Die USA gelten als Mutter der modernen Demokratie. Das stimmt leider nur bedingt: Der epische Satz des Gründungsvaters Thomas Jefferson lautet zwar: «Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräusserlichen Rechten begabt worden sind, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.»
Von diesem Versprechen ausgeschlossen waren jedoch zunächst Sklaven, Frauen und auch alle Männer, die über keinen Besitz verfügten. Jefferson war selbst ein Sklavenhalter. Sein Ideal war ein Amerika von selbstständigen Farmern, die alle über ihren eigenen Grund und Boden verfügten. Nur sie sollten an der Demokratie teilhaben können.
Nicht ganz 250 Jahre später nehmen die Republikaner die Wahlniederlage von Donald Trump zum Anlass für einen Trip «Back to the future». In vielen von der Grand Old Party (GOP) beherrschten Bundesstaaten sind derzeit Bemühungen im Gang, die Wahlrechte zu verändern und Arme und Farbige wieder von den Urnen fernzuhalten.
In Texas ist alles ein bisschen grösser als anderswo. Deshalb sind die Gesetzesänderungen in diesem Bundesstaat besonders hart ausgefallen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit haben die Republikaner ein drastisches Gesetz gebastelt: Drive-through-Urnen werden verboten, ebenso 24-Stunden abstimmen. An Sonntagen soll künftig nicht mehr gewählt werden dürfen. All diese Einschränkungen betreffen speziell Schwarze und Hispanics.
Gleichzeitig sollen künftig Wahlleute der Parteien vor den Abstimmungslokalen postiert werden dürfen – eine Einladung an militante Gruppen, schwarze Wählerinnen und Wähler abschrecken zu dürfen. Und schliesslich soll es unterlegenen Kandidaten einfacher gemacht werden, das Wahlresultat anzufechten.
Kurz: Die Republikaner wollen den ohnehin schon konservativen Bundesstaat Texas nochmals deutlich nach rechts schubsen. Oder wie es Mark Jones von der Rice University im «Economist» formuliert: «Just als wir alle dachten, man könne Texas nicht mehr weiter nach rechts drücken – hier sind wir.»
Der erste Anlauf, diese Gesetze durch den Senat von Texas zu peitschen, ist zwar gescheitert, aber nur dank eines Tricks der Demokraten. Vor der Schlussabstimmung haben sie geschlossen das Parlament verlassen. Weil so 14 Stimmen für das gesetzlich vorgeschriebene Quorum fehlten, konnte das Gesetz nicht verabschiedet werden. Die Wirkung dieses Schachzuges wird wohl temporär bleiben. Greg Abbott, der republikanische Gouverneur von Texas, hat bereits geschworen, das gleiche Gesetz in einer Sondersession erneut zur Abstimmung zu bringen.
Auf den ersten Blick erscheinen die Bemühungen der GOP sinnlos. Seit Jahrzehnten beherrschen sie Texas nach Belieben. Weder konnte Beto O’Rourke 2018 Ted Cruz aus dem Senat verdrängen, noch Joe Biden 2020 Donald Trump übertrumpfen. Zudem stellen selbst die Republikaner die Rechtmässigkeit dieser Wahl nicht infrage.
Selbst im stockkonservativen Texas sind jedoch die Demokraten auf dem Vormarsch. Während Trump die Demokratin Hillary Clinton noch mit neun Prozentpunkten Vorsprung schlagen konnte, schrumpfte dieser Vorsprung bei Joe Biden auf sechs Prozent. Texas ist zudem ein Staat, dessen Bevölkerung rasant wächst. Viele der Zuwanderer neigen zu den Demokraten.
Bereits im Vorfeld der letzten Wahlen spekulierten Polit-Experten, dass Texas ein sogenannter «lila state» geworden sei, ein Staat also, in dem sich Demokraten und Republikaner in etwa die Waage halten. Die Hauptstadt Austin ist zudem seit langem in der Hand der Demokraten, ebenso die Wirtschaftsmetropole Houston. Deshalb wollen die Republikaner verhindern, dass sie das gleiche Schicksal ereilt wie ihre Kollegen in Georgia, ebenfalls ein «lila state», der 2020 zugunsten der Demokraten gekippt ist.
Um ihre Macht zu erhalten, sind die Republikaner offensichtlich bereit, die Demokratie, wie wir sie verstehen, über Bord zu werfen. Wie einst bei Jefferson sollen zumindest die Schwarzen wieder ausgeschlossen werden. «Ich glaube nicht, dass Trump gesagt hat, das Land sei am Ende», stellt Charles Blow in der «New York Times» fest. «Ich glaube vielmehr, dass der weisse nationalistische Präsident seinen überwiegend weissen Horden mitteilen wollte, in Gefahr sei die Kultur und das Vermächtnis der Weissen unter Ausschluss aller anderen.»
Tatsächlich ist das Ideal von Jefferson heute eine Illusion. Die USA sind kein Land von selbstständigen Farmern, die Macht konzentriert sich zunehmend bei einer Oligarchie. Mega-Spender wie Charles Koch können dank eines 2010 verabschiedeten Gesetzes – «Citizen United» – fast unbegrenzt Geld in die Parteien fliessen lassen und so weit überproportionalen Einfluss nehmen.
Die Wahlniederlage von Trump schien zunächst das Ende eines langen Albtraums zu sein. Nun zeigt sich, dass es vielmehr der Anfang eines Schreckens ohne Ende sein könnte: Die Supermacht USA gibt zwar vor, eine Demokratie zu sein. Tatsächlich verwandelt sie sich in eine rassistische Oligarchie.
Das Wahlverbot am Sonntag zeigt es exemplarisch, da geht es rein darum die wachsende Zahl Menschen von der Urne fernzuhalten die es sich schlicht nicht leisten können auf ein Tagesgehalt zu verzichten, bzw. gar nicht frei nehmen können und auf der Stelle gefeuert werden wenn sie einmal nicht zur Arbeit erscheinen.