Nach den Parteikonventen von Demokraten und Republikanern beginnt in den USA die heisse Phase des Wahlkampfs. Dieser findet in aussergewöhnlichen Zeiten statt. Die Corona-Pandemie hat das Land im Griff, auch wenn die Fallzahlen zuletzt rückläufig waren. Für die Bewerber um das Präsidentenamt ist dies eine Herausforderung.
Dies gilt besonders für Präsident Donald Trump. Er liegt in den Umfragen immer noch klar hinter seinem Rivalen Joe Biden zurück. Besonders ernüchternd für ihn war die erste grosse Erhebung nach den beiden Parteitagen im Auftrag des Fernsehsenders ABC. Eine deutliche Mehrheit der Befragten beurteilte die bizarre Trump-Krönungsmesse negativ.
Die virtuelle Versammlung der Demokraten erhielt hingegen überwiegend gute Noten. Und während die Zustimmung für Trump auf 31 Prozent zurückging, stieg jene für Biden auf 46 Prozent. Das ist bemerkenswert, denn die Befragung wurde am letzten Freitag und Samstag durchgeführt, also nach den Gewaltausbrüchen in Kenosha (Wisconsin).
Die ABC-Umfrage erhärtet die Vermutung, dass die Meinungen in dem politisch abgrundtief gespaltenen Land weitgehend gemacht sind und die Zahl der Unentschlossenen gering ist. Trump wird deshalb voll auf die Karte «Law and Order» setzen. Sie verhalf bereits den Republikanern Richard Nixon 1968 und George H.W. Bush 1988 zum Wahlsieg.
Die jüngsten Gewalttaten in Kenosha und am Wochenende in Portland sind für den Präsidenten ein gefundenes Fressen. Mit der Warnung vor Chaos und Anarchie will er weisse Wähler in den Vorstädten – vor allem Frauen – auf seine Seite ziehen, die eigentlich die Nase voll haben von seinen Lügen und seinem Versagen in der Coronakrise.
Kellyanne Conway sprach es zum Abschied als Präsidentenberaterin im Interview mit Fox News offen aus: «Je mehr Chaos und Anarchie und Vandalismus und Gewalt, desto besser für die klare Wahl, wer geeignet ist für die öffentliche Sicherheit und Recht und Ordnung.» Im Klartext: Die Republikaner wollen das Land brennen sehen, damit Donald Trump wiedergewählt wird.
Dieses zynische Kalkül zeigt, wie wenig Optionen dem Präsidenten geblieben sind. Denn bislang ist es ihm und seinem Team nicht gelungen, Joe Biden als «Skandalnudel» zu verunglimpfen. Der Dreck, mit dem sie ihn bewerfen, bleibt nicht kleben. Also attackieren sie ihn als verkappten Anarchisten und «trojanisches Pferd» der radikalen Linken.
Ob dieses Kalkül aufgeht, ist zweifelhaft, und das liegt nicht nur am moderaten Image des Ex-Vizepräsidenten. Die USA sind ein anderes Land als 1968 oder 1988. Verschiedene Umfragen zeigen, dass die Amerikaner Ausschreitungen und Plünderungen klar ablehnen. Das Gleiche gilt aber auch für exzessive Polizeigewalt wie in Kenosha.
Dennoch sind einige Demokraten nervös. Sie wollen, dass Biden Keller seines Hauses verlässt, in dem er sich vor dem Coronavirus «versteckt» hat. Der Kandidat ist offensichtlich dazu bereit. Am Montag hielt er eine Rede in Pittsburgh im «Swing State» Pennsylvania, in der er die Frage aufwarf, ob die Menschen in Trumps Amerika sicher seien.
Weitere Auftritte im September sollen folgen, in denen Biden unter anderem seine Pläne für die Wirtschaft promoten will – ein Aspekt, bei dem Trump in den Umfragen tendenziell (noch) besser wegkommt. Für den 77-Jährigen ist der Wahlkampf im Corona-Modus eine Art Glücksfall in der Tragödie. Dank dem deutlich tieferen Rhythmus kann er Kräfte sparen.
Seine manchmal fahrigen und konfusen Auftritte zu Beginn des Jahres waren kaum ein Ausdruck seiner angeblichen Senilität, sondern eine Konsequenz des stressigen Wahlkampfs. Als dieser im März deutlich heruntergefahren wurde, zeigte Biden im letzten Fernsehduell der Demokraten gegen Bernie Sanders prompt seine beste Leistung.
Dies ist auch ein Fingerzeig im Hinblick auf die Fernsehdebatten mit Donald Trump. Die erste findet am 29. September statt. Manche Beobachter fürchten, Biden werde gegen den Präsidenten «untergehen». Doch es ist Trump, der nervös ist. Letzte Woche forderte er einen Drogentest vor den Debatten, weil Biden gegen Sanders viel besser war als zuvor.
Der Wahlkampf wird sich laut «Washington Post» auf sechs Staaten konzentrieren, in denen Trump 2016 gewonnen hatte: Arizona, Florida, North Carolina, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin. Die Demokraten betrachten zudem Georgia und Texas sowie Iowa und Ohio als mögliche «Beute», während die Republikaner auf Minnesota und New Hampshire hoffen.
Der Schlagabtausch dürfte heftig und schmutzig werden, vielleicht mehr als je zuvor in der Geschichte des Landes. Und am Ende bleibt Donald Trump womöglich nur eine üble Option: Er könnte versuchen, das Ergebnis mit allen möglichen Tricks zu seinen Gunsten zu manipulieren. Die Demokraten allerdings wollen dies nicht kampflos hinnehmen.
Joe Bidens Wahlkampfteam hat eine «Armee» an Anwälten und Freiwilligen aufgestellt. Sie sollen gegen mögliche Machenschaften der Republikaner vorgehen und sie unterbinden. Das betrifft etwa die Einschränkung der Briefwahl oder Versuche, unter dem Vorwand der Corona-Bekämpfung Wahllokale in Hochburgen der Demokraten zu schliessen.
In diesem Punkt erhielten die Demokraten Hilfe von den Basketballprofis. Als Gegenleistung für das Ende ihres Playoff-Streiks nach den Schüssen auf Jacob Blake in Kenosha konnten sie den Teambesitzern der NBA das Versprechen abringen, ihre weitläufigen Arenen im November als Wahllokale zu nutzen. Auch dies zeigt, dass Amerika 2020 nicht wie 1968 ist.
Das ist das Fiese an einer derart asymmetrischen Polarisierung: Die Repupblikaner werden sich immer viel leichter profilieren können, denn sie müssen dazu eigentlich bloss zu allem stur Nein sagen.
Wichtig wäre, dass Biden nicht nur gewinnt, sondern auch mit etwas Vorsprung.. sonst kommen die Republikaner in 4 Jahren mit Trump 2.0...