden?
Übereinstimmung herrscht in einem Punkt: Die Atomwaffen sollen das Überleben des kommunistischen Regimes sichern. In Pjöngjang hat man das Beispiel von Saddam Hussein vor Augen. Der irakische Diktator liess seine Massenvernichtungswaffen vernichten. Zum «Dank» dafür wurde er von den USA gestürzt mit der Begründung, über genau solche Waffen zu verfügen ...
Ein solches Schicksal wollen Kim Jong Un und seine Clique keinesfalls erleiden. Fragt sich nur, wie rational der «irre Kim» ist, wie ihn der Boulevard nennt. Schon sein Vater Kim Jong Il erhielt diese Bezeichnung. Dabei war der ältere Kim höchstens im übertragenen Sinn irr. Er war ein kalter und berechnender Machtmensch, der seine Provokationen genau kalkulierte.
Gilt gleiches auch für seinen Sprössling? Kim Jong Un hat bewiesen, dass er für den Machterhalt über Leichen geht, auch jene von Familienmitgliedern. Seinen Onkel und Mentor liess er hinrichten, als er nach dem Tod des Vaters seine Stellung als Diktator konsolidiert hatte. Auch die Ermordung seines älteren Bruders in diesem Frühjahr dürfte er veranlasst haben.
Einem solchen Typen traut man vieles zu. Das gilt auch für seinen Gegenspieler im Weissen Haus. Donald Trump hat in seiner kurzen Amtszeit bewiesen, dass er Menschen bedenkenlos abserviert, die nicht nach seiner Pfeife tanzen. Seine bisherige Regierungsbilanz ist mager, doch Trump hasst es, wenn man ihn als schwach wahrnimmt. Warum nicht mit einem kleinen Krieg davon ablenken?
Das Duo Trump und Kim scheint zu allem fähig zu sein. Hoffen muss man ausgerechnet auf die Generäle. Anders als im Kalten Krieg versuchen sie, das Schlimmste zu verhindern. Der US-Verteidigungsminister und Ex-General Jim Mattis warnte am Donnerstag, ein Krieg wäre katastrophal. Er setze weiter auf Diplomatie. Mattis und die Armeeführung in Washington gelten als besonnen genug, um Trump vor einem Abenteuer oder gar einem Atomschlag abzuhalten.
Vielleicht lässt sich die aktuelle Krise noch einmal entschärfen. Aber man wird wohl mit der Tatsache leben müssen, dass Nordkorea über Atomwaffen verfügt, was selbst China ein Dorn im Auge ist. Nordkoreas wichtigster Partner hat wie Russland im UNO-Sicherheitsrat die neuen Sanktionen gegen Pjöngjang unterstützt. Die Angst vor dem Atomkrieg jedenfalls, sie ist zurück.