Schon bei seiner Ankunft auf dem Stützpunkt der britischen Luftwaffe in Mildenhall stellte Joe Biden klar, welche Ziele er auf seiner Europatournee verfolgen will:
Ebenso machte der US-Präsident klar, wen er dabei besonders im Auge hat: Wladimir Putin. An die Adresse des russischen Präsidenten erklärte er, man werde auf seine «schädlichen Aktivitäten» in einer «robusten und bedeutungsvollen Art reagieren». «Wir müssen alle diskreditieren, die meinen, das Zeitalter der Demokratie sei vorbei», so Biden.
Was den Charakter von Putin betrifft, macht sich der US-Präsident keine Illusionen. Der Mann sei «ein Killer», hatte er bereits vor Monaten in einem TV-Interview ausgesagt.
Wenn Biden Putin am kommenden Mittwoch in Genf treffen wird, wird er ausführen, was er unter «schädlichen Aktivitäten» versteht: Der russische Geheimdienst steht hinter Cyberattacken auf das amerikanische Softwareunternehmen SolarWind. Mit der stillschweigenden Billigung von Putin haben russische Hacker amerikanische Pipelines und Fleischverarbeitungsbetriebe angegriffen und Lösegelder erpresst.
Die Biden-Regierung ist nicht gewillt, diesem Treiben weiterhin tatenlos zuzusehen. Jake Sullivan, der nationale Sicherheitsberater, sagte deshalb im Vorfeld des Gipfeltreffens: «Joe Biden trifft sich mit Wladimir Putin nicht trotz der Differenzen, die wir mit ihm haben. Er trifft ihn, weil wir diese Differenzen haben. Wir glauben, dass wir am besten verstehen, was Russland im Schilde führt, wenn wir es direkt vom Präsidenten erfahren.»
Biden wird in Europa ganz anders auftreten als sein Vorgänger. Während Trump am Nato-Gipfel andere Staatsoberhäupter rüde beiseite drängelte, gilt Biden als zurückhaltender Diplomat. Und während Trump 2018 in Helsinki hilflos neben Putin stand und dabei seine eigenen Geheimdienste diskreditierte, wird Biden höflich, aber bestimmt die Interessen seines Landes vertreten.
Dabei ist sich der US-Präsident bewusst, dass er viel zerschlagenes Geschirr wieder flicken muss. Deshalb hat er sich bereits im Vorfeld mit Jens Stoltenberg, dem Nato-Generalsekretär, getroffen und dabei das amerikanische Engagement für die Militärallianz bekräftigt. Trump hatte Sinn und Zweck der Nato mehrfach infrage gestellt und primär die Europäer zu höheren Beitrittszahlungen genötigt.
Ebenso weiss Biden, dass seine Demokratie-Mission nur gelingen kann, wenn er im eigenen Haus für Ordnung sorgt. Die amerikanische Demokratie ist derzeit in Gefahr. Trump und die Republikaner bedrohen mit der Lüge von den angeblichen Wahlmanipulationen nicht nur einen Grundpfeiler der Demokratie. Mit neuen Wahlgesetzen setzen sie in den von ihnen beherrschten Bundesstaaten alle Hebel in Bewegung, um People of Color ihr Wahlrecht zu verweigern.
Auch diese Gefahr hat die Biden-Regierung erkannt. Nochmals Sicherheitsberater Sullivan: «Die demokratischen Reformen und die Stärkung des Wahlrechts sind ein Gebot der nationalen Sicherheit. Wir befinden uns im Wettbewerb mit autokratischen Modellen, und wir müssen zeigen, dass die amerikanische Demokratie funktioniert.»
Genau an diesem Punkt hatte Putin kürzlich eingehakt. Letzte Woche erwähnte er an einem Kongress in St. Petersburg den grassierenden Rassismus in den Vereinigten Staaten und betonte: «Die Ansichten über politische Systeme mögen verschieden sein. Doch wir verlangen das Recht, wie wir unser Leben organisieren können.»
Mit einem Seitenhieb auf den 6. Januar fügte der russische Präsident hinzu: «Schaut doch mal, was für schlimme Dinge sich in den Vereinigten Staaten ereignen. Dort weigern sich die Menschen, Wahlresultate anzuerkennen und stürmen den Kongress. Weshalb also interessiert man sich bloss für unsere nicht-systemische Opposition?»
Angesichts der jüngsten Ereignisse wirken diese Worte mehr als hohl. Putin hat nicht nur Alexei Nawalny, seinen wichtigsten Widersacher, mit windigen Begründungen in ein Straflager verbannt. Er hat nun auch dessen Organisation als «terroristische Vereinigung» deklarieren lassen. Wer sich weiter in dieser Organisation betätigt, riskiert eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren.
Leonid Wolkow, ein Mitstreiter von Nawalny, erklärte darauf in einem Youtube-Video: «Unter diesen Umständen können wir unmöglich weitermachen. Deshalb lösen wir unsere Büros auf.»
Während Biden seine Demokratie-Mission vorantreibt, will sich Putin als besonnener Staatsmann präsentieren. «Am Gipfeltreffen wird er versuchen, auf Augenhöhe mit Biden dazustehen», stellt Michael Kimmage im Magazin «Foreign Affairs» fest. «Er wird keinen Fussbreit nachgeben, und so der Welt demonstrieren, dass Russland nach wie vor eine Grossmacht ist.»
Ob ihm dies gelingen wird, ist jedoch fraglich. Nochmals Kimmage: «Als Autokrat, der zunehmend den Bezug zur Realität verliert und über eine sich verschlechternde Wirtschaft herrscht, kann Putin es sich nicht leisten, internationale Konflikte unkontrolliert zu intensivieren – ganz speziell nicht mit den Vereinigten Staaten.»